Foto: Doris Hermle

Doris Hermle überwacht gefährliche Gesteinsbewegungen im Gebirge

Schlafende Riesen

Veröffentlicht am 2. Oktober 2021 von Miriam Straßer

Die Glet­scher der Alpen, sie schwin­den – das ist bekannt. Weit­aus weni­ger bekannt ist, was sich unter den weg­schmel­zen­den Glet­schern abspielt. Denn das Gestein in den Ber­gen schläft nicht. Es ist stän­dig in Bewe­gung und: es droht her­un­ter­zu­stür­zen. Doris Herm­le, Geo­gra­fin und Pro­mo­ti­ons­sti­pen­dia­tin der Hanns-Sei­del-Stif­tung, arbei­tet dar­an, die­se unsicht­ba­re Gefahr sicht­bar zu machen.

Doris Herm­le, Foto: Doris Hermle

Ihr For­schungs­ge­biet liegt auf über zwei­tau­send Metern Höhe. Bis auf 2700 Meter erstreckt sich das Sat­tel­kar im Tirol. „Ein Kar ist so etwas wie eine Mul­de in den Berg­wän­den“, erklärt Herm­le. Ein Kar kommt zum Vor­schein, wenn der Glet­scher dar­über ver­schwin­det. Unter dem vom Glet­scher geschlif­fe­nen Kar­bo­den sind gro­ße Schutt­men­gen ver­bor­gen, die sich lösen kön­nen. Mit dem weg­schmel­zen­den Glet­scher wird sozu­sa­gen einem schla­fen­den Stein­rie­sen die Bett­de­cke weg­ge­zo­gen. Dabei kann es zu dra­ma­ti­schen Natur­er­eig­nis­sen kom­men. 2014 sind auf­grund eines Stark­re­gen­er­eig­nis­ses mäch­ti­ge Muren und Fels­stür­ze ins Tal unter dem Sat­tel­kar abgegangen. 

Droh­nen machen Bil­der vom Sat­tel­kar, die Doris Herm­le braucht, um Gesteins­be­we­gun­gen sicht­bar zu machen. Eine Soft­ware ver­gleicht Auf­nah­men, die zu ver­schie­de­nen Zeit­punk­ten ent­stan­den. Das Pro­gramm erkennt so Mus­ter in der grau­en Gesteins­ober­flä­che wie­der und kann dar­aus Bewe­gun­gen nach­voll­zie­hen. In der expo­nier­ten Lage des Sat­tel­kars hat die­se inno­va­ti­ve Metho­de des Moni­to­rings einen ent­schei­den­den Vor­teil gegen­über her­kömm­li­chen Sen­so­ren. Die­se kön­ne man dort oben nicht instal­lie­ren, das Gelän­de sei viel zu gefähr­lich und insta­bil, meint Doris Herm­le. „Außer­dem gibt es kein Han­dy­netz, kei­nen Inter­net­zu­gang, nicht mal einen Wan­der­weg. Das ist kei­ne gemäh­te Wie­se da oben.“

Wer sol­che Gebie­te erforscht, muss nicht nur am Schreib­tisch fit sein. Doris Herm­le ist auch Alpi­nis­tin. „Die Hän­ge sind steil, sehr steil“, beschreibt sie den aben­teu­er­li­chen Zustieg zum Unter­su­chungs­ge­biet. „Das Gelän­de ist weg­los und die Stei­ne sind gras­über­wach­sen, sodass man leicht dane­ben­tre­ten kann.“ Man müs­se sich sei­nen Weg selbst erkämpfen.

Die Lie­be zum Berg­stei­gen, das Inter­es­se an Natur­ge­fah­ren und die Affi­ni­tät zur Luft­fahrt waren es, die in Doris Herm­le ihren Berufs­wunsch form­ten. In Inns­bruck begann sie ihr Geo­gra­phie­stu­di­um und beschäf­tig­te sich zunächst mit Schnee­la­wi­nen. Inzwi­schen ist sie Exper­tin auf dem Gebiet der Fern­erkun­dung und Drohnenpilotin.

Doris Herm­le beim Abstieg, Foto: Doris Hermle

Ihre bis­he­ri­gen Unter­su­chun­gen erga­ben, dass die Gesteins­blö­cke sehr sen­si­bel auf Was­ser reagie­ren und leicht mobi­li­sier­bar sind. Aktu­ell dro­he kei­ne Gefahr vom Sat­tel­kar, schätzt Doris Herm­le. 2014 sei wahr­schein­lich ein Ein­zel­er­eig­nis gewe­sen. Betrach­tet man jedoch den gesam­ten Alpen­raum, besteht ein wach­sen­des Risi­ko an Berg- und Fels­stür­zen und Stein­schlag. Um das Gebir­ge zu sta­bi­li­sie­ren, müs­se man immense Bau­maß­nah­men ergrei­fen. „Man kann aber nicht alles zube­to­nie­ren“, sagt Herm­le wei­ter. „Da geht es ganz klar um Moni­to­ring und Über­wa­chung.“ Und was am Sat­tel­kar im Klei­nen erforscht wird, könn­te auf gro­ße Gebie­te über­tra­gen wer­den. So kön­nen For­sche­rin­nen und For­scher wie Doris Herm­le für mehr Sicher­heit im Alpen­raum sorgen.