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Wie Smartphone-Chips für unsere Sicherheit sorgen sollen

Vom Fahrer zum Passagier

Veröffentlicht am 2. Oktober 2021 von Philip Kuntschner

Es zählt zu den gro­ßen Zukunfts­vi­sio­nen: in einem Auto Platz neh­men, ein Ziel aus­wäh­len und sich, statt zum Lenk­rad zu grei­fen, zurück­leh­nen. Wann die­ses Sze­na­rio im All­tag ankom­men wird, lässt sich kaum abschät­zen. Auto­mo­bil­her­stel­ler nähern sich dem The­ma „Auto­no­mes Fah­ren“ aber längst an – in klei­nen Schrit­ten. Dabei treibt sie vor allem eine Fra­ge um. Wie wird für die Sicher­heit von Insas­sen, ande­ren Ver­kehrs­teil­neh­mern und Pas­san­ten gesorgt? Wel­che Rol­le Smart­phone-Chips in die­ser Fra­ge spie­len, was sich hin­ter „Funk­tio­na­ler Sicher­heit“ ver­birgt und was die Flug­zeug­ab­stür­ze der Boe­ing 737 MAX mit all dem zu tun haben – eine Auto­fahrt mit HSS-Alt­sti­pen­di­at Dr. Felix Schran­ner bringt Klarheit.

Dr. Felix Schran­ner, HSS-Alt­sti­pen­di­at
Foto: Pri­vat

Eine Befürch­tung kann Felix Schran­ner gleich zu Beginn aus­räu­men. Ein Gespräch über die Zukunft der Auto­mo­bil­in­dus­trie lässt sich auch in einem Opel Mok­ka füh­ren, obwohl das Fahr­zeug der Wahl – Bau­jahr 2015, Schalt­ge­trie­be und Ver­bren­nungs­mo­tor – auf den ers­ten Blick kei­ne Merk­ma­le für auto­no­mes Fah­ren mit sich bringt.

Schran­ner steigt in Mün­chen zu, vor dem Sitz der Fir­ma tech­cos, für die er arbei­tet. Ein Spe­zi­al­dienst­leis­ter für die Sicher­heit und Zuver­läs­sig­keit tech­ni­scher Sys­te­me, wie der 36-Jäh­ri­ge erklärt. Hier arbei­tet der pro­mo­vier­te Inge­nieur im Bereich auto­no­mes Fah­ren, genau­er, an der Bewer­tung von Steu­er­ge­rä­ten auf Chips. Aktu­ell wer­den die­se in all­täg­li­chen Elek­tro­ge­rä­ten ver­baut – wer ein Smart­phone mit sich trägt, führt gleich meh­re­re die­ser Chips stän­dig mit sich. Klei­ne Com­pu­ter, sozu­sa­gen, die künf­tig Auf­ga­ben über­neh­men sol­len, die der­zeit noch von klas­si­schen Steu­er­ge­rä­ten in einem Fahr­zeug vor­ge­nom­men werden.

Zu Beginn der Fahrt gibt Schran­ner einen Kurs vor – Ziel ist die Auto­bahn, „wir fah­ren ein­fach in Rich­tung Nürn­berg“. Dort lie­ßen sich die Anfor­de­run­gen am bes­ten erklä­ren, die der­zeit noch an Men­schen am Steu­er gestellt wer­den, irgend­wann aber von Com­pu­tern über­nom­men wer­den sol­len. Das erfolgt ohne­hin schritt­wei­se, in der Bran­che unter­schei­det man des­we­gen in ver­schie­de­ne Auto­no­mie­le­vel. „Die rei­chen von Null – das Auto kann nichts – bis hin zum voll­stän­dig auto­no­men Fah­ren, dem Zustand, den wir viel­leicht eines Tages noch mit­er­le­ben wer­den. Aber schon dazwi­schen kön­nen wir als Fah­rer zeit­wei­se die Kon­trol­le abge­ben, müs­sen aber in der Regel auf­merk­sam blei­ben und schnell wie­der ein­grei­fen kön­nen, soll­te etwas pas­sie­ren“, erklärt Schranner.

Heu­te fin­det die Fahrt – ent­ge­gen der ursprüng­li­chen Annah­me – also nicht „völ­lig unselbst­stän­dig“ statt, dafür sor­gen ver­schie­de­ne Assis­tenz­sys­te­me. Schon der ein­ge­bau­te Tem­po­mat hebt das Fahr­zeug auf Auto­no­mie­le­vel 1.

Die ver­schie­de­nen Auto­no­mie­stu­fen eines KfZ – Gra­fik: Banziana

Klar ist aber auch: die vol­le Ver­ant­wor­tung für das Fahr­zeug und die Sicher­heit lie­gen beim Fah­rer. Je mehr von des­sen Ver­ant­wor­tung an das Auto selbst abge­ge­ben wird, des­to schwie­ri­ger wird die Haf­tungs­fra­ge. Hier sind Exper­ten wie Felix Schran­ner gefragt. Denn im Mit­tel­punkt sei­ner Arbeit mit hoch­kom­ple­xen Com­pu­ter­chips steht das Abwen­den von nicht akzep­ta­blen Risi­ken – für Leib und Leben, Umwelt und im End­ef­fekt Kapital.

„Wir bera­ten also dar­in, Maß­nah­men zu defi­nie­ren, um Risi­ken , d.h. deren Wahr­schein­lich­keit zu mini­mie­ren oder um die mög­li­chen Kon­se­quen­zen abzu­mil­dern.“ Hin­ter­grund ist dabei das Pro­dukt­haf­tungs­ge­setz. Schran­ner erklärt: „Wir müs­sen sicher­stel­len, dass es kei­ne inak­zep­ta­blen Risi­ken in Ver­bin­dung mit dem Pro­dukt gibt. Und wir müs­sen bele­gen kön­nen, dass nach dem jet­zi­gen Stand der Tech­nik alles dafür getan wur­de, um das Pro­dukt sicher zu machen.“ Bei Auto­no­mie­le­vel 5, dem voll auto­no­men Fah­ren, wür­de das bedeu­ten, dass die Insas­sen die Haf­tung voll­stän­dig aus der Hand geben. „Und das ist der Knack­punkt“, so Schran­ner, „weil die Ver­ant­wor­tung dann voll­stän­dig beim Her­stel­ler liegt und ggf. wei­ter­ge­ge­ben wird an die ein­zel­nen Zulieferer.“

Das Auto muss dann auch in der Lage sein, sämt­li­che Objek­te und Situa­tio­nen rich­tig ein­schät­zen zu kön­nen. Wie ein Ver­kehrs­zei­chen aus­sieht, zum Bei­spiel, was es bedeu­tet und auch, wel­che Her­aus­for­de­run­gen eine Bau­stel­le im Stra­ßen­ver­kehr mit sich bringt. Die Fahrt auf der A9 in Rich­tung Nürn­berg gerät in die­sem Moment ins Sto­cken. „Jetzt haben wir zum Bei­spiel eine inter­es­san­te Situa­ti­on. Wir haben erkannt: vor uns akti­viert jemand die Warn­blink­an­la­ge, wir nähern uns also einem Stau und dem­entspre­chend brem­sen wir. Der Tem­po­mat hät­te jetzt ein­fach Gas gege­ben und wäre wei­ter­ge­fah­ren. Und in Zukunft muss das Fahr­zeug genau das selbst beherr­schen, es muss erken­nen: da stoppt der Ver­kehr, also brem­se ich mit. Recht­zei­tig wohlgemerkt.“

Zukünf­tig sol­len Infor­ma­tio­nen von Kamers, Lidar oder ande­re tech­ni­sche Sen­so­ren in einem Chip zusam­men­lau­fen. Dort befin­det sich eine Logik, die Ent­schei­dun­gen für das Fahr­zeug trifft – was darf ich, was darf ich nicht? Tech­nik rückt folg­lich an die Stel­le, wo heu­te Sin­ne, Logik und Intui­ti­on des Fah­rers ent­schei­den. Und dies ist nach wie vor Unfall­quel­le Num­mer Eins, der Groß­teil der Ver­kehrs­un­fäl­le geht auf mensch­li­ches Ver­sa­gen zurück. Und hier sieht Felix Schran­ner eine gro­ße Chan­ce: „Jetzt über­holt uns gera­de ein Motor­rad auf dem Stand­strei­fen. Da kommt es schnell zu einer Situa­ti­on, in der ich als Fah­rer Feh­ler mache, weil ich nicht auf­ge­passt habe. Einer Elek­tro­nik pas­siert das nicht, die funk­tio­niert auch im Stau, egal, wie lan­ge der Tag war. Sie ist zuver­läs­sig und wird – anders als wir – nicht irgend­wann müde.“

Ver­ein­facht gesagt, bringt der Mensch das not­wen­di­ge Wis­sen mit, ist aber feh­ler­an­fäl­lig. Com­pu­ter­chips wie­der­um müs­sen in einer Art „Fahr­schu­le“ Wis­sen gene­rie­ren, gera­ten dafür aber kaum an phy­si­sche Belas­tungs­gren­zen. Die Funk­ti­ons­wei­se der Tech­nik muss ent­spre­chend garan­tiert wer­den – über die soge­nann­te „Funk­tio­na­le Sicher­heit“, also die Absi­che­rung von elek­tro­ni­schen oder pro­gram­mier­ba­ren Sys­te­men. „Wenn die­se rich­tig arbei­tet, dann sieht man sie nicht“, fasst Schran­ner zusam­men. Das Gegen­teil war bei den Abstür­zen des Flug­zeugs­typs Boe­ing 737 MAX der Fall. Hier kam zum Kon­flikt zwi­schen der Logik des Sys­tems und den Befeh­len des Piloten.

Über­tra­gen auf den Stra­ßen­ver­kehr bedeu­tet das ein Mam­mut­pro­jekt. Eine hohe Zahl an Ver­kehrs­teil­neh­mern, eine Zusam­men­set­zung aus per­so­nen­ge­steu­er­ten und auto­nom fah­ren­den Fahr­zeu­gen und unzäh­li­ge ver­schie­de­ne Umge­bun­gen – selbst inner­halb der Lan­des­gren­zen. Weil ins­be­son­de­re die Umge­bung klar abge­grenzt sein muss, hält Schran­ner die Auto­bahn für ein Umfeld, wo schon bald län­ge­re Fahr­ten vom Fahr­zeug und sei­ner künst­li­chen Intel­li­genz vor­ge­nom­men wer­den könn­ten. Hier sei die Stan­dar­di­sie­rung der Fahr­bahn und die Defi­nie­rung der Regeln am klars­ten. Die Auto­bahn­fahrt mit Felix Schran­ner endet wie­der in Mün­chen, Frank­fur­ter Ring, vor der Nie­der­las­sung eines gro­ßen Auto­mo­bil­her­stel­lers. Die Fahr­zeu­ge hin­ter den Fens­ter­schei­ben, sind alle­samt von Men­schen, für Men­schen gedacht – zumal das nicht auto­no­me Fah­ren für vie­le mit gro­ßen Emo­tio­nen ver­bun­den ist.

Dass er voll auto­nom fah­ren­de Autos noch selbst erle­ben wird, glaubt Felix Schran­ner, 36, eher nicht. Zu groß sei­en die Haf­tungs­ri­si­ken für die Her­stel­ler. Die Zukunfts­vi­si­on vom selbst fah­ren­den Fahr­zeug wird zwar rea­ler – mit­tel­fris­tig bleibt es aber bei der Annäherung.