Frauenförderung der HSS in Jordanien
„Happy wife, happy life“
Für ein Praktikum verschlug es Stipendiatin Sophia Maier in das HSS-Regionalbüro in Jordanien. Zwei Monate lang begleitet sie die Arbeit der Stiftung vor Ort und taucht dabei in ein anderes Land ein, in dem die HSS hilft, die Demokratie zu unterstützen, ökologische Nachhaltigkeit zu fördern und die Rolle der Frauen im Land zu stärken. Besonders die lokalen Projekte zum Empowerment von Frauen und die Einblicke in deren Leben haben sie dabei berührt.
Exkurs: Die HSS in Jordanien
Die internationale Zusammenarbeit eine der Kernaufgaben der Hanns-Seidel-Stiftung. Die Projektbüros in 75 Ländern fördern weltweit menschenwürdige Lebensverhältnisse und leisten durch die Stärkung von Frieden, Demokratie und sozialer Marktwirtschaft einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Dies ermöglicht der HSS wichtige Kontakte in der Zivilgesellschaft, Politik sowie Wirtschaft und damit eine enge Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen. In Jordanien betreibt die Stiftung seit 1996 ein Regionalbüro, das neben dem Königreich auch Projekte in Libanon und Syrien (bis zum Bürgerkrieg 2011) betreut und damit eine Region abdeckt, die von den verschiedensten Kulturen, politischen Systemen und tiefgreifenden Konflikten geprägt ist. In Jordanien umfassen die Projekte vor allem die Förderung von Frauen, Demokratie und Umweltschutz.
Auch wenn Jordanien als eines der stabilsten und liberalsten Länder der Region gilt, geht es vielen Menschen vor allem in den ländlichen Regionen im Norden und Süden schlecht: Die Communities sind stark religiös-konservativ, die Arbeit auf den Feldern dort ist hart, saisonabhängig und schlecht bezahlt. Es fehlt an Infrastruktur, Bildung und einer Perspektive auf ein besseres Leben.
Auf dem Weg in das nördliche Jordantal, nahe der Grenzen zu Syrien und zum Westjordanland, brennt die Sonne herab. Viele Straßen sind nur noch Sandwege, die Läden heruntergekommen. Die Menschen verkaufen Obst, Gemüse und Kleidung von den Ladeflächen ihrer verbeulten Pickups. An den Ampeln klopfen Kinder an die Autoscheiben und betteln um Geld. Genau hier, in den abgehängten Regionen weit abseits der Hauptstadt kann die HSS mit ihrem Fokus auf Dezentralisierung ansetzen. Vor allem Frauen haben es in dieser Region schwer. Traditionelle Geschlechterrollen verhindern oft deren politische, soziale und wirtschaftliche Teilhabe: Sie sind viel zuhause, haben kaum soziale Kontakte und wenig Bildung. Ihnen mangelt es meist an grundlegenden Lebenskompetenzen wie Konflikt- und Problemlösung, Entscheidungsfähigkeit und zwischenmenschlicher Kommunikation. Viele wissen auch nichts über ihre Rechte, ihren Körper oder grundlegende Informationen über Kindesentwicklung – und das, obwohl viele Mädchen hier jung heiraten und früh Kinder bekommen. Viele Frauen in den Dörfern des nördlichen Jordantal wollen nicht in dieser aussichtslosen Lage verharren. Doch es fehlt ihnen der Impuls zur Selbsthilfe und ‑verantwortung. Das ergaben einige Feldbesuche, Gespräche mit den Vertretern der Bezirke, der dort aktiven „Community Based Organisations“ CBOs, mit Schulleitungen, Ärztinnen und Ärzten sowie vor allem den Bewohnerinnen und Bewohnern selbst.
Frauenförderung im nördlichen Jordantal
Auf Basis dieser Problemanalyse setzt die HSS in Kooperation mit der NGO „Future Pioneers – Empowering Communities“ an. Seit 2023 führen sie die Workshop-Reihe „Women in Dialogue“ im nördlichen Jordantal durch, bei der Frauen in zehn Sitzungen über Hygiene und Gesundheit, die Entwicklung von Kindern und die Rolle von Umweltschutz für sie und ihre Dörfer lernen. Außerdem werden sie über ihre Rechte aufgeklärt und üben persönliche Fähigkeiten wie effektive Kommunikation, positives Denken oder Zeitmanagement. Die Hanns-Seidel-Stiftung unterstützt das Projekt, wo sie kann. Vor allem, dass die Kosten für die Anreise übernommen werden und sie während der Seminare warme Mahlzeiten erhalten, schätzen die Teilnehmerinnen sehr. „If it hadn’t been for this support, I couldn’t have afforded it”, schreibt eine der Frauen in einem Evaluationsbogen.
Auf der zweistündigen Fahrt von Amman hoch in den Norden erzählt mir die Projektleiterin Yusra Al Jabari von all den Frauen, die die Seminare schon besucht haben: Ihre Umstände, ihre Perspektiven, die Erlebnisse, die sie geschildert haben. Sie umfassen eine breite Altersspanne zwischen 18 und 50 Jahren, manche sind verheiratet, manche nicht, die einen sind erwerbstätig, andere sind unbezahlte Hausfrauen. Die Geschichten und Hintergründe verschiedener Frauen sprudeln nur so aus Yusra heraus. Sie selbst ist 39 Jahre alt und eigentlich Künstlerin. Seit 2018 arbeitet sie auch für Future Pioneers und hat schon viele Frauen auf derem Weg zur Selbstverwirklichung begleitet. Yusra steckt mit vollem Herzblut in dem Projekt. Ständig klingelt ihr Handy, oft überschlägt sich ihre Stimme, wenn sie von ihrer Arbeit und ihren vielen Ideen spricht. Ihr ist es besonders wichtig, dass sie auf die Umstände der Frauen eingehen kann und auch die lokalen kulturellen Gegebenheiten beachtet werden. Die Trainings sollen keine Belehrung von oben herab sein, sondern eine Begegnung auf Augenhöhe, angepasst an die Bedürfnisse und Umstände der Teilnehmerinnen. Yusra sucht daher für jeden Workshop nach CBOs und Trainerinnen, die aus der Region kommen, um ihr bei der Gestaltung der Trainingseinheiten zu helfen.
Mit Workshops Leben verändern
Balqees Abou Sohyon kommt selbst aus einer kleinen Stadt im nördlichen Jordantal. Ihre Familie, so sagt sie, hat alles dafür getan, damit sie zur Schule gehen und später eine gute Ausbildung bekommen kann. In ihrer Tätigkeit als Krankenschwester lernte sie, wie wichtig Bildung für die Selbstverwirklichung von Frauen ist. Aus diesem Grund erklärt sie an einem heißen Tag in einem grell beleuchteten Raum den weiblichen Körper und seine Gesundheit. Ich sitze neben den zwanzig Frauen aus den umliegenden Dörfern auf einem gepolsterten Stuhl, draußen brennt die Mittagssonne auf den sandigen Vorplatz, drinnen sorgen ein paar Deckenventilatoren für einen leichten Wind in dem stickigen Gemeinderaum. Die Frauen sitzen in kleinen Gruppen an ein paar Tischen und blicken auf eine Präsentation, die Bilder vom Uterus, einem Periodenkalender oder der Verhütungsspirale an die Wand werfen. „Who knows what that is?“ fragt Balqees, als ein Bild von Kondomen hinter ihr erscheint. Drei der zwanzig Frauen heben die Hand. Was für Außenstehende selbstverständlich wirken mag, kann hier Leben verändern. „I once had a student who told me that almost all the women in her family died of breast cancer at a very young age“, erzählt Balqees. „When I asked her if she had ever had a breast cancer screening, she just looked at me in surprise and replied: No, what for?“
Für die Frauen ist das Seminar aber nicht nur bloßer Unterricht, sondern auch ein Raum zur Vernetzung und zum Austausch: „Many of these women are never being heard, there are hardly any spaces in which they can express themselves“, erklärt mir Yusra. In den Seminaren wird ihnen dieser Raum geboten, in dem sie Ideen austauschen und ihre Gefühlswelt offenlegen können. Indem die Frauen ermutigt werden, sich zu entfalten, sollen sie es auch zu mehr Selbstwirksamkeit und damit Sichtbarkeit in der Gesellschaft schaffen. Dass das auf fruchtbaren Boden zu stoßen scheint, spiegelt sich auch in den Evaluationsbögen der Frauen wieder, die am Ende der Workshop-Reihe ausgefüllt werden: „I learned to love myself, so that this would be reflected in how I treat others”, schreibt da eine. Eine andere berichtet sogar, dass sie erst durch das Seminar ermutigt wurde, sich auf einen Job bei der Gemeindeverwaltung zu bewerben. Davor hatte sie gedacht, sie wäre niemals gut genug dafür. Danach findet sie den Mut zur Bewerbung – und erhält prompt eine Zusage.
Die neu erlernte Empathie und die neuen, positiven Kommunikationsstrategien prägen auch den Umgang mit ihrem Umfeld, vor allem mit ihren Kindern. In einem Feedback-Bogen berichtet eine der Frauen: “I was able to transform from an angry mother into a calm mother who is able to deal with her children. I learned how to take care of their mental health and make them feel like a desirable person.” Aber nicht nur die Beziehungen der Frauen zu ihren Kindern, sondern auch zu ihrem Partner verändert sich. In den vielen Workshops wurde klar, dass die meisten der Frauen oft mit geschlechtsspezifischen Problemen konfrontiert sind. Einige von ihnen haben bereits Gewalt durch Männer erlebt und die meisten trauen sich auch nicht, offen mit Männern über wichtige Lebensfragen zu sprechen – ob als Ehefrauen, Mütter, Töchter oder Schwestern. In den Workshops werden ihnen Wege vermittelt, wie sie solche Gespräche suchen können, ihre Probleme und Wünsche kommunizieren und sich Gehör verschaffen können. Von den Männern soll dies bisher durchweg positiv aufgenommen worden sein. Sie sind froh, dass eine offene Kommunikation in ihre Familien getragen wird. „Happy wife, happy life“ lacht Yusra.
Männer und Frauen – gemeinsam für Emanzipation
Bisher war das Feedback zu den Workshops immer positiv. Keine einzige der insgesamt 240 Frauen, die die Seminare mittlerweile durchlaufen haben, habe auch nur eine Stunde verpasst, erzählt Yusra stolz. Kritik von Außenstehenden aus den Dörfern hätte das Projekt noch nie erfahren – im Gegenteil: Yusra erreichen immer mehr Anfragen, von Menschen, die gerne an der Seminarreihe teilnehmen möchten. Es mag zunächst überraschend erscheinen, dass darunter auch einige Männer sind. Die meisten Stiftungen und Human Development Programme in Jordanien fokussieren sich nur auf die Emanzipation der Frauen – und vergessen dabei, dass auch die Männer bei dieser Entwicklung eine entscheidende Rolle spielen. „Change can only happen when men and women work together“, erklärt Yusra. Wenn sie die Auswirkung der Trainings auf ihre Frauen und ihr Umfeld sehen, kommen viele der Männer auf sie zu. Sie wollen lernen, bitten sie um mehr Beachtung und wollen bei den Umbrüchen in der Gesellschaft an die Hand genommen werden. „It would be nice if we could also involve the men more…“ denkt Yusra laut nach, als wir auf dem Rückweg aus dem nördlichen Jordantal nach Amman im Auto sitzen.
Gesagt getan: Wenige Wochen später liegt ein Seminarplan auf meinem Schreibtisch, in dem Yusra einen Workshop mit Männern und Frauen vorschlägt. Das HSS-Büro in Amman prüft den Vorschlag auf seine Umsetzbarkeit, die angestrebten Ziele und eigene Möglichkeiten zur Unterstützung des Vorhabens. Schon kurze Zeit später sitze ich wieder mit ihr im Auto, dieses Mal auf dem Weg zum ersten Workshop mit dem Titel „Women & Men Engagement“. Ziel ist es, gegenseitige Unterstützung und Verständnis zu fördern und so eine bessere Zusammenarbeit zwischen Ehepartnern zu erzeugen. Dr. Hiam Abu Eid, promovierte Wissenschaftlerin für Soziale Entwicklung, und die Juristin Raway Lafi erklären den Teilnehmenden zuerst in geschlechtergetrennten Gruppen wichtige Fähigkeiten zur Kommunikation und Problemlösung. Außerdem geben sie eine Einführung in das Personenstandsrecht, Gender- und Familienkonzepte. Eine der Frauen erzählt, sie hätten nach ihrem ersten Training alle befürchtet, dass ihre Männer am nächsten Tag nach einer Stunde entrüstet aufstehen und den Raum verlassen würden. Doch das Gegenteil war der Fall: Alle Männer blieben länger im Workshop als ursprünglich vorgesehen, sie überzogen eine Stunde der geplanten Zeit. „When he came home, I didn’t recognise him“, lachte eine der verwunderten Ehefrauen.
Am dritten Tag, den auch ich mit Yusra besuche, wird die gelernte Theorie gemeinsam in einer interaktiven Sitzung anhand von Beispielen aus dem Alltag praktisch umgesetzt und zwischen den Ehepaaren geübt. Es soll ein Safe Space geschaffen werden, in dem ein offener Dialog zwischen Männern und Frauen stattfinden kann, bei dem unterschiedliche Meinungen geschätzt und berücksichtigt werden. Hierzu schreiben die Ehepaare ihre Erwartungen an ihre Partner auf und stecken sie in Umschläge, die eingesammelt werden. Später werden ihre Probleme in der Gruppe analysiert, Kompromisse und Lösungsansätze besprochen. Einer der Männer erklärt, er und seine Frau seien seit 32 Jahren verheiratet. Erst heute sei es ihm in den Sinn gekommen, dass seine Frau nicht zufrieden mit ihm sein könnte – weil sie Probleme davor nie kommuniziert und ihre Wut nur in sich hineingefressen hätte. Um mit solcher Wut umgehen zu können, lernen sie metaphorisch mit Luftballons, negativen Emotionen auszuatmen und nach außen zu tragen. Die Luftballons schwellen schnell zu großen Kugeln voller Wut und Angst. „Es ist besser ein glücklicher Hase zu sein, als ein wütender Löwe“, lautet ein arabisches Sprichwort, das sich die Teilnehmenden hier zu Herzen nehmen sollen. Heißt: Du musst nicht immer vorgeben, stark zu sein und alles in dich hineinfressen. Kommuniziere deine Emotionen, deine Schwächen und Ängste, um glücklich zu werden.
Eine Hilfe, um sich gegenseitig Komplimente zu machen, ist auch die nächste Übung. Männer und Frauen stellen sich in zwei Reihen gegenüber auf. Zuerst übergeben die Männer ihren Frauen eine Rose und sollen ihnen dabei ein Kompliment machen, dann sind die Frauen dran. „I love you and I will die for you.“ Sagt einer der Männer zu seiner Ehefrau. Alle applaudieren. “This is like couples-therapy“, flüstert Yusra mir zu. Und sie behält Recht: Am Ende des Seminars gesteht seine Frau: „Just a few weeks ago I was thinking about breaking up our relationship, because I just couldn’t see us being happy anymore. But now, I see that we can change, and that we are willing to work on our relationship.”