Studienfahrt nach Luxemburg

Transformation oder Regression?

Veröffentlicht am 4. März 2024 von Fernanda Gesellensetter

Die Hoch­schul­grup­pe „Inter­re­gio­nal 01“, die sich sonst immer online trifft, hat ein­mal im Jahr ein Prä­senz­tref­fen. Ende Febru­ar 2024 ging es nach Luxem­burg. Die klei­nen „Zoom“-Kästchen wur­den also end­lich mal wie­der in ech­te Gesich­ter umge­tauscht. Was folg­te, war ein Wochen­en­de vol­ler Begeg­nun­gen, Dis­kus­sio­nen und Kon­tro­ver­sen. Alles unter dem Mot­to Nach­hal­tig­keit. Gar nicht so einfach …

Zwischen Nicht-Nachhaltigkeit und Herzensangelegenheit

Die Anrei­se stell­te für eini­ge, die in ande­ren Län­dern stu­die­ren, die ers­te Her­aus­for­de­rung dar, denn dass das Flug­zeug kein nach­hal­ti­ges Ver­kehrs­mit­tel ist, ist wohl bei jedem mitt­ler­wei­le ange­kom­men. Doch in man­chen Fäl­len war es nicht anders mög­lich. Mit einem Vor­trag des Ver­trau­ens­do­zen­ten Thors­ten Phil­ipp wur­de die Nach­hal­tig­keit unse­rer Gesell­schaft kri­tisch hin­ter­fragt und es wur­de dis­ku­tiert, ob das Ein­zi­ge, was nach­hal­tig ist, die Nicht-Nach­hal­tig­keit ist. Denn auch wenn jede/r über den Kli­ma­wan­del und die Bri­sanz des The­mas Bescheid weiß, scheint die Imple­men­tie­rung von einem nach­hal­ti­gen Leben einer/eines jeden Ein­zel­nen uto­pisch und für man­che gar als gefähr­li­che Ein­schrän­kung ihrer Frei­heit zu sein.

Wie­so das Land Luxem­burg als Desti­na­ti­on aus­ge­wählt wur­de? Weil es ein klei­nes Land mit gro­ßem Impact ist? Wahr­schein­lich, ja. Das Land spielt trotz sei­ner klei­nen Grö­ße eine gro­ße glo­ba­le Rol­le, allein schon des­halb, weil es inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen wie bei­spiels­wei­se den Euro­päi­schen Gerichts­hof beher­bergt. Wenn Kli­ma­schutz eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit des Groß­her­zog­tums ist, so wie es heißt, soll­te man mei­nen, dass das Land als obers­tes Gebot Nach­hal­tig­keit hat. Das Image ver­mit­telt zumin­dest den Anschein. Kos­ten­lo­ser ÖPNV, Wind­rä­der am Hori­zont und ein Stadt­bild in Luxem­burg selbst, was ein Auge für Natur ver­mu­ten lässt (sie­he Foto).

Ein Baum im Park in Luxemburg Stadt wird gestützt, damit er nicht ganz umfällt.
Ein Baum im Park in Luxem­burg Stadt wird gestützt, damit er nicht ganz umfällt. (Foto: Fer­nan­da Gesellensetter)

Doch der Schein trügt lei­der, denn der gro­ße Impact eines klei­nen Lan­des ist auch im Bereich der Emis­sio­nen groß. Der „Erd­über­las­tungs­tag“ ist hier näm­lich bereits am 20. Febru­ar erreicht, so früh wie in kei­nem ande­ren EU-Land. Den­noch wird auf unter­schied­li­cher Ebe­ne der Kli­ma­wan­del mit ein­be­zo­gen und ver­sucht, Lösun­gen tech­no­lo­gi­scher Art zu finden.

Der Wein hat Stress

Ein Besuch des Wein­bau­in­sti­tuts Viti-Vini­co­le, wel­ches 1925 auf­grund von Pilz­krank­hei­ten und Schäd­lin­gen ins Leben geru­fen wur­de, ist in staat­li­cher Hand. Eine der Auf­ga­ben ist die For­schung am nach­hal­ti­gen Wein­bau. Das Insti­tut ist die Schnitt­stel­le zwi­schen Win­zer und For­schung. Hier wird an schäd­lings­re­sis­ten­ten Sor­ten geforscht und ver­sucht, mög­lichst wet­ter­re­sis­ten­te Pflan­zen zu züch­ten. Um 1855 kamen Pilz­krank­hei­ten wie Pero­no­spo­ra und Oidi­um aus Ame­ri­ka nach Euro­pa. Durch die Glo­ba­li­sie­rung wer­den sol­che Phä­no­me­ne immer grö­ßer. So muss sich das Insti­tut bei­spiels­wei­se ver­mehrt auch gegen inva­si­ve Arten wie die asia­ti­sche Hor­nis­se wappnen.

Mareike Schultz (l.) und Christopher Simon beraten beim Weinbauinstitut Viti-Vinicole Winzer.

Die Arbeit im Insti­tut ist oft sehr müh­sam, so muss­te Marei­ke Schultz, die seit neun Jah­ren bei Viti-Vini­co­le arbei­tet, anfangs die Wet­ter­da­ten der ver­gan­ge­nen 50 Jah­re aus­wer­ten, um Rück­schlüs­se auf die Aus­wir­kun­gen auf die Reb­sor­ten zu bekommen.

Ein Wan­del und ein Umden­ken müs­sen statt­fin­den, den­noch sagt Marei­ke Schultz (hier im Bild zusam­men mit Chris­to­pher Simon): „Ich bin mir rela­tiv sicher, dass die tra­di­tio­nel­len Sor­ten nicht weg­fal­len, son­dern sich anpas­sen.“ Der Ries­ling sei ver­gleichs­wei­se sta­bil. Den­noch ste­hen Schultz und ihr Team vor Her­aus­for­de­run­gen wie Tro­cken­stress, Son­nen­brand, Hoch­was­ser, Pflan­zen­schutz, Regu­la­ri­en und vie­len wei­te­ren. Ob in Zukunft Robo­ter Infek­tio­nen früh­zei­tig erken­nen und bekämp­fen kön­nen, bleibt abzuwarten.

Was man aber als Wein­lieb­ha­ber beim Kauf tun kann, ist bei­spiels­wei­se auf ein AOP-Sie­gel zu ach­ten, oder auf das deut­sche Pen­dant VDP. Damit wird sicher­ge­stellt, dass die Wei­ne staat­lich kon­trol­liert wurden.

Luxemburg ist Autoland

Auch der Besuch im Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um stand unter dem Mot­to „Trans­for­ma­ti­on und Regres­si­on“, wie nach­hal­tig kann der luxem­bur­gi­sche Ver­kehr sein?

In Luxem­burg gibt es, nach den ara­bi­schen Emi­ra­ten, die meis­ten Autos pro Ein­woh­ner, erzählt Chris­to­phe Reu­ter, Regie­rungs­be­ra­ter im Minis­te­ri­um für Mobi­li­tät und öffent­li­che Arbei­ten. Dass das nicht nach­hal­tig ist, liegt auf der Hand. Denn obwohl in Luxem­burg der ÖPNV seit 2020 kos­ten­los ist, wer­den 40 % der Emis­sio­nen allein durch den Ver­kehr ver­ur­sacht. „Das Ver­kehrs­mit­tel ist nach­her nur die Ver­pa­ckung“, so Reu­ter, doch das scheint die Luxem­bur­ger nur schwer von ihren gelieb­ten Autos weg­zu­brin­gen, Luxem­burg gilt tra­di­tio­nell als Auto-Land.

Auch der soge­nann­te „Tank­tou­ris­mus“, der statt­fin­det, weil die Sprit­prei­se in Luxem­burg deut­lich nied­ri­ger sind als in den Nach­bar­län­dern, beträgt acht Pro­zent des Staats­haus­hal­tes. Viel­leicht soll­ten sich die Luxem­bur­ger da etwas von den deut­schen Sprit­prei­sen abschau­en, und wir uns von dem kos­ten­lo­sen ÖPNV. Schließ­lich gibt Luxem­burg im Jahr 600 Euro pro Ein­woh­ner für neue Bahn­stre­cken aus, Deutsch­land ledig­lich 70 Euro. Jedoch muss der Wan­del gemein­sam statt­fin­den und sich an die Bür­ger rich­ten. „Poli­tik ist eigent­lich Geschich­ten erzäh­len“, so  Reu­ter. „Man muss die Men­schen dort abho­len, wo sie stehen.“

Christophe Reuter, Regierungsberater im Ministerium für Mobilität und öffentliche Arbeiten
„Wir sind ein Auto-Land. Das Ver­kehrs­mit­tel ist nach­her nur die Ver­pa­ckung“, so Chris­to­phe Reu­ter, Regie­rungs­be­ra­ter im Minis­te­ri­um für Mobi­li­tät und öffent­li­che Arbei­ten. (Foto: Simon Heß)

Doch auch wenn das Land die längs­te Fahr­rad­brü­cke außer­halb von Chi­na hat und mit einem Fahr­rad­lift lockt, um die beträcht­li­chen Höhen­un­ter­schie­de in der Stadt zu über­win­den, gibt es immer noch Staus, soweit das Auge reicht. Im Zuge des­sen scheint das Net-Zero-Ziel noch in wei­ter Fer­ne. Doch Reu­ter, der Bau­in­ge­nieur­we­sen stu­dier­te, ist zuver­sicht­lich: „Man kann den Auto­ver­kehr stop­pen, indem man ihm die Park­plät­ze weg­nimmt.“ Das ist bestimmt ein guter Ansatz, eben­so wie der alle zwei Jah­re statt­fin­den­de inter­na­tio­na­le Kon­gress zur Mobi­li­täts­pla­nung. Nichts­des­to­trotz muss der Wan­del schnel­ler kom­men, nicht nur in Luxem­burg, son­dern welt­weit. Und was gibt es Sinn­vol­le­res, als sich mit ande­ren Län­dern aus­zu­tau­schen, zu dis­ku­tie­ren und neue Denk­an­sät­ze zu imple­men­tie­ren. Die Sti­pen­dia­ten der Hoch­schul­grup­pe „Inter­re­gio­nal 01“ haben genau das versucht.

Erst nach(haltig)denken, dann Häusle bauen

Das Wochen­en­de war nicht nur auf den staat­li­chen Sek­tor fokus­siert. Auch mit pri­vat­wirt­schaft­li­chen Akteur/innen, wie bei­spiels­wei­se Deloit­te, wur­de in einen Dia­log getre­ten. Wie nach­hal­tig Wirt­schafts­prü­fungs-Unter­neh­men wirk­lich sind, blieb Fir­men­ge­heim­nis. Für vie­le Kon­tro­ver­sen sorg­te auch der Besuch eines „earth­ships“, bei dem Dr. Katy Fox das Pilot­pro­jekt eines nach­hal­ti­gen „low tech“ Hau­ses vor­stell­te. Die­ses soll ande­re moti­vie­ren, Tei­le des Hau­ses zu adap­tie­ren, und ein Umden­ken in der her­kömm­li­chen Gebäu­de­pla­nung bewir­ken. Wie­der­ver­wen­dung, Res­sour­cen spa­ren und Men­schen zusam­men­brin­gen, das scheint das Mot­to des „Äerd­schëff“ zu sein. Auch wenn die Umset­zung seit der Pla­nung zehn Jah­re gedau­ert hat und ins­ge­samt rund 1,5 Mil­lio­nen Euro kos­te­te, ist es ein Vor­rei­ter, der zei­gen soll, dass ein Wan­del in der Bau­bran­che zu mehr Nach­hal­tig­keit mög­lich ist. Was­ser­kreis­lauf­sys­te­me, Solar­pa­nels auf dem Dach, Haus im Haus, Wie­der­ver­wer­tung von Mate­ria­li­en, alte Auto­rei­fen als Dämm­wän­de oder eige­ne Bana­nen­bäu­me anbau­en. All das regt zum Nach­den­ken an – und das soll es auch. Die Wir­kung ist also erzielt. Zumin­dest bei uns.

Dr. Katy Fox
Dr. Katy Fox arbei­tet an dem „earth­ship“ mit, dem „äerdscheff“. Das Wis­sen­schafts­pro­jekt zeigt, wie man nach­hal­tig bau­en könn­te. (Foto: Simon Heß)

Fazit

Das Exkur­si­ons­wo­chen­en­de hat nicht nur mit den Redner/innen der besuch­ten Insti­tu­tio­nen für Dis­kus­sio­nen gesorgt, son­dern auch unter­ein­an­der. Gemein­sam­kei­ten und Unter­schie­de. Ängs­te und tech­no­lo­gi­sche Ansät­ze. Indi­vi­du­el­le und kol­lek­ti­ve Ver­ant­wor­tung. Nach­hal­tig­keit in einer kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft. All das wird uns auch weit über das Wochen­en­de hin­weg beglei­ten. Es wird nicht das ein­zi­ge Semi­nar mit Schwer­punkt auf Nach­hal­tig­keit gewe­sen sein und wir freu­en uns jetzt schon auf die Exkur­si­on im nächs­ten Jahr. Wo es dann hin­geht, ist noch in Planung.