Auslandssemester in China
Verkehrte Welt
Markus Freiberger hat eine andere Welt kennengelernt. Eine Welt mit anderen Dimensionen, Überwachung und einer unvorstellbaren Arbeitskultur. Der damals 23-jährige Chemiestudent aus Erlangen war im Winter 2019/2020 ein Semester im chinesischen Shenzhen und erlebte den Ausbruch der Pandemie hautnah mit.
Der Boom
Vor rund 40 Jahren war das ein paar Kilometer nördlich von Hongkong gelegene Shenzhen noch ein unbekanntes Fischerörtchen. Ein paar tausend Menschen lebten dort. Heute ist es eine Millionenmetropole. Je nach Quelle schwanken die Einwohnerzahlen zwischen zwölf und 17,5 Millionen. Hunderte Wolkenkratzer auf einer Fläche, die etwa zweieinhalb Mal so groß ist wie Berlin, erinnert sich Freiberger. “Ein Bericht der vereinten Nationen nannte Shenzhen in diesem Zusammenhang die am schnellsten wachsende Stadt der Menschheitsgeschichte.” Der Staat schreibt sich auf die Fahnen, das “chinesische Silicon Valley”, wie die Stadt mittlerweile oft genannt wird, aus der Taufe gehoben zu haben. Es gelang, Unternehmen unter anderem aus der IT-Branche anzulocken, die Stadt und Entwicklung bis heute prägen. Unter anderem ist der Konzern Huawei in Shenzhen ansässig.
Die Überwachung
Der Fortschritt und die Digitalisierung haben auch ihre Schattenseiten. “Eine der Sachen, die mir in Shenzhen auch von Anfang an aufgefallen sind, ist die überwältigende Anzahl an öffentlichen Kameras”, sagt Freiberger. Rund drei Millionen solcher Kameras gäbe es in der Stadt. Erfasst werden Personen und Fahrzeuge. “So kann man beispielsweise bei Rot über die Ampel fahren und bekommt nach wenigen Sekunden eine SMS mit dem Beweisfoto, dem Bußgeld und dem Verlust sogenannter Sozialpunkte zugesendet.” Ein System, dass sich noch in der Testphase befinde. Für dieses Vorgehen wurde die Regierung in China immer wieder kritisiert.
Die Arbeitswelt
Ein geregelter Tag mit acht Stunden Arbeitstag und eine Fünf-Tage-Woche? Das ist auch in China offiziell üblich. Doch die Praxis sieht oft anders aus.
„Von den meisten Leuten wird erwartet, zwölf Stunden am Tag und mindestens sechs Tage die Woche zu arbeiten, und das wohlgemerkt bei zehn Tagen Urlaub im gesamten Jahr“
Markus Freiberger
Im Rahmen seines Auslandssemester war er an der örtlichen Universität tätig. “Im Gegensatz zu den meisten anderen Auslandsstudenten musste ich an der Shenzhen-Universität keine Vorlesungen besuchen, da ich meine 30 Auslands-ECTS mit einem Laborpraktikum ablegen wollte.” Ein enger Kontakt mit der FAU machte das möglich: Der Professor hatte einst seine Promotion in Erlangen absolviert. In dessen Arbeitsgruppe wurde Freiberger aufgenommen.
“In China wird von Forschern erwartet, täglich von acht bis 21 Uhr im Labor anwesend zu sein, auch an den Wochenenden.” Freiberger nahm sich aber trotzdem genügend Zeit heraus, Land und Leute kennenzulernen.
Die Pandemie
Den 20. Januar 2020 wird Markus Freiberger so schnell nicht vergessen. Als in China der Virus und seine Ansteckung zwischen Menschen bekannt wurde, hielt sich der Stipendiat noch in Shenzhen auf. “Für mich hat sich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht allzu viel geändert, da es für meine Region zunächst weder Ausgangs– noch Reisebeschränkungen gab.” Die meisten Menschen waren zu dieser Zeit längst unterwegs zu Verwandten, um das chinesische Neujahr zu feiern. Freiberger schätzt, dass das auf rund 60 Prozent der Stadtbevölkerung zutraf. Auch wenn die Straßen etwas leerer erschienen, es hatte sich etwas geändert: Immer mehr Leute hätten angefangen, Maske zu tragen, berichtet Freiberger. Über Virus und Infektionslage war noch wenig bekannt. Freiberger handelte. Er reiste nach Hongkong und flog am 28. Januar zurück nach Deutschland.