„Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden"
Schaffen wir Klimaneutralität bis 2035, Herr Holler?
Christian Holler ist CdAS-Mitglied und Professor für Ingenieurmathematik an der Hochschule München. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich intensiv mit erneuerbaren Energien. In seinem neusten Buch erklärt er, ob die Energiewende zu schaffen ist und was jeder Einzelne tun kann.
Ein Anliegen ist Christian Holler besonders wichtig. „Jeder sollte sich mit dem Thema Energie auseinandersetzen und nachvollziehen, wo sich die großen Hebel befinden“. Die großen Hebel: Sie liegen laut dem Professor für Ingenieurmathematik unter anderem in den Bereichen Heizung und Verkehr. „Und da kann ich natürlich auch als Individuum etwas verändern. Etwa einen ordentlichen Ökostromvertrag holen, weniger Autofahren und Fliegen. Auch das Elektroauto wird zukünftig vermutlich eine große Rolle spielen“, glaubt Christian Holler. Dass Plastiktüten einen signifikanten Anteil am CO2-Ausstoß ausmachten, sei hingegen ein weitverbreiteter Irrglaube.
Mit dem Thema der erneuerbaren Energien beschäftigt sich Holler ausführlich in seinem neuen Buch „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“. Geschrieben hat es Holler mit seinen drei Co-Autoren Joachim Gaukel, Florian Lesch und dem aus dem TV bekannten Harald Lesch. Ziel der vier Wissenschaftler ist es, Hintergründe zu den erneuerbaren Energiequellen verständlich zu vermitteln. Wie ist es um die Verfügbarkeit von Biomasse bestellt? Wieviel kann Sonnenenergie leisten? Und wird die Energiewende mit erneuerbaren Energien gelingen? Holler und seine Kollegen versuchen, den Antworten auf diese Fragen näherzukommen.
Thematisch schließt der promovierte Astrophysiker damit an sein erstes Buch „Erneuerbare Energien ohne heiße Luft“ an, das er vor drei Jahren veröffentlicht hat. „Von den Inhalten her ist es gar nicht so viel anders. Wir haben aber festgestellt, dass das erste Buch für die Allgemeinheit an manchen Stellen zu physikalisch war“, erklärt der Professor, der während seines Physikstudiums an der LMU in München von der Hanns-Seidel-Stiftung gefördert worden war. Mit dem neuen Buch zielt er nun auf eine breite Öffentlichkeit ab.
Dabei wird das Thema der Energiegewinnung im gesellschaftlichen Diskurs aktuell vermutlich so stark diskutiert wie nie zuvor. „Bislang mussten wir uns mit dem Thema Energie bewusst nie auseinandersetzen. Der Strom kam immer aus der Steckdose und wir konnten immer so viel Autofahren und Fliegen wie wir wollen“, sagt Holler.
Das verstärkte Bewusstsein für die drohende Klimakatastrophe habe dies verändert und Fragen der erneuerbaren Energien in die Öffentlichkeit gebracht.
Ein für manchen überraschendes Thema, das die Autoren im aktuellen Buch thematisieren, ist die Kernenergie. „Emotional ist das Thema schwierig, weil es politisch eigentlich durch ist. Gesellschaftlich aber nicht. Die Diskussion war vor fünf Jahren geringer als heute und kommt zunehmen wieder hoch“, sagt Holler. Dabei habe er seine persönliche Haltung zu Atomkraft überdacht. „Als Physiker war ich lange kein Atomkraftgegner. Je mehr ich mich mit ihr beschäftigt habe, desto eher wurde ich aber zu einem. Wenn man sich die Fakten anschaut, wird einem immer klarer, dass das keine Zukunft hat“, sagt er. Ein Grund dafür sei, dass es schlicht nicht realistisch sei, den gewaltigen Energiehunger in Deutschland im Jahr 2050 über Atomkraftwerke zu decken. „Wenn ich das komplett über Kernkraft schaffen wollte, müssten wir in 20 Jahren 100 bis 150 Atomkraftwerke allein in Deutschland bauen. Das ist jenseits von jedem realistisch erreichbaren Ziel“, sagt Holler.
Dabei hat der Experte für erneuerbare Energien das Gefühl, dass sich die Politik nicht traue, Menschen in der Klima- und Energiepolitik die ungeschönte Wahrheit zu sagen. „In der Demokratie besteht natürlich die Gefahr, dass jemand nicht mehr gewählt wird, der unbeliebte Dinge sagt“, konstatiert Holler. Dennoch glaubt er, man müssen den Menschen die Wahrheit auf den Tisch legen – und vor allem ehrlich beschreiben, was geschehe, wenn Klimaneutralität nicht rechtzeitig erreicht wird. „Häufig reden wir nur über Stürme und Überschwemmungen, aber wir werden uns auch darauf einrichten müssen, dass sich viele Millionen Menschen in Bewegung setzen werden“, mahnt er. Viele Gebiete rund um den Äquator würden dann schlicht nicht mehr bewohnbar sein. Dieses Szenario, das drohe, wenn zu wenig in der Klimapolitik gemacht werde, müsste laut Holler aus Gründen der Ehrlichkeit stärker im politischen Diskurs vorkommen.
Abgesehen davon glaubt Holler aber, dass es Vieles gebe, was auch der Einzelne tun könne und müsse. „Man muss sich kritisch informieren. Sich die Details anschauen. Wir werden uns mit Energie und den Zahlen dazu auseinandersetzen müssen“, sagt er. Holler selbst blickt in die Zukunft übrigens mit gemischten Gefühlen, ist laut eigener Aussage aber optimistischer als früher. „Wir haben langsam einen ökonomischen Wandel, in dem grüner Strom von sich aus auch ohne Subventionen interessant wird. Der Strom aus Sonne ist in den meisten Gegenden inzwischen günstiger als Kohlestrom. Dass wir es bis 2035 schaffen werden, klimaneutral zu sein, wird extrem schwierig. Aber dass es uns etwas später gelingen kann, denke ich schon.“
„Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ (176 Seiten, ISBN: 9783570104583) ist im Bertelsmann-Verlag erschienen und ist zum Preis von 18 Euro als Taschenbuch erhältlich.