Angewandte Forschung in den Ingenieurwissenschaften: Vitus Zenz
Moderne Alchemie: Von Holzabfall zu Bio-Plastik
Man nehme: Holzabfälle, einen Doppelschneckenextruder und Mikrowellen-Strahlung, dazu eine große Portion Erfindergeist und Idealismus. Das Ergebnis: der Ausgangsstoff für einen nachhaltigen Biokunststoff. Und eine Dissertation über das vielversprechende neue Verfahren. Verantwortlich für dieses „Rezept“ ist der Rosenheimer Promotionsstipendiat Vitus Zenz. Die Idee für die Umwandlung von Holzresten in Bernsteinsäure brachte er aus einem Auslandssemester in Neuseeland mit. Seitdem investierte er all seine (akademische) Energie in die Entwicklung der entsprechenden Versuchsanlage. Ihr wollt erfahren, wie sich dies im Genauen gestaltete und wer künftig ebenfalls darin investieren könnte? Vitus erzählt es in unserem Interview.
Stell dir vor, wir träfen uns auf Kloster Banz beim Mittagessen im Rahmen eines Seminars. Was würdest du über dich erzählen?
Ich würde erzählen, dass ich in den Naturwissenschaften promoviere. Dann würde ich aber wahrscheinlich fragen, wozu du forscht und wie du zu deinem Thema gekommen bist. Das Fragen liegt mir mehr, und da ich grundsätzlich sehr interessiert an anderen Themen bin, würde ich versuchen, die Konversation auf dein Thema oder deine Person zu konzentrieren.
Das ist in diesem Fall aber nicht möglich – heute bin ich die Interviewerin! 😉 Damit direkt zur nächsten Frage: Was ist dein akademischer Werdegang?
Im Anschluss an meinen Realschulabschluss absolvierte ich eine Ausbildung zum Schuhorthopädietechniker, die ich aufgrund meiner schulischen Leistungen auf drei Jahre verkürzen konnte. Während dieser Zeit habe ich schnell erkannt, dass die handwerkliche Arbeit nicht meine Erfüllung ist und ich mich stärker dem Lernen und der geistigen Arbeit widmen wollte. Im Anschluss an die Ausbildung holte ich deshalb an der Beruflichen Oberschule (BOS) in Rosenheim mein Abitur nach und entschied mich danach für ein Studium der Kunststofftechnik an der Technischen Hochschule Rosenheim.
Meine Bachelorarbeit absolvierte ich damals an unserem Technikum. Im anschließenden Masterstudium im Bereich „Angewandte Forschung und Entwicklung“ konnte ich mein Wissen in Maschinenbau vertiefen. Meine Masterarbeit mit dem Titel „From waste wood to Bioplastics – Developing novel ways to produce Biopolymer-Monomers with a continuous high pressure reactive extrusion process“ gewann dann 2023 den VDI-Preis für die beste ingenieurtechnische Masterarbeit. Seit drei Jahren forsche ich nun intensiv an diesem Herzensthema im Rahmen meiner Promotion.
Wie lange bist du schon in der Stiftung?
Ich kam im Januar 2022 in die Stiftung und bin unglaublich dankbar für die Möglichkeit, an meinem Thema forschen zu können und gleichzeitig so wundervolle Menschen kennengelernt zu haben.
Wann stand für dich fest, dass du promovieren möchtest? Wie fiel die Entscheidung für die Betreuer deiner Dissertation oder den Standort?
Da ich bereits im Bachelorstudium studentische Hilfskraft in unserem Technikum war, bekam ich mit, an welchen Themen die damaligen Doktoranden forschten und wie deren Arbeit konkret aussah. Das stärkte in mir den Wunsch, selbst einmal zu promovieren. Seitdem konnte ich meine Promotion in enger Abstimmung mit zwei Professoren an der TH Rosenheim und einem Professor an der TU Berlin vorbereiten. Mit der Durchführung meiner Bachelor- und Masterarbeit in Rosenheim war die Wahl nach dem Standort meiner Promotion vorgegeben, da ich dort weiter an dem Thema forschen wollte.
Seit wann promovierst du und welches Abgabedatum sieht dein Zeitplan vor?
Die Promotion startete bei mir im Januar 2022, die Abgabe ist für Anfang 2025 geplant. Ich bin derzeit in der Schreibphase und komme eigentlich ganz gut voran.
Ganz grob gesagt schreibst du deine Dissertation über die chemische Verarbeitung nachhaltiger Rohstoffe. Was beinhaltet dein Promotionsvorhaben im Genauen?
Der aktuelle Titel meiner Promotion lautet “Development of a reactive extrusion process for lignocellulosic-based raw chemicals production – From wood-waste to bioplastics” und wird wahrscheinlich auch der finale Titel bleiben.
Ich schreibe die Monographie in Englisch, da ich seit der Bachelorarbeit alle Abschlussarbeiten so geschrieben habe. Ich fühle mich damit wohler als mit dem komplizierten Wissenschaftsdeutsch, ich präferiere die Hauptsatz-lastige und präzise englische Wissenschaftssprache.
Die Promotion beinhaltet die komplette Entwicklung und Experimente eines neuen wissenschaftlichen Versuchsaufbaus zum kontinuierlichen chemischen Abbau von Holzreststoffen in Plattformchemikalien wie z.B. Bernsteinsäure. Die Promotion legt die technischen Grundlagen für einen neuartigen Prozess zum chemischen Abbau von Holz durch die Integration von Mikrowellenstrahlung in einen sogenannten Doppelschneckenextruder.
Was für ein Wort …Wie berichtest du von deinem Dissertationsprojekt auf Partys und Familientreffen?
Das ist eine gute Frage, die wohl jeder Promovend sehr unterschiedlich beantworten würde. Meine Antwort darauf ist, dass ich aus Holzabfällen Biokunststoffe herstelle. Wissenschaftskommunikation ist das A und O! Damit können die meisten gleich etwas anfangen. Da Biokunststoffe ja im Allgemeinen durchaus positiv angesehen werden, weckt das meist auch Interesse. Wenn es genauere Nachfragen gibt, beschreibe ich noch, dass ich nicht direkt den Biokunststoff herstelle, sondern dessen Vorgänger Bernsteinsäure, aus welcher sich der Biokunststoff PBS herstellen lässt.
Wie bist du auf dein Dissertationsthema gekommen?
Ich durfte in meinem fünften Semester an der TH Rosenheim mein Praxissemester an einem anerkannten Forschungsinstitut in Neuseeland durchführen. Damals bin ich erstmals mit Forschung in Kontakt gekommen und war unglaublich begeistert von dieser Art zu arbeiten. Mein damaliges Thema lautete in groben Zügen: Was passiert, wenn man Holz in einen beheizten Doppelschneckenextruder aus der Kunststofftechnik wirft und die entstehenden Gase auffängt, kondensiert und untersucht?
Das hat mich damals so gepackt, dass ich die Forschung unbedingt in Deutschland weiterverfolgen wollte. Seitdem habe ich jede wissenschaftliche Arbeit einschließlich der Promotion in die Erforschung dieses Themas gesteckt.
Was fasziniert dich besonders an deiner Forschung?
Da ich ein sehr idealistisch veranlagter Forscher und Entwickler bin, dessen Motivation aus dem Umstand, etwas bewegen zu wollen, stammt, hat mich der Kern dieses Themas stets sehr gefesselt. Konkret bin ich von der Möglichkeit begeistert, aus den weltweit verfügbaren und meist zur thermischen Verwertung genutzten Holzreststoffen eine potentielle Alternative zu Öl und fossilen Rohstoffen zu finden. Da dieser Rohstoff so verfügbar und zugleich wahrlich nachhaltig ist, bietet er die perfekte Basis für viele Stoffe, welche derzeit noch aus Erdöl hergestellt werden. Es mangelt momentan nur an effizienten und kostengünstigen Umwandlungsprozessen von Holz in die verschiedenen Chemikalien. Das versuche ich, mit meiner Forschung zu ändern.
Wie hat sich dein Thema seit der Festlegung entwickelt, zu welchen Teilen stimmt es noch mit deiner Ausgangsidee überein, was hat sich verändert?
Die Kernidee ist noch weitestgehend gleich, jedoch hat sich die Art und Weise, wie wir das Holz chemisch abbauen, ziemlich verändert. Der größte Schritt kam, als wir Mikrowellenstrahlung zur Beschleunigung der Reaktion verwendet haben. Damit konnten wir die Reaktionszeit deutlich verkürzen und gezielter einzelne Chemikalien herstellen. Allerdings hat die Mikrowellentechnik nicht mehr viel mit der Haushaltsmikrowelle zu tun. Wir verwenden in unserem Versuchsaufbau sogenannte Solid-State Mikrowellengeneratoren.
Woran arbeitest du im Moment?
Derzeit befasse ich mich mit den letzten Auswertungen der ersten Experimente mit der Versuchsanlage, welche wir im Mai 2024 in Betrieb nehmen konnten. Damit ist meine Promotion auch offiziell abgeschlossen, da ab jetzt ein anderer Doktorand die gesamte Versuchsdurchführung übernimmt. Meine Aufgabe war die vollständige Entwicklung, der Aufbau, die Inbetriebnahme und die ersten Versuche mit der Anlage. Zeitgleich zur Auswertung schreibe ich an der Dissertation und ein wenig an Forschungsanträgen.
Welche Hürden und Schwierigkeiten gab es für dich im Forschungs- oder Schreibprozess?
Sehr lange habe ich an der grundsätzlichen Machbarkeit meiner Forschungsidee gezweifelt, da ich zu dem Thema in der Literatur nichts finden konnte und deshalb dachte, es sei technisch nicht möglich oder liege schon in der Industrie in einer Schublade. Da hat es viel gebraucht, trotzdem an die eigenen Ideen und die Wissenschaft dahinter zu glauben. Letztlich hatte ich in der Forschungsrichtung ein gutes Bauchgefühl, sodass wir jetzt gute Ergebnisse bekommen haben. Die technischen Herausforderungen bei einer Neuentwicklung sind natürlich immer hoch, lassen sich aber meistens lösen.
Was motiviert dich, bei „Durststrecken“ bei der Stange zu bleiben und weiterzumachen?
Eigentlich sind das Thema und die Idee dahinter die größte Motivation weiterzumachen, allerdings kommt einem manchmal schon der Gedanke: Jetzt habe ich schon so viel geschafft, jetzt darf ich auch nicht aufgeben!
Es scheint mir, als seist du mit Haut und Haar Forscher. Doch was tust du als Ausgleich zum wissenschaftlichen Schreiben und Arbeiten?
Ich habe das, ehrlich gesagt, lange vernachlässigt und irgendwann von meinem Körper die Quittung bekommen. Daraus muss ich jetzt lernen und versuche seitdem, viele kleine und größere Bikepacking-Touren und Feierabendrunden mit dem Gravler (= geländegängiges E‑Bike) zu machen. Außerdem gehe ich gerne auf lange Spaziergänge, da bekommt man den Kopf ganz gut frei. Durch die Nähe Rosenheims zu den Bergen darf natürlich die ein oder andere Bergtour auch nicht fehlen.
Hast du schon Ideen, wie es nach Abschluss der Promotion für dich weitergehen soll?
Wir haben vor kurzem eine EXIST-Forschungstransfer-Förderung beantragt. Ich würde sehr gerne mit einer Ausgründung weitermachen, da das Thema in der Industrie und bei Investoren sehr großen Anklang findet. Zumindest ist das unser Eindruck nach vielen Gesprächen. Wenn wir die Technologie in den nächsten Jahren weiterentwickeln können und unsere Meilensteine erreichen, könnte potentiell großindustriell der Biokunststoff PBS zu einem vergleichbaren Preis zu den erdölbasierten Massenkunststoffe PE und PP angeboten werden.
Damit könnten langfristig enorme Mengen CO2 Emissionen eingespart und (Bio)Kunststoffen in der Bevölkerung wieder zu mehr Akzeptanz verholfen werden. Das motiviert mich sehr, nach der Promotion weiterzumachen.
Wir wünschen dir viel Erfolg beim Erreichen der Meilensteine und dabei, die Kunststoffbranche nachhaltig umzugestalten!
Kunststoffe kurz & knackig – ein Glossar
Bernsteinsäure: Die organische Säure kommt in fossilen Harzen, z.B. Bernstein (succinum, deshalb auch Succinylsäure genannt) sowie in unreifen Früchten, z. B. Weintrauben oder Tomaten vor. Siwe ird zur Herstellung von Farbstoffen, pharmazeutischen Präparaten, Polyester- und Alkydharzen sowie von Geschmacksstoffen verwendet. Als Monomer, (= kleines, sehr reaktionsfreudiges Molekül) dient sie als Baustein für den Biokunststoff Polybutadiensuccinat (PBS).
PE (Polyethylen): Der Kunststoff PE wird weltweit am häufigsten eingesetzt und findet vor allem für Folien und Verpackungen Verwendung. Zwar ist es gesundheitlich unbedenklich, steht jedoch im Hinblick auf Umweltfreundlichkeit in Kritik.
PP (Polypropylen): Der am zweithäufigsten verwendete Kunststoff PP ähnelt PE in vielen Eigenschaften, ist allerdings wärmebeständiger. Er wird ebenfalls sehr oft im Verpackungsbereich eingesetzt.
PBS (Polybutylensuccinat): Der biologisch abbaubare Biokunststoff PBS wird der Gruppe von Polyester zugeordnet. Er entsteht durch eine synthetische Reaktion der Ausgangsstoffe Bernsteinsäure und 1,4‑Blutandiol. In Forschungsanlagen wie bei Vitus’ Doppelschneckenextruder wird er industriell hergestellt.
Doppelschneckenextruder: Diese Anlage kann man sich ein wenig wie einen Fleischwolf für Kunststoffe vorstellen. Das Ausgangsmaterial bewegt sich durch einen Trichter zu zwei Schnecken, die nebeneinander in einem Zylinder rotieren. Hier wird es geschmolzen und weiterverarbeitet, bis es ans Ende der Anlage befördert wird.