Auslandssemester in Norwegen
Zimtschnecken, Natur und Gruppenarbeit
Zimtschnecken, Polarlichter und Rentiere auf der einen, Lebenszufriedenheit, Digitalisierung und Elektroautos auf der anderen Seite. Das sind die Assoziationen, die ich vor meinem Auslandssemester mit Norwegen verbunden hatte. Mein Bild war dementsprechend eine Mischung aus „hyggeliger“ Gemütlichkeit und Fortschrittlichkeit. Was sich davon bewahrheitet hat und welche anderen Erlebnisse ich aus meinem Aufenthalt von August bis Dezember 2023 an der BI Norwegian Business School in Oslo mitnehme, möchte ich im Folgenden mit euch teilen.
Erste Eindrücke: Zunächst alles wie erwartet!
Fangen wir ganz von vorne an: Als ich im August via FlixBus und Fähre in Oslo abgekommen bin, hätte das Wetter nicht besser sein können. Das mit einer Fläche von ca. 385.207 km² und nur 5,5 Millionen Einwohnern dünn besiedelte Norwegen (Deutschland: 357.592 km² mit 84,4 Millionen Einwohnern) zeigte sich von seiner besten und sonnigsten Seite. Die erste Zeit, in der auch die Vorlesungen noch nicht begonnen hatten, war von Sightseeing, Wanderungen und Baden im zentrumsnahen Sognsvann-See geprägt. Auch bewahrheiteten sich einige vorherige Assoziationen: Ich probierte die ersten köstlichen Zimtschnecken (ich empfehle Baker Hansen), konnte den gesamten Nahverkehr und Bürokratisches papierlos erledigen und bezahlte stets kontaktlos. Zudem genoss ich dank der tatsächlich omnipräsenten Elektroautos die angenehme Ruhe von Norwegens Hauptstadt, obwohl sie mit knapp 710.000 Einwohnern die einwohnerstärkste Stadt des Landes ist. Dem ersten Eindruck nach konnte ich also sehr gut nachvollziehen, warum die Norweger so glücklich mit ihrem Leben sein sollen.
Einzig die Besuche der örtlichen Supermärkte trübten die Stimmung. Das ist jedoch nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass Oslo oftmals als teuerste Stadt der Welt betitelt wird. So zahlte man beispielsweise für eine Gurke im Discounter mindestens zwei Euro. Erst recht verging einem jedoch das Lachen, wenn man die norwegischen Bier-Preise mit den deutschen verglich. Diese lagen mit etwa zehn bis zwölf Euro für 0,4 Liter sogar weit über dem Preisniveau des Münchner Oktoberfests. Somit konnte ich nur schmunzeln, wenn ich im Herbst das Grantln aus München vernahm. Dennoch gab es in Oslo auch immer wieder spannende Sortimentsunterschiede zu Deutschland festzustellen: Zum einen gab es meist eine volle Regalreihe mit unterschiedlichsten Knäckebrot-Sorten wie z.B. mit Zimt-Geschmack. Zum anderen verfügte nahezu jeder Supermarkt über eine Süßigkeitenabteilung, in der man sich eine „bunte Tüte“ wie in den ehemaligen deutschen Tante Emma-Läden zusammenstellen konnte, was das Einkaufserlebnis fast zu einer Zeitreise machte. Zeit hatte zudem stets eine andere Dimension als in bayrischen Supermärkten, da diese von Montag bis Samstag von 7 bis 23 Uhr geöffnet waren.
Norwegischer Uni-Alltag: Zwischen Gruppenarbeit und Online-Klausur
Nach einer ersten Eingewöhnung startete dann auch der Uni-Alltag an der BI, die eine private Universität und die größte Business School Europas ist. Dank einer Partnerschaft mit meiner Heimat-Universität, der Universität Münster, konnte ich jedoch entgeltfrei studieren. Hierbei war ich insbesondere gespannt, ob das norwegische Bildungssystem dem guten Ruf, den es in Deutschland genießt, gerecht werden würde und ob es einen merklichen Unterschied zwischen privater und staatlicher Universität geben würde.
Die ersten Unterschiede fielen direkt bei der Campus-Führung auf: Man darf in der Bibliothek kostenfrei so viel kopieren, wie man möchte, es gibt einen Writing Support, der Studierende bei ihrer Literaturrecherche und Quellenarbeit hilft, und psychische Gesundheit scheint ein großes Thema zu sein. Beispielsweise hingen während der Prüfungsphase Schilder mit „Take a break“ und es lagen Mandalas für eine entspannte Pause aus. Des Weiteren gab es zweimal die Woche norwegische Schokobrötchen und Kaffee im Campus-Café, wo auch Gesellschaftsspiele und eine Tischtennisplatte bereit standen. Ob diese Unterschiede nun darauf zurückzuführen sind, dass die BI eine private oder eine norwegische Universität ist, kann ich mangels Vergleich mit einer staatlichen norwegischen Universität jedoch nicht final sagen.
Doch wie unterscheiden sich Vorlesungen? Im Gegensatz zu Deutschland waren wir in den meisten Kursen lediglich etwa 30 Personen. Die Unterrichtssprache war Englisch, was bei einem Anteil von 30 Prozent an internationalen Studierenden nicht überraschend ist. Ich spreche hier auch gezielt von ‚Unterrichts‘-Sprache. Dies liegt am zweiten Unterschied zum deutschen System. Zwar stelle ich auch an deutschen Universitäten fest, dass vermehrt der direkte Austausch mit den Studierenden gefördert und gefordert wird – jedoch scheint es mir hierzulande noch keine Selbstverständlichkeit zu sein. In Norwegen hingegen glichen Vorlesungen eher einer Diskussion mit den Dozierenden und waren somit wesentlich interaktiver, wenn man sich darauf einließ. Doch auch eine Vorlesungszeit ist irgendwann vorbei, gefolgt von der Prüfungsphase: Hier wurde Digitalisierung großgeschrieben. Fast alle meine Prüfungen schrieb ich vor Ort unter Aufsicht an meinem eigenen Laptop. Das hatte zwar den Vorteil, dass das Geschriebene auf jeden Fall lesbar war und man auch schneller war – doch das Konzept birgt auch seine Fallstricke. So war mein Laptop mit dem Prüfungsprogramm überfordert, sodass er mitten unter einer Prüfung abstürzte – doch die BI war durch den während der Prüfung anwesenden IT-Support auch auf derlei Situationen vorbereitet und konnte unterstützen.
Und wovon war das universitäre Semester sonst geprägt? Zahlreiche Gruppenarbeiten füllten zeitliche Lücken. Doch hierdurch lernte man automatisch schnell neue Leute aus verschiedensten Ländern kennen und hatte oft auch eine schöne Zeit zusammen.
Wie sind die Norweger wirklich?
Unter meinen Gruppenmitgliedern waren auch ein paar Norwegerinnen und Norweger. Wie sind sie also, die Norweger?
Pauschal kann ich das natürlich nicht beantworten. Dennoch würde ich die Norwegerinnen und Norweger im nüchternen Zustand als eher zurückhaltend und sehr auf ihren eigenen, privaten Raum bedacht beschreiben. Fährt man beispielsweise mit der U‑Bahn, so setzen sich alle Fahrgäste so weit wie nur möglich auseinander – was dort als sehr höflich und nicht als kalt, wie von einigen Austauschstudierenden empfunden, wahrgenommen wird. Abgesehen davon scheint die norwegische Bevölkerung ein sehr sportliches Völkchen zu sein – egal ob Sommer, Herbst oder Winter: Man wird an der frischen Luft stets rennenden – ich schreibe bewusst nicht joggenden –, wandernden oder langlaufenden Menschen begegnen. Wenn der dunkle Winter näher rückt, wird eine weitere Sache klar: Norwegen liebt Weihnachten! Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass vor beinahe alle Produktnamen ein „jul“ für Weihnachten gesetzt wird. So gibt es auf einmal Weihnachts-Gummibärchen, Weihnachts-Schokolade oder das allseits beliebte, traditionelle Weihnachts-Soda.
Winter is coming: Vitamin D‑Tabletten und frische Luft zum Glücklichsein?
Doch wo kommt sie her, die Liebe für die Weihnachtszeit? Meine Vermutung ist, dass die Weihnachtszeit für die norwegischen Menschen ein notwendiger Lichtblick im dunkeln Winter ist. Zumindest hatte ich zeitweise mit dem späten Sonnenauf‑, und frühen Sonnenuntergang im Dezember zu kämpfen, obwohl Oslo noch recht südlich im Land liegt. Daher mein Top-Tipp: Packt auf jeden Fall genügend Vitamin D‑Tabletten ein und versucht jeden Tag zumindest eine halbe Stunde an der frischen Luft zu sein. Dieser Erfahrung nach verstehe ich die rennenden Menschen in Oslo nun auch besser: Mir scheint, dass neben „hyggeliger“ Gemütlichkeit und Fortschrittlichkeit auch eine gute Portion Vitamin D und Aktivität als Rezept zum Glücklichsein der norwegischen Bevölkerung beiträgt.
Ultimative Tipps für Oslo
Daher möchte ich euch abschließend noch ein paar zusätzliche Tipps für Oslo an die Hand geben, damit ihr euch auch in der Dunkelheit wohl fühlt: Falls ihr eher an Indoor-Aktivitäten interessiert seid, dann gefallen euch sicher Oslos zahlreiche Museen. Hier ist gut zu wissen, dass man immer mittwochs ab 18 Uhr kostenfrei das Edvard-Munch-Museum besuchen kann. Von diesem ist auch das eindrucksvoll gebaute Opernhaus nicht weit. Im Nachgang kann man direkt eine der gegenüberliegenden Saunas besuchen und ein erfrischendes Eisbad im Oslo-Fjord nehmen. Apropos Oslo-Fjord: Mit dem regulären Nahverkehrsticket könnt ihr die dortigen Inseln besuchen, die zu einem Spaziergang oder im Sommer auch zu Badespaß einladen. Die Fähren legen an der Aker-Brygge ab, die eine schöne Promenade mit Blick auf Oslos Festung bietet. Und falls der kleine Hunger ruft, findet man hier sicher auch eine passende Lokalität. In Anbetracht eines knappen Studenten-Budgets empfehle ich alternativ „Oslo Streetfood“. Dort gibt es Essen aus verschiedensten Teilen der Welt und man kann in einer offenen Atmosphäre gemütlich zusammensitzen – und an manchen Tagen verwandelt sich der Food-Court zu späterer Stunde sogar in einen Club.
Doch um auch die frische Luft nicht zu vergessen, noch ein paar Outdoor-Tipps: Im Einzugsgebiet des Nahverkehrstickets wären hier auf jeden Fall der Holmenkollen, ein ehemaliger Austragungsort des olympischen Skispringens, oder der wunderschöne Vigelandspark zu nennen. Und wer weiß: Vielleicht erhascht ihr dabei auch das ein oder andere Polarlicht. Für mich geschah zumindest zum Abschluss ein kleines Weihnachtswunder: Zwei Stunden vor meiner Heimreise – die Zimtschnecken waren bereits eingepackt – zeigten sich wunderschöne Perlmutt-Wolken an Oslos dunklem Nachmittagshimmel, die sich wie kleine Regenbögen über den Himmel erstreckten.
Damit kann ich zum Ende nur sagen: Ha det bra og på gjensyn – Tschüss und bis bald, um weitere Teile Norwegens zu erkunden. Vielleicht zeigt sich dann sogar ein Rentier, um meine noch verbleibende Assoziation zu beantworten.