Doris Hermle überwacht gefährliche Gesteinsbewegungen im Gebirge
Schlafende Riesen
Die Gletscher der Alpen, sie schwinden – das ist bekannt. Weitaus weniger bekannt ist, was sich unter den wegschmelzenden Gletschern abspielt. Denn das Gestein in den Bergen schläft nicht. Es ist ständig in Bewegung und: es droht herunterzustürzen. Doris Hermle, Geografin und Promotionsstipendiatin der Hanns-Seidel-Stiftung, arbeitet daran, diese unsichtbare Gefahr sichtbar zu machen.
Ihr Forschungsgebiet liegt auf über zweitausend Metern Höhe. Bis auf 2700 Meter erstreckt sich das Sattelkar im Tirol. „Ein Kar ist so etwas wie eine Mulde in den Bergwänden“, erklärt Hermle. Ein Kar kommt zum Vorschein, wenn der Gletscher darüber verschwindet. Unter dem vom Gletscher geschliffenen Karboden sind große Schuttmengen verborgen, die sich lösen können. Mit dem wegschmelzenden Gletscher wird sozusagen einem schlafenden Steinriesen die Bettdecke weggezogen. Dabei kann es zu dramatischen Naturereignissen kommen. 2014 sind aufgrund eines Starkregenereignisses mächtige Muren und Felsstürze ins Tal unter dem Sattelkar abgegangen.
Drohnen machen Bilder vom Sattelkar, die Doris Hermle braucht, um Gesteinsbewegungen sichtbar zu machen. Eine Software vergleicht Aufnahmen, die zu verschiedenen Zeitpunkten entstanden. Das Programm erkennt so Muster in der grauen Gesteinsoberfläche wieder und kann daraus Bewegungen nachvollziehen. In der exponierten Lage des Sattelkars hat diese innovative Methode des Monitorings einen entscheidenden Vorteil gegenüber herkömmlichen Sensoren. Diese könne man dort oben nicht installieren, das Gelände sei viel zu gefährlich und instabil, meint Doris Hermle. „Außerdem gibt es kein Handynetz, keinen Internetzugang, nicht mal einen Wanderweg. Das ist keine gemähte Wiese da oben.“
Wer solche Gebiete erforscht, muss nicht nur am Schreibtisch fit sein. Doris Hermle ist auch Alpinistin. „Die Hänge sind steil, sehr steil“, beschreibt sie den abenteuerlichen Zustieg zum Untersuchungsgebiet. „Das Gelände ist weglos und die Steine sind grasüberwachsen, sodass man leicht danebentreten kann.“ Man müsse sich seinen Weg selbst erkämpfen.
Die Liebe zum Bergsteigen, das Interesse an Naturgefahren und die Affinität zur Luftfahrt waren es, die in Doris Hermle ihren Berufswunsch formten. In Innsbruck begann sie ihr Geographiestudium und beschäftigte sich zunächst mit Schneelawinen. Inzwischen ist sie Expertin auf dem Gebiet der Fernerkundung und Drohnenpilotin.
Ihre bisherigen Untersuchungen ergaben, dass die Gesteinsblöcke sehr sensibel auf Wasser reagieren und leicht mobilisierbar sind. Aktuell drohe keine Gefahr vom Sattelkar, schätzt Doris Hermle. 2014 sei wahrscheinlich ein Einzelereignis gewesen. Betrachtet man jedoch den gesamten Alpenraum, besteht ein wachsendes Risiko an Berg- und Felsstürzen und Steinschlag. Um das Gebirge zu stabilisieren, müsse man immense Baumaßnahmen ergreifen. „Man kann aber nicht alles zubetonieren“, sagt Hermle weiter. „Da geht es ganz klar um Monitoring und Überwachung.“ Und was am Sattelkar im Kleinen erforscht wird, könnte auf große Gebiete übertragen werden. So können Forscherinnen und Forscher wie Doris Hermle für mehr Sicherheit im Alpenraum sorgen.