Studienfahrt nach Marokko
Politik im Land der Tajine
Bunte Gewürzberge, das schneebedeckte Atlasgebirge, Moscheen mit Minaretts und dem Ruf des Muezzins, Pfefferminztee und Tajine – das alles verbindet man mit Marokko. Um dieses faszinierende Land zu entdecken und kennenzulernen, machte sich eine Gruppe von 20 Stipendiatinnen und Stipendiaten der Hanns-Seidel-Stiftung auf den Weg nach Nordafrika. „Andalusischer Zauber und (geo-)politische Machtinteressen“ standen im Mittelpunkt der Studienfahrt.
Nur 14 Kilometer trennen Europa und Afrika voneinander, was auch beim Flug von Frankfurt-Hahn nach Fès über der Meerenge von Gibraltar zu erkennen war. Auf dem modernen Flughafen wurde die Gruppe vom Team des Hanns-Seidel-Büros Marokko, Projektleiter Miloud Isafiani und Praktikantin Fatima Zahra, begrüßt. Sie hatten einen großen Teil des Programms der Reise geplant. Dr. Said AlDailami, Referatsleiter und Experte für den arabischen Raum, seine Assistentin Aida Gomez und Andreas Wüst, Marokko-Experte der HSS, hatten die Reise mit viel Leidenschaft organisiert, wie Tag für Tag in Marokko zu erleben war.
Fès, eine der fünf Königsstädte, gilt als kulturelle, religiöse und spirituelle Hauptstadt Marokkos. Zugleich ist sie seit 1981 UNESCO-Weltkulturerbe. Der marokkanische Reiseleiter zeigte bei einer Stadtführung mit großer Begeisterung die engen Gassen der Altstadt und führte an reichhaltigen und farbenfrohen Obst- und Gemüseständen vorbei zu den Gerbereien. Durch das enge Treppenhaus eines unscheinbaren Hauses kam man zu einem Balkon. Im goldenen Licht der Sonne glitzerten die weltberühmten Farbtöpfe, in denen das Leder zuerst von den Tierhaaren befreit und dann eingefärbt wird. Die Menschen, die dort arbeiten, stehen barfuß in den Farbtöpfen und erledigen den ganzen Tag über in der Sonne eine anstrengende Arbeit. Ein sehr strenger Geruch herrscht in diesem Gerberviertel. Frische Minzblätter helfen, diesen Duft zu übertönen.
Am nächsten Vormittag erhielt die Gruppe eine Führung durch die Töpferei und Keramikwerkstatt Art Naji am Stadtrand von Fes. In dieser Kooperative wurden die Stipendiatinnen und Stipendiaten von einem jungen Marokkaner in deutscher Sprache herzlich empfangen. Er zeigte die gesamte Werkstatt, die verschiedenen Arbeitsschritte der Töpfer und den Ausstellungsraum mit den bunten Waren. Man konnte zusehen, wie die Töpfer Tajine, den traditionellen Ton-Topf, formen und auch große Vasen herstellen. Nach dem ersten Brand werden diese mit verschiedenen Mustern von geduldigen Malerinnen und Malern verziert. Es werden auch aufwendige Mosaike gefertigt und am Ende entstehen bunte Tischplatten, Wandfliesen oder Dekoration.
Danach startete eine Stadtführung am bekannten blauen, mit Mosaiken verzierten Tor von Fes. Im Souk, dem arabischen Geschäftsviertel, erlebte die gesamte Gruppe einen Kulturschock. Es gab Fleisch, Fisch und sogar Schnecken an kleinen Straßenständen zu kaufen. Die Händler boten lebende Truthähne an, während in den engen Gassen der Ruf „Ballak“ – „Achtung!“ – ertönte. Und schon kam ein vollbepackter Esel oder ein Lastenwagen mit großen, gelben Melonen um die Ecke. Alles war sehr lebhaft, die Menschen voller Energie. In Fès wurde deutlich, dass Handwerkskunst in Marokko eine wichtige Rolle spielt.
Beim anschließenden Termin bei ADER, einer Organisation, die für den Erhalt und die Weiterentwicklung des UNESCO-Weltkulturerbes der Altstadt von Fes zuständig ist, berichteten die Mitarbeiter stolz, dass sie in den vergangenen Jahren über 300 Projekte umsetzen konnten. Außerdem sind sie seit 2015 auch für die Region von Fes bis Meknès zuständig. Sie setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen der Künstler ein.
Rabat, ein moderne Hauptstadt mit europäischem Flair
Am dritten Tag machte sich die Gruppe auf den Weg nach Rabat, die Hauptstadt von Marokko. Weiße, moderne Häuser, kurz gemähter Rasen, hohe Palmen – eine sehr moderne Stadt mit europäischem Flair. Der Fluss Bou-Regreg hat mehrere Quellflüsse, die im mittleren Atlasgebirge entspringen, und verläuft durch die Hauptstadt. Er ist 179 Kilometer lang und trennte einst die Städte Rabat und Salé voneinander. Der Fluss mündet in den Atlantik. Während des Vormittags in Rabat lernte die Gruppe in einem kleinen Café Dr. Mounir Azzaoui, den Leiter des Auslandsbüros der HSS in Marokko, kennen. Der promovierte Islamwissenschaftler und Marokkaner begleitete die Gruppe während des Aufenthalts in Rabat und gab die Kultur des Landes in vollen Zügen an die Stipendiatinnen und Stipendiaten weiter.
Im Museum Mohammed VI für moderne und zeitgenössische Kunst in Rabat wurde die Gruppe vom Leiter der Einrichtung empfangen, der über seine persönlichen Begegnungen mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern berichtete. Er selbst war Maler und hatte sich zum Leiter des Museums hoch gearbeitet. Beim Wechsel von Skulpturen und Bilder von nationalen und internationalen Artisten werde darauf geachtet, Werke von bekannten wie auch unbekannten Kunstschaffenden auszustellen. Nach dem Museumsbesuch ging es im Innenhof der Festung von Rabat durch den Andalusischen Garten.
Diplomatie aus Sicht des deutschen Botschafters
Auch in der Deutschen Botschaft in Rabat erlebten die Stipendiatinnen und Stipendiaten die für Marokko typische Herzlichkeit und große Gastfreundschaft. Botschafter Robert Dölger ist seit zwei Jahren im Land. Vorher war er bereits in Ouagadougou, Kopenhagen, London und Ankara sowie für die NATO in Brüssel tätig. Während des Gesprächs mit der aufmerksam lauschenden Gruppe machte er deutlich, dass Marokko ein sehr spannendes Land ist. Dort treffen afrikanische, arabische, berberische, muslimische, jüdische und europäische Identitäten zusammen. Vor 1000 Jahren waren Marokko und Spanien ein Kulturkreis. Marokko gilt heute als wichtige Handelsmacht und ist bis Guinea in Subsahara-Afrika vernetzt. Das Land verfügt über eine moderne Verfassung, die teilweise von der französischen Protektoratsmacht beeinflusst wurde. Neben der Regierung, dem Parlament, dem Verfassungsgericht, dem Staat des Hofes (almakhzin) und den Beratern des Königs bleibt dem König genügend Macht, um die Geschicke des Landes maßgeblich zu steuern. Er gilt zusätzlich als religiöses Oberhaupt im Land, als „Führer der Gläubigen“ (amir almu´minin). Besonders erwähnenswert ist der Umstand, dass seine Exekutivmacht in der Verfassung so nicht festgeschrieben ist. Der Botschafter kam zu dem Schluss, dass die Monarchie in gewisser Weise für Stabilität sorge. Im Bereich der Verwaltung steche Marokko als positives Beispiel heraus. Dölger machte deutlich, dass er sehr gute Gesprächspartner in Ministerien oder im Büro des Königs habe. Von dort kämen vielversprechende Vorschläge zur Weiterentwicklung des Landes. Auch in den Bereichen der Frauenrechte und des Erbrechts ließen sich Fortschritte erkennen. Während in Deutschland in der Schule, in Universitäten, in den Medien und in der gesamten Gesellschaft sehr viel und offen diskutiert wird, warten die Marokkaner auf die Meinung ihres Königs, der in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Jedoch muss auch berücksichtigt werden, dass es Gegner der Monarchie gibt. Die Republikaner sind beim König nicht beliebt, da sie seine Identität angreifen. Betrachtet man nun die bilateralen Beziehungen zwischen Marokko und Deutschland oder der Europäischen Union, gilt Marokko als wichtiger Handelspartner für die EU. Zahlreiche Firmen haben in Marokko investiert. Sie finden dort sehr gut ausgebildete und zugleich günstige Arbeitskräfte.
Die Aufgabe des deutschen Botschafters in Marokko ist es, die politische Zusammenarbeit mit den Sahel-Ländern zu fördern und zu stärken. Sowohl die Entwicklung als auch der Austausch laufen sehr gut. Beide Länder verfolgen eine deckungsgleiche Politik, was die Migration betrifft. Eine Auswanderung ist wichtig. Sie muss aber geregelt und legal ablaufen. Daran arbeite die Bundesrepublik in Zusammenarbeit mit der marokkanischen Regierung, so der Botschafter. Er machte jedoch auch deutlich, dass es bestimmte Aspekte gibt, die er als Auslandsvertreter nicht beeinflussen kann und möchte. Gesetzlich gibt es in Marokko noch keine Gleichstellung von Frauen und Männern. Die Bevölkerung ist grundsätzlich konservativ. Es gibt zahlreiche Organisationen, die sich für die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frauen einsetzten und unterstützt werden. Zum Abschluss nannte Dölger die Bereiche, für die er sich im Auftrag der Bundesregierung in Marokko einsetzt. Dazu zählen Fachkräfteeinwanderung, Energie- und Sicherheitspolitik wie auch die Förderung der Frauenrechte. Zusätzlich soll die Klimapolitik vorangetrieben werden.
Politische Herausforderungen
Vorträge zur Entwicklung des Landes standen im Büro der Hanns-Seidel-Stiftung Marokko, wo Büroleiter Dr. Mounir Azzaoui und Projektleiter Miloud die Stipendiatengruppe empfingen, auf dem Programm.
Prof. Abduljabbar Arrache, der an der Universität Settat an der Fakultät Rechts- und Politikwissenschaften lehrt, machte den Anfang. Er hat als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung in Deutschland studiert. Ihm liegt es am Herzen, wissenschaftliche und kulturelle Brücken zwischen Deutschland und Marokko aufzubauen und sich mehr auf Gemeinsamkeiten zu fokussieren. Er wies darauf hin, dass die Monarchie in Marokko nicht mit dem europäischen System zu vergleichen sei. Änderungen ohne das Einvernehmen des Königshauses gibt es nicht. Marokko ist zentralistisch organisiert, öffnet sich jedoch seit 1970 von einer traditionellen zu einer modernen Monarchie. In der Verfassung von 2011 wurde die konstitutionelle Monarchie festgeschrieben. Der König regiert das Land und ist Throninhaber. Er könne außerdem als Integrationsfigur bezeichnet werden, da im Land Andalusier, Araber, Amazigh und Juden präsent sind. Das Parlament hat 195 Mitglieder und wird auf fünf Jahre gewählt. Die zweite Kammer, das Oberhaus, umfasst 120 Mitglieder aus verschiedenen Bereichen. Dies soll für einen Machtausgleich sorgen. Für das Erziehungswesen, die Justiz, soziale Stabilität und die Sicherheit gibt es eine einzige nationale Instanz, das Verfassungsgericht. Verfassungsrechtlich ist der König der Premier, aber nicht der Regierungschef. In der Praxis sieht es anders aus. In Marokko gibt es 33 politische Parteien, so dass Arrache das aktuelle System mit dem Parteienspektrum der Weimarer Republik verglich. Das Land in Nordafrika stehe vor großen Herausforderungen. Der Demokratisierungsprozess müsse weiter gefördert, Korruption bekämpft werden. Eine wichtige Rolle spiele die Stärkung von Transparenz und Menschenrechten.
Im Anschluss referierten Prof. Ahmed Bouachik, Universität Rabat, und Prof. Mohammed Benyahya, Chargé d´Affaires im Kabinett des Königs. Die beiden Professoren gelten als Koriphäen der Rechts- und Verwaltungswissenschaften in Marokko. Sie haben den Prozess der Dezentralisierung in Marokko mitgeprägt und arbeiten beide auch für die Fachzeitschrift „Revue Marocaine d’Administration Locale et de Développement“ (REMALD). Sie gaben einen kurzen Abriss über die Geschichte der Administration und betonten, dass gerade in diesem Bereich für fortschreitende Reformen gesorgt werde. Ziel sei es, dass alle vom wirtschaftlichen Aufschwung des Landes profitieren. Seit dem Jahr 1984 orientiert sich Marokko übrigens an den dezentralen Strukturen in Deutschland. Dabei sei es eine große Herausforderung, aus einem zentralistisch organisierten einen dezentralen Staat zu machen. Zwei wichtige Säulen sind die politischen und wirtschaftlichen Prozesse, die als Einheit gesehen und vorangetrieben werden. Bildung wird allgemein als Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft hervorgehoben. Um auch „good governance“ zu stärken, brauche man das passende Humankapital, das nur über Bildung geschaffen werden könne. Es klang jedoch durch, dass es schwieriger sei, Reformen umzusetzen als zu schreiben. Hilfreich sei jedoch, Investoren für die Wirtschaft ins Land zu holen.
Bildung ist der einzige Weg zu Gleichberechtigung
Mit Prof. Souad Bennour, Universität Casablanca, und Prof. Fariad Liamouri, Universität Salé, kamen zwei Frauen zu Wort. Beide berichteten mit großem Enthusiasmus über ihr Herzensthema Gleichberechtigung. In diesem Bereich unterstützt die HSS zahlreiche Projekte vor Ort. Im Rahmen ihrer Forschung setzen sie sich mit dem Thema auseinander, wie man die Bürgerrechte stärken kann. Vor allem die Frau solle auch rechtlich als zentrale Figur in der Gesellschaft anerkannt werden. Sie machten deutlich, dass die Frauen in Marokko abhängig von der Region eine unterschiedliche Stellung haben, obwohl das Gesetz im ganzen Land gleich ist. Sie stellten die Frage in den Raum: Wie wollen wir Gleichberechtigung wirklich schaffen? Dies müsse in den verschiedenen (Lebens-)Bereichen umgesetzt werden.
Diskriminierung im Umgang, im Lohn oder in der Beförderung ist in Marokko verboten. Wird dies nicht eingehalten, wird der Arbeitgeber bestraft, schreibt das Gesetz vor. In der Realität sieht es jedoch anders aus. Männer werden bevorzugt eingestellt. Frauen bekommen bis zu 70 Prozent weniger Lohn als Männer. Der gesellschaftliche Status der Frau wird berücksichtigt. Eine Mutter darf als Frau keine Nachteile im Berufsleben erfahren. Es darf kein Verstoß gegen das Recht auf Selbstverwirklichung stattfinden. Ein wichtiger Meilenstein für die Rechte der Frauen ist, dass sexuelle Belästigung als Straftat angesehen wird. Nach der alten Gesetzgebung jedoch konnte der Mann die vergewaltigte Frau heiraten. In Bezug auf das Thema Ehebruch herrscht strafrechtlich noch eine starke Ungerechtigkeit. Wenn eine Frau schwanger ist, muss ihr der Arbeitgeber in den letzten zehn Wochen vor dem Geburtstermin zwei bis vier Stunden weniger Arbeit zugestehen. Im Gespräch mit den beiden Professorinnen wurde deutlich, dass Bildung der einzige Weg zu Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist.
Kathrin Lorenz arbeitet seit etwa einem Jahr für die bundeseigene Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Rabat. Sie war bereits in Bolivien, Sri Lanka, Berlin und Palästina. Die Stipendiaten nutzen die Gelegenheit, sie auch nach Karrieretipps zu fragen. Die GIZ-Projekte umfassen eine zeitliche Spanne von etwa drei bis vier Jahren, sie sind jeweils mit den Landesregierungen abgestimmt. Wichtig ist der Organisation eine Kooperation auf Augenhöhe, um etwa Ausbildungsgänge zu verbessern oder die Wiederaufnahme wirtschaftlicher Vorgänge in Erdbebengebieten zu fördern. Außerdem arbeitet die GIZ im Norden Marokkos für die Klimaentwicklung mit den Städten Tanger und Mamakuch zusammen. Auch beim hochaktuellen Thema Migration ist die GIZ in beratender Funktion tätig. Energie oder die Wasserversorgung in Städten seien weiteres Themen der GIZ, so die Referentin. Sie hat 250 Kolleg(inn)en im Land, der Großteil davon sind Marokkaner.
Umfangreiches Rahmenprogramm in Rabat
Alle Referentinnen und Referenten hatten sich Zeit für Fragen und Diskussionen genommen. So konnten die Studierenden sehr viel über das Land, aber auch über die persönlichen Erfahrungen der Vortragenden erfahren. Die überwiegend arabisch gehaltenen Vorträge übersetzte Dr. Said AlDailami simultan ins Deutsche. Dabei zögerte er nicht, humorvolle Kommentare einzubringen, um die Gruppe zu erheitern. Nach einem Gruppenfoto vor dem HSS-Büro und vielen neuen Eindrücken ging es weiter zum Institut Mohammed VI, eine Imamschule. Der Leiter des Instituts, gekleidet in weißer Jellaba und mit rotem Hut, empfing die Stipendiatengruppe und führte sie direkt in die Moschee. Die mitgereisten muslimischen Stipendiatinnen und Stipendiaten gingen in den Gebetsraum und die Nicht-Muslime bekamen hier die einmalige Möglichkeit, eine Moschee zu betreten. Dort werden Marokkaner, Afrikaner und Gaststudierende aus der ganzen Welt zu Imamen ausgebildet. Zusätzlich haben sie die Möglichkeit, eine Ausbildung im Bereich der Schneiderei oder in der Elektrik zu machen. Als Zeichen der Gastfreundschaft wurde die Gruppe zu einem sehr leckeren Couscous-Mittagessen in einem schön dekorierten Raum eingeladen.
Nach einem Termin im „Royal Institute of Amazigh Culture“, einem Lehrinstitut und Museum der Berber-Kultur, hatte HSS-Büroleiter Mounir zum Abschluss der Tage in Rabat noch eine Überraschung parat. In der Chellah, der Festung von Rabat, fand gerade die 26. Edition des Festivals „Jazz au Chellah“ auf Initiative der Europäischen Union statt. Es traten zwei Gruppen auf. Die Studierenden genossen die lockere Atmosphäre, die leichte Musik, den Sonnenuntergang und die angenehme Brise des Meeres. Nach dem Konzert machte Mounir mit der Gruppe einen kleinen Spaziergang um die Festung, sodass man Tradition und Moderne der Hauptstadt Marokkos erleben durfte.
Tildat – eine Organisation für Frauen in Not
Chichaoua war der nächste Ort auf der Reise der Stipendiatengruppe durch Marokko. Dort besuchten sie die HSS-Partnerorganisation Tildat. Tildat ist eine Organisation für Frauen in Not, die auch verschiedene Ausbildungen wie Backkunst, Nähen und Journalismus anbietet. Die Stipendiaten nahmen an einer Journalismus-Unterrichtsstunde teil und tauschten sich mit Schülern und Mitarbeitern aus. Zudem erhielt die Gruppe eine Führung durch das Haus, besichtigte die Werkstätten und die Unterkünfte für Frauen in Not. Die Mitarbeiterinnen der Organisation waren sehr engagiert und nahmen sich gerne Zeit, um Fragen zu beantworten. Es war sehr ermutigend zu sehen, dass Frauen hier Schutz finden, falls sie Probleme in der Familie oder andere gefährliche Situationen erleben. Sie haben einen Ort, wo sie sich erholen und medizinisch sowie psychologisch versorgt werden können. Es gibt sogar einen Kindergarten im Haus, sodass Frauen während ihrer Unterrichtsstunden sich keine Sorgen um ihre Kinder machen müssen. So können sie etwas für ihre Zukunft lernen, um finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. Die Organisation ist stolz auf ihre Arbeit und freut sich, wenn die deutsche Botschaft oder die Hanns-Seidel-Stiftung als Kooperationspartner ihre Projekte unterstützen und zu Besuch kommen.
So viele Frauen …
Die Reise ging weiter nach Essaouira. Auf der Fahrt hielten einige Marokko- und Islamexperten aus der Reisegruppe Vorträge über Islam, Marokko und ihre persönlichen Erfahrungen. So war zu erfahren, dass in Marokko der Islam Staatsreligion ist, Muslime fünf Mal am Tag beten, oder dass Männer in Marokko grundsätzlich so viele Frauen haben, wie sie finanziell gut versorgen können. Die meisten Marokkaner leben indes mit nur einer Frau zusammen. Die Muslime innerhalb der Stipendiatengruppe stammten nicht aus Marokko. Somit konnten sie der Gruppe zusätzlichen Input dazu liefern, wie vor allem Glaube und Liebe im Iran, im Libanon oder im Jemen gelebt werden.
Essaouira liegt direkt an der Atlantikküste und ist eine beliebte Hafenstadt für Wassersportler. Der Strand ist hervorragend geeignet zum Surfen, auch Wind- oder Kitesurfen. Die gesamte Altstadt (Medina) von Essaouira wurde im Jahr 2001 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt, was absolut gerechtfertigt ist. Nach einem Strandspaziergang ließ man den Tag in einem Restaurant mit Blick auf den Atlantik ausklingen.
Judentum in Marokko
Am vorletzten Tag der Studienfahrt, ein Sonntag, stand erstmals selbstgestaltete Freizeit auf dem Programm. Einige entschieden sich für einen Kamelritt am Strand, während andere die marokkanische Badekultur in einem traditionellen Hammam kennenlernten. Eine weitere Gruppe erkundete die schöne Altstadt von Essaouira und erlebte auf dem Markt frisch gefangenen Fisch. Die Stipendiatinnen probierten leckere Streetfoods wie Schawarma, Süßigkeiten, frisch gespresste Säfte und marokkanischen Minztee (sehr zu empfehlen!).
Rezept für Zuhause
Es lohnt sich auf jeden Fall, so können Sie ein bisschen Marokko spüren, selbst wenn Sie bei der Reise nicht dabei waren: Marokkanischer Minztee. (externer Link, ggf. Bezahl-Inhalt)
Mittags stand ein Treffen mit dem königlichen Berater André Azoulay im Museum und Kulturzentrum für Jüdisches Erbe, Bayt Dakira, auf dem Programm. André Azoulay wurde 1941 in Essaouira geboren. Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Internationalen Politik machte er Karriere als Bankmanager in Paris. 1991 berief ihn König Hassan II. von Marokko als wirtschaftlicher Berater nach Rabat. Er prägte den Plan für die Privatisierung und Deregulierung der Wirtschaft. Azoulay arbeitet auch unter König Mohammed VI. als Berater. Er selbst sieht es als Privileg an, als jüdischer Berater für einen muslimischen Herrscher zu arbeiten. Bei dem Termin mit dem königlichen Berater in Essaouira stand das Thema Judentum in Marokko im Fokus. Bayt Dakira, das Haus der Erinnerung, ist ein jüdisches Museum im jüdischen Viertel „Mellah“ in der alten Medina von Essaouira. Das Museum versteht sich als spiritueller Ort, der der jüdischen Gemeinde der Stadt gewidmet ist und eine wichtige Rolle bei der Bewahrung und Aufwertung des marokkanisch-jüdischen Gedächtnisses spielt. Durch die Ausstellung seltener Gegenstände, Texte und Fotografien zeigt das Museum das Zusammenleben zwischen Muslimen und Juden in der Stadt. Besucher werden mit dem Ausdruck „Shalom Aleykoum, Salam Lekoulam“ begrüßt, einer Mischung aus Arabisch und Hebräisch, die die Freundschaft zwischen Juden und Muslimen verdeutlichen soll – die in Essaouira schon seit Jahrzehnten harmonisch miteinander leben.
Marrakesch, eine Stadt voller Überraschungen
Am letzten Tag der Reise lernte die Gruppe die Umgebung von Marrakesch, der touristischen Metropole Marokkos, kennen. Zuerst besichtigte sie den Anima Garden, entworfen vom österreichischen Architekten André Heller. Er gilt als einer der schönsten und fantasievollsten Gärten der Welt. Die drei Hektar große botanische Inszenierung ist ein magischer Ort der Sinnlichkeit.
Nach dem Gartenbesuch organisierte Referatsleiter Dr. Said AlDailami eine besondere Überraschung im Ourika-Tal: das Café am Fluss. In der Umgebung von Marrakesch liegt das Atlasgebirge. Am Fuße des hohen Atlas befinden sich zahlreiche charmante Cafés direkt am Ufer eines Flüsschens. Man konnte sich auf kleinen Kiesinseln im Flusslauf setzen und die Füße im kühlen Wasser erfrischen. Arabische Musik und Tee vermittelten marokkanisches Lebensgefühl pur. An diesem Wasserlauf wurden in den 90er Jahren Frühwarnsysteme für Überschwemmungen und Sturzfluten eingerichtet.
Nach dem Mittagessen auf einem kleinen Landgut eines libanesisch-schweizerischen Unternehmers besuchten die Studierenden eine Kooperative der Hanns-Seidel-Stiftung im Erdbebengebiet nahe Marrakesch. In einer Teppichweberei waren provisorische Schulräume für Kinder sowie Arbeitsräume für Frauen, die Teppiche weben, eingerichtet. Der Zustand der Klassenzimmer war erstaunlich gut, wenn man bedenkt, dass sie kurzfristig nach dem Erdbeben errichtet wurden. Die Kinder waren sehr fröhlich, die handgemachten Teppiche in diesem Dorf einzigartig, wunderschön und gemütlich. Man konnte deutlich sehen, wie die marokkanische Bevölkerung bemüht ist, ihre Lebensbedingungen zu verbessern und dass die Bildung der Kinder dort eine große Rolle spielt.
Abschluss in goldener Abendsonne
Zurück in Marrakesch konnten sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten im goldenen Licht der Abendsonne einen Eindruck von der Stadt machen. Es war beeindruckend, das geschäftige Treiben auf dem Jemaa El-Fnaa, dem Gauklerplatz, zu beobachten. Marokkanische Rhythmen waren auf dem gesamten Platz zu hören. Schlangenbeschwörer wollten mit ihren Tieren begeistern und faszinieren zugleich. Überall gab es Hülsenfrüchte, bunte Gewürze, Minze oder frische Säfte zu kaufen. Vom Jemaa El-Fnaa aus konnte man die Koutoubia Moschee sehen, die größte Moschee von Marrakesch. Beim starken Erdbeben im September 2023 wurde nicht nur diese Moschee, sondern auch zahlreiche Gassen und Häuser in der Altstadt sowie die Stadtmauer aus Lehm stark beschädigt. Ein Dreivierteljahr später war alles wieder renoviert, man konnte nur noch erahnen, wo das Erdbeben seine Spuren hinterlassen hat. Zum Abendessen kam die Gruppe in der Altstadt im traditionellen Restaurant Ksar el Hamra in einem marokkanischen Innenhof zusammen. Es war die letzte gemeinsame Mahlzeit in einem magischen Restaurant, das von außen unscheinbar, von innen aber bezaubernd war. Bei marokkanischer Live-Musik und traditioneller Tajine genoss die Gruppe ein letztes Abendessen. Zum Abschluss initiierte der Seminarleiter Dr. Said AlDailami eine Reflexionsrunde und die Stipendiatinnen und Stipendiaten nutzten die Möglichkeit, sich bei allen Beteiligten zu bedanken.
Alles hat leider ein Ende, auch die vielfältige, reichhaltige und spannende Marokko-Reise – aber die Erinnerungen werden den Teilnehmenden ein Leben lang begleiten.
(Fotos, soweit nicht anders vermerkt, von Eva Grund)