Stochastik: Ly Viet Hoang

Mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Promotion

Veröffentlicht am 11. Oktober 2024 von Jana Paulina Lobe

Dass man in der Mathe­ma­tik eine hohe Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz braucht, ist für vie­le von uns nichts Neu­es. Der frisch­ge­ba­cke­ne Dok­tor Ly Viet Hoang erleb­te dies bei sei­ner Grund­la­gen­for­schung in der Sto­chas­tik aller­dings auf einem höhe­ren Niveau, als es je im Mathe-Unter­richt vor­kam. Der nun ehe­ma­li­ge Pro­mo­ti­ons­sti­pen­di­at aus Ulm beschäf­tig­te sich in sei­ner Dis­ser­ta­ti­on mit har­mo­ni­sier­ba­ren, alpha-sta­bi­len Zufalls­pro­zes­sen. Was genau sich dahin­ter ver­birgt und inwie­weit Kur­ven abseits der Gauß­schen Nor­mal­ver­tei­lung eine Rol­le in sei­nem All­tag spie­len, erzählt er in unse­rem Interview.

Ly Viet Hoang

Stell dir vor, wir trä­fen uns auf Klos­ter Banz beim Mit­tag­essen im Rah­men eines Semi­nars. Was wür­dest du über dich erzählen?

Hi, ich bin Viet. Nett euch ken­nen­zu­ler­nen! Ich bin inzwi­schen ehe­ma­li­ger Pro­mo­ti­ons­sti­pen­di­at in der Mathe­ma­tik am Insti­tut für Sto­chas­tik an der Uni­ver­si­tät Ulm. Mein Lieb­lings­se­mi­nar auf Klos­ter Banz war die selbst­ge­stal­te­te Pro­mo­ven­den­ta­gung, und wenn man mich nicht im „Bier­st­üb­la“ fin­det, bin ich wahr­schein­lich gera­de im Pool oder in der Sau­na. Und ganz wich­tig: Wenn ich mich gera­de nicht mit der Mathe­ma­tik beschäf­ti­ge, mache ich in mei­ner Frei­zeit die Trails auf dem Moun­tain­bike unsicher!

Gut, dass ich dich dann hier, mal ohne Fahr­rad, erwi­sche. Wie war dein aka­de­mi­scher Werdegang?

Irgend­wie war ich schon immer in Ulm. Zwar bin ich nicht in Ulm gebo­ren, aber hier zur Schu­le gegan­gen. Nach dem Abi woll­te ich eigent­lich Medi­zin stu­die­ren, aber dazu hat es noten­tech­nisch nicht ganz gereicht. Auch mit dem Medi­zi­ner­test konn­te ich nicht wirk­lich etwas rei­ßen. Das war aber halb so schlimm, denn gera­de beim Medi­zi­ner­test habe ich gemerkt, was mir wirk­lich liegt – mir abs­trak­te Din­ge vor­zu­stel­len und grund­sätz­lich alles, was mit Zah­len und Logik zu tun hat. Sobald man viel aus­wen­dig ler­nen muss­te, war ich mise­ra­bel. Da ich schon in der Schu­le ziem­lich gut in Mathe war, bin ich dann zum Mathe-Stu­di­um gekommen.

In Ulm habe ich dann Wirt­schafts­ma­the­ma­tik im Bache­lor und Mas­ter stu­diert, hier und da mal ein Prak­ti­kum gemacht und ein Aus­lands­jahr in den USA ver­bracht. Da ich Zufalls­pro­zes­se und Sta­tis­tik schon immer span­nend fand, bin ich dann für die Pro­mo­ti­on am Insti­tut für Sto­chas­tik gelan­det. Seit April 2019, dem Beginn mei­ner Pro­mo­ti­on, war ich in der Hanns-Seidel-Stiftung.

Wann stand für dich fest, dass du pro­mo­vie­ren möch­test? Wie fiel die Ent­schei­dung für dei­nen Dok­tor­va­ter oder den Standort?

Kurz vor der Pro­mo­ti­on und der Mas­ter­ar­beit habe ich ein sechs­mo­na­ti­ges Prak­ti­kum bei einem gro­ßen Ver­si­che­rer aus Mün­chen absol­viert. Fast alle mei­ne Stu­di­en­freun­de sind irgend­wo in der Bera­tung oder Ver­si­che­rung gelan­det. Das Umfeld Unter­neh­mens­be­ra­tung und Bank­we­sen hat­te ich bei einem Prak­ti­kum im Bache­lor schon kennengelernt.

Ich war ehr­lich gesagt zu die­sem Zeit­punkt ein­fach noch nicht bereit, arbei­ten zu gehen. Wahr­schein­lich lag das auch dar­an, dass ich nicht ganz glück­lich mit dem Prak­ti­kum und dem Groß­stadt­le­ben war. Wäre ich woan­ders gelan­det, hät­te ich mich viel­leicht nie für die Pro­mo­ti­on ent­schie­den. So aber hat sich der All­tag in den Prak­ti­ka noch nicht rich­tig ange­fühlt und ich hat­te Inter­es­se dar­an aus­zu­tes­ten, ob ich in der For­schung wei­ter­kä­me. Und wie der Zufall es so woll­te, wur­de damals eine Pro­mo­ti­ons­stel­le am Insti­tut frei. Da habe ich dann gar nicht lan­ge über­legt, mei­nen Betreu­er ein­fach mal ange­schrie­ben und gefragt, ob sich aus einer Mas­ter­ar­beit auch eine Pro­mo­ti­on ent­wi­ckeln kön­ne. Da bin ich nun seit April 2019 dabei und habe im Sep­tem­ber mei­ne Dis­ser­ta­ti­on abge­ge­ben. Die Ver­tei­di­gung folgt dann spä­tes­tens am Ende des Jah­res 2024.

Du hast dei­ne Dis­ser­ta­ti­on im Bereich der Sto­chas­tik ver­fasst. Was beinhal­te­te dein Promotionsvorhaben?

Die Gauss­sche Nor­mal­ver­tei­lung (noch aus dem Mathe­un­ter­richt bekannt?)

Ich habe sta­tis­ti­sche Schät­zung für soge­nann­te har­mo­ni­sier­ba­re alpha-sta­bi­le Zufalls­pro­zes­se ent­wi­ckelt. Die­se Pro­zes­se sind eine Ver­all­ge­mei­ne­rung von Gauß-Pro­zes­sen (jeder von euch hat hof­fent­lich zumin­dest ein­mal von der Gauß­kur­ve gehört). Das Beson­de­re an die­sen Pro­zes­sen ist, dass sie Phä­no­me­ne mit „unend­li­cher Vari­anz“ model­lie­ren kön­nen. Dar­un­ter kann man sich Extrem­sze­na­ri­en, wie einen Bör­sen­crash oder Schä­den durch Natur­ka­ta­stro­phen oder Krie­ge vor­stel­len. Man kann damit auch das Wachs­tum von Netz­wer­ken wie dem Inter­net modellieren.

Wie berich­test du von dei­nem Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt auf Par­tys und Familientreffen?

Am bes­ten gar nicht, um die Vibes nicht zu killen. 😀

Aber Spaß bei­sei­te. Ich beschrei­be eine bestimm­te Klas­se von zufäl­li­gen Pro­zes­sen, die noch nicht so weit erforscht ist und gebe Schät­zun­gen für bestimm­te Cha­rak­te­ris­ti­ka, die die­se Pro­zes­se beschrei­ben. Aus die­sen Schät­zun­gen kann man dann ver­su­chen, die Pro­zes­se zu simu­lie­ren oder Vor­her­sa­gen zu treffen.

Wie viel mehr ich erzäh­le, hängt dann davon ab, ob und wel­che Nach­fra­gen gestellt werden. 

Mathe­ma­tik ist unglaub­lich span­nend, kann aber auch sehr schnell beängs­ti­gen, daher ist es manch­mal schwie­rig, sie zu erklären. 

Ly Viet Hoang

Wie bist du auf dein Dis­ser­ta­ti­ons­the­ma gekommen?

Das hat sich aus einem wirt­schafts­ma­the­ma­ti­schen Back­ground mit Ver­si­che­run­gen erge­ben. Mein The­ma wur­de mir in einer ähn­li­chen Form von mei­nem Betreu­er vor­ge­schla­gen und dann begann ich zu schau­en, wel­che offe­nen Fra­gen es gab, die ich ange­hen konnte.

Was fas­zi­niert dich beson­ders an dei­ner Forschung?

Die Zufalls­pro­zes­se, die ich betrach­te, besit­zen eine Rei­he von inter­es­san­ten Eigen­schaf­ten, die man ein­deu­tig in der Natur und im ech­ten Leben beob­ach­ten kann. Aber die­se Rea­li­täts­nä­he erschwert es auch, mit ihnen zu arbei­ten, sowohl in der Theo­rie als auch in der Pra­xis. Es gibt sehr vie­le Resul­ta­te über Gauß­sche Pro­zes­se. Aber vie­le Din­ge im Leben sind gar nicht nor­mal­ver­teilt (gauß­ver­teilt), war­um soll­te man also Metho­den ver­wen­den, die für Gauß-Pro­zes­se ent­wi­ckelt wurden?

Ich wür­de mei­ne For­schung als Grund­la­gen­for­schung beschrei­ben, denn für die Pro­zes­se, die ich mir anschaue, gab es bis­her noch kei­ne Schätz­theo­rie. Ich habe also etwas ganz Neu­es ent­wi­ckelt. Even­tu­ell kann mei­ne Arbeit als Grund­stein für noch wei­te­re span­nen­de Resul­ta­te dienen.

Ly Viet Hoang

Wie hat sich dein The­ma seit der Fest­le­gung ent­wi­ckelt, zu wel­chen Tei­len stimmt es noch mit dei­ner Aus­gangs­idee über­ein, was hat sich verändert?

Mathe­ma­tik kennt kei­ne Gren­zen und so häuf­ten sich mit der Zeit immer mehr Fra­gen an, die es zu beant­wor­ten gilt. Irgend­wann muss man sich dann schon stark ein­schrän­ken, damit das Fass nicht über­läuft. Hilf­reich ist hier­bei, dass mit der kumu­la­ti­ven Dis­ser­ta­ti­on eine Anzahl an Paper vor­ge­ge­ben ist, die man publi­ziert und ein­ge­reicht haben muss.

Wel­che Hür­den und Schwie­rig­kei­ten gab es für dich im For­schungs- oder Schreibprozess?

In der Mathe­ma­tik ist es so, dass man manch­mal mona­te­lang ver­sucht, etwas zu bewei­sen, was gar nicht wahr ist. Das heißt letzt­lich, dass man­ches ein­fach nicht funk­tio­niert. So etwas weiß man natür­lich nicht im Vor­feld, ohne es pro­biert zu haben. Die ver­lo­re­ne Zeit bekommt man nicht zurück, denn man kann kein Paper ver­öf­fent­li­chen, in dem steht: „Ich habe dies und das ver­sucht, es aber lei­der nicht geschafft.“

Der Review-Pro­zess der Jour­nals ist natür­lich die ande­re ner­ven­auf­rei­ben­de Sache. Man hört mona­te­lang nichts und dann wird das Paper auf ein­mal ohne Begrün­dung abge­lehnt. In der Zeit heißt es ein­fach: Zäh­ne zusam­men­bei­ßen und weitermachen.

Die Pro­mo­ti­on in der Mathe­ma­tik ist unglaub­lich kräf­te­zeh­rend. Man muss schon men­tal damit umge­hen kön­nen, dass man mona­te­lang nicht vor­an­kommt. Umso befrie­di­gen­der ist es aber, wenn man dann doch ein gro­ßes Pro­blem lösen kann. 

Ly Viet Hoang

Was moti­vier­te dich, bei sol­chen „Durst­stre­cken“ bei der Stan­ge zu blei­ben und weiterzumachen?

Mei­ne Kol­le­gen und Freun­de. Wir sit­zen alle im sel­ben (Promotions-)Boot, daher ist es ein­fa­cher, ein­an­der zu ver­ste­hen und zu hel­fen. Aber auch mei­ne Fami­lie steht mir immer zur Seite.

Was tust du als Aus­gleich zum wis­sen­schaft­li­chen Schrei­ben und Arbeiten?

Ich bin lei­den­schaft­li­cher Rad­fah­rer und haupt­säch­lich auf dem Moun­tain­bike unter­wegs. Ich lie­be die Natur und Ber­ge und es hilft mir ein­fach unglaub­lich viel, wenn ich mich nach einem lan­gen Tag am Schreib­tisch aufs Rad set­ze und eine Run­de drehe.

Viet bei einem Ren­nen – die­se Kur­ven sind abenteuerlich!

Alles von Stra­ße, Forst­weg bis Downhill-Trail kommt bei mir unter die Räder. Gemüt­lich dahin rol­len und abschal­ten, oder sich so sehr auf den Trail fokus­sie­ren und im Tun­nel ver­sin­ken, dass alles um einen her­um neben­säch­lich erscheint.

Ich neh­me hier auch hin und wie­der mal eine Her­aus­for­de­rung an und mes­se mich ger­ne mit ande­ren bei einem Ren­nen – alles nur zum Spaß natür­lich. Übers Moun­tain­bi­ken könn­te ich ewig reden – viel­leicht mal, wenn wir uns auf Klos­ter Banz sehen.

Hast du schon Ideen, wie es nach Abschluss der Pro­mo­ti­on für dich wei­ter­ge­hen soll?

Ich glau­be, für mich ist es nach der Pro­mo­ti­on an der Zeit, mal etwas ande­res zu sehen. Ich wer­de die Uni daher ver­las­sen. Wo ich aber genau lan­den wer­de, das las­se ich mir noch offen.