Wie Smartphone-Chips für unsere Sicherheit sorgen sollen
Vom Fahrer zum Passagier
Es zählt zu den großen Zukunftsvisionen: in einem Auto Platz nehmen, ein Ziel auswählen und sich, statt zum Lenkrad zu greifen, zurücklehnen. Wann dieses Szenario im Alltag ankommen wird, lässt sich kaum abschätzen. Automobilhersteller nähern sich dem Thema „Autonomes Fahren“ aber längst an – in kleinen Schritten. Dabei treibt sie vor allem eine Frage um. Wie wird für die Sicherheit von Insassen, anderen Verkehrsteilnehmern und Passanten gesorgt? Welche Rolle Smartphone-Chips in dieser Frage spielen, was sich hinter „Funktionaler Sicherheit“ verbirgt und was die Flugzeugabstürze der Boeing 737 MAX mit all dem zu tun haben – eine Autofahrt mit HSS-Altstipendiat Dr. Felix Schranner bringt Klarheit.
Eine Befürchtung kann Felix Schranner gleich zu Beginn ausräumen. Ein Gespräch über die Zukunft der Automobilindustrie lässt sich auch in einem Opel Mokka führen, obwohl das Fahrzeug der Wahl – Baujahr 2015, Schaltgetriebe und Verbrennungsmotor – auf den ersten Blick keine Merkmale für autonomes Fahren mit sich bringt.
Schranner steigt in München zu, vor dem Sitz der Firma techcos, für die er arbeitet. Ein Spezialdienstleister für die Sicherheit und Zuverlässigkeit technischer Systeme, wie der 36-Jährige erklärt. Hier arbeitet der promovierte Ingenieur im Bereich autonomes Fahren, genauer, an der Bewertung von Steuergeräten auf Chips. Aktuell werden diese in alltäglichen Elektrogeräten verbaut – wer ein Smartphone mit sich trägt, führt gleich mehrere dieser Chips ständig mit sich. Kleine Computer, sozusagen, die künftig Aufgaben übernehmen sollen, die derzeit noch von klassischen Steuergeräten in einem Fahrzeug vorgenommen werden.
Zu Beginn der Fahrt gibt Schranner einen Kurs vor – Ziel ist die Autobahn, „wir fahren einfach in Richtung Nürnberg“. Dort ließen sich die Anforderungen am besten erklären, die derzeit noch an Menschen am Steuer gestellt werden, irgendwann aber von Computern übernommen werden sollen. Das erfolgt ohnehin schrittweise, in der Branche unterscheidet man deswegen in verschiedene Autonomielevel. „Die reichen von Null – das Auto kann nichts – bis hin zum vollständig autonomen Fahren, dem Zustand, den wir vielleicht eines Tages noch miterleben werden. Aber schon dazwischen können wir als Fahrer zeitweise die Kontrolle abgeben, müssen aber in der Regel aufmerksam bleiben und schnell wieder eingreifen können, sollte etwas passieren“, erklärt Schranner.
Heute findet die Fahrt – entgegen der ursprünglichen Annahme – also nicht „völlig unselbstständig“ statt, dafür sorgen verschiedene Assistenzsysteme. Schon der eingebaute Tempomat hebt das Fahrzeug auf Autonomielevel 1.
Klar ist aber auch: die volle Verantwortung für das Fahrzeug und die Sicherheit liegen beim Fahrer. Je mehr von dessen Verantwortung an das Auto selbst abgegeben wird, desto schwieriger wird die Haftungsfrage. Hier sind Experten wie Felix Schranner gefragt. Denn im Mittelpunkt seiner Arbeit mit hochkomplexen Computerchips steht das Abwenden von nicht akzeptablen Risiken – für Leib und Leben, Umwelt und im Endeffekt Kapital.
„Wir beraten also darin, Maßnahmen zu definieren, um Risiken , d.h. deren Wahrscheinlichkeit zu minimieren oder um die möglichen Konsequenzen abzumildern.“ Hintergrund ist dabei das Produkthaftungsgesetz. Schranner erklärt: „Wir müssen sicherstellen, dass es keine inakzeptablen Risiken in Verbindung mit dem Produkt gibt. Und wir müssen belegen können, dass nach dem jetzigen Stand der Technik alles dafür getan wurde, um das Produkt sicher zu machen.“ Bei Autonomielevel 5, dem voll autonomen Fahren, würde das bedeuten, dass die Insassen die Haftung vollständig aus der Hand geben. „Und das ist der Knackpunkt“, so Schranner, „weil die Verantwortung dann vollständig beim Hersteller liegt und ggf. weitergegeben wird an die einzelnen Zulieferer.“
Das Auto muss dann auch in der Lage sein, sämtliche Objekte und Situationen richtig einschätzen zu können. Wie ein Verkehrszeichen aussieht, zum Beispiel, was es bedeutet und auch, welche Herausforderungen eine Baustelle im Straßenverkehr mit sich bringt. Die Fahrt auf der A9 in Richtung Nürnberg gerät in diesem Moment ins Stocken. „Jetzt haben wir zum Beispiel eine interessante Situation. Wir haben erkannt: vor uns aktiviert jemand die Warnblinkanlage, wir nähern uns also einem Stau und dementsprechend bremsen wir. Der Tempomat hätte jetzt einfach Gas gegeben und wäre weitergefahren. Und in Zukunft muss das Fahrzeug genau das selbst beherrschen, es muss erkennen: da stoppt der Verkehr, also bremse ich mit. Rechtzeitig wohlgemerkt.“
Zukünftig sollen Informationen von Kamers, Lidar oder andere technische Sensoren in einem Chip zusammenlaufen. Dort befindet sich eine Logik, die Entscheidungen für das Fahrzeug trifft – was darf ich, was darf ich nicht? Technik rückt folglich an die Stelle, wo heute Sinne, Logik und Intuition des Fahrers entscheiden. Und dies ist nach wie vor Unfallquelle Nummer Eins, der Großteil der Verkehrsunfälle geht auf menschliches Versagen zurück. Und hier sieht Felix Schranner eine große Chance: „Jetzt überholt uns gerade ein Motorrad auf dem Standstreifen. Da kommt es schnell zu einer Situation, in der ich als Fahrer Fehler mache, weil ich nicht aufgepasst habe. Einer Elektronik passiert das nicht, die funktioniert auch im Stau, egal, wie lange der Tag war. Sie ist zuverlässig und wird – anders als wir – nicht irgendwann müde.“
Vereinfacht gesagt, bringt der Mensch das notwendige Wissen mit, ist aber fehleranfällig. Computerchips wiederum müssen in einer Art „Fahrschule“ Wissen generieren, geraten dafür aber kaum an physische Belastungsgrenzen. Die Funktionsweise der Technik muss entsprechend garantiert werden – über die sogenannte „Funktionale Sicherheit“, also die Absicherung von elektronischen oder programmierbaren Systemen. „Wenn diese richtig arbeitet, dann sieht man sie nicht“, fasst Schranner zusammen. Das Gegenteil war bei den Abstürzen des Flugzeugstyps Boeing 737 MAX der Fall. Hier kam zum Konflikt zwischen der Logik des Systems und den Befehlen des Piloten.
Übertragen auf den Straßenverkehr bedeutet das ein Mammutprojekt. Eine hohe Zahl an Verkehrsteilnehmern, eine Zusammensetzung aus personengesteuerten und autonom fahrenden Fahrzeugen und unzählige verschiedene Umgebungen – selbst innerhalb der Landesgrenzen. Weil insbesondere die Umgebung klar abgegrenzt sein muss, hält Schranner die Autobahn für ein Umfeld, wo schon bald längere Fahrten vom Fahrzeug und seiner künstlichen Intelligenz vorgenommen werden könnten. Hier sei die Standardisierung der Fahrbahn und die Definierung der Regeln am klarsten. Die Autobahnfahrt mit Felix Schranner endet wieder in München, Frankfurter Ring, vor der Niederlassung eines großen Automobilherstellers. Die Fahrzeuge hinter den Fensterscheiben, sind allesamt von Menschen, für Menschen gedacht – zumal das nicht autonome Fahren für viele mit großen Emotionen verbunden ist.
Dass er voll autonom fahrende Autos noch selbst erleben wird, glaubt Felix Schranner, 36, eher nicht. Zu groß seien die Haftungsrisiken für die Hersteller. Die Zukunftsvision vom selbst fahrenden Fahrzeug wird zwar realer – mittelfristig bleibt es aber bei der Annäherung.