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Vom Lehrstuhl in den Bürgermeistersessel

Einschneidendes Zahlenspiel

Veröffentlicht am 2. Oktober 2021 von Max Danhauser

Heu­te wäre das Leben von Hans-Peter Reck ein ande­res, wenn es den Abend des 27. Okto­ber 2019 nicht gege­ben hät­te. Zusam­men mit Fami­lie und Freun­den stand er im Rat­haus der Gemein­de Stein­hau­sen an der Rot­tum und war­te­te. Und irgend­wann war klar: 68,4 Pro­zent der Stim­men brach­ten ihm den Wahl­sieg ein. Das Zah­len­glück lag auf sei­ner Sei­te. Hans-Peter Reck wur­de Bürgermeister.

Mit Zah­len hat­te der 39-Jäh­ri­ge schon vor die­sem Wahl­abend viel zu tun. Erst als Stu­die­ren­der der Mathe­ma­tik, dann als Dok­to­rand und spä­ter als wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter. Alles an der Uni­ver­si­tät Ulm. Er hielt Vor­le­sun­gen zur ele­men­ta­ren Prim­zahl­theo­rie, mach­te sei­ne Dok­tor­ar­beit zu Expo­nen­ti­al­sum­men mit der Möbi­us­funk­ti­on und beschäf­tig­te sich mit Linea­rer Alge­bra. Zah­len hier, Funk­tio­nen dort. Berech­nun­gen sind eine Pflichtaufgabe. 

Hans-Peter Reck an sei­nem Arbeits­platz. Foto: Hans-Peter Reck

Und nun ist eine Gemein­de sein neu­es beruf­li­ches Zuhau­se. Die Aus­stat­tung des Kin­der­gar­tens, die Stra­ßen­be­schil­de­rung hier, ein Bau­an­trag dort. Gesprä­che über Belan­ge von Bür­gern sind eine Pflicht­auf­ga­be. Aktu­ell steht das gemein­sa­me Feu­er­wehr­haus für alle Orts­tei­le in der Pla­nung, Reck muss sich um den Breit­band­aus­bau küm­mern und die Ansied­lung von Gewer­be. Ein ganz ande­res Auf­ga­ben­feld als das eines Mathe­ma­ti­kers. Und trotz­dem bekommt man bei einem Gespräch mit ihm schnell das Gefühl, dass er als Bür­ger­meis­ter voll in sei­nem Ele­ment ist. 

Statt Zah­len, Theo­rien und Berech­nun­gen geht es jetzt um das Gan­ze. In der Gemein­de kommt alles zusam­men. „Hier geht es um die gan­ze Band­brei­te des mensch­li­chen Lebens“., sagt er. Egal ob Tech­ni­sches, Medi­zi­ni­sches, Zwi­schen­mensch­li­ches. Reck stößt in der Kom­mu­ne auf Pro­ble­me, die die Men­schen bewe­gen und die er als Bür­ger­meis­ter lösen muss. „Die Gemein­den sind der eigent­li­che Ort der Wahr­heit, weil sie der Ort der Wirk­lich­keit sind.“ 

Kommunalpolitik ist Leidenschaft

Aber auch wegen sei­ner Lei­den­schaft zur Kom­mu­nal­po­li­tik, sagt Reck. „Die Lei­den­schaft kommt wahr­schein­lich aus der schwie­ri­gen Ver­gan­gen­heit, die mei­ne Hei­mat­stadt Aulen­dorf hat­te.“ Reck warf einen Blick auf die Zah­len im Gemein­de­haus­halt. Lan­ge sei sie die am höchs­ten ver­schul­de­te Gemein­de Baden-Würt­tem­bergs gewe­sen. Reck woll­te sich enga­gie­ren und zog in den Gemein­de­rat ein. „Da konn­te ich jetzt 15 Jah­re dran mit­wir­ken, habe da sicher­lich auch viel durch­drun­gen, Din­ge ken­nen­ge­lernt, die mir bei der Arbeit als Bür­ger­meis­ter jetzt sehr hilf­reich sind“, sagt er. „Heu­te ist Aulen­dorf nicht mehr die am höchs­ten ver­schul­de­te Gemein­de Baden-Würt­tem­bergs.“ Das Zah­len­glück schlug wie­der zu.

Doch auch bei sei­ner Tätig­keit als Bür­ger­meis­ter kommt dem Alt­sti­pen­dia­ten Reck die mathe­ma­ti­sche Uni­ver­si­täts-Ver­gan­gen­heit zugu­te. An der Uni heißt es Vor­le­sun­gen hal­ten, dafür Inhal­te Vor­tra­gen, mit Stu­die­ren­den in die Dis­kus­si­on gehen, Fra­gen beant­wor­ten. Schluss­end­lich folgt die Nach­be­rei­tung. Reck ver­gleicht das Pro­ze­de­re mit den Gemein­de­rat­sit­zun­gen, für die er nun ver­ant­wort­lich ist. Wie viel Mathe­ma­ti­ker immer noch im Bür­ger­meis­ter steckt? Sicher viel, sagt er. Sei­ne Sekun­där­fä­hig­kei­ten, die Mathe­ma­ti­ker erwer­ben, kämen ihm jetzt zusätz­lich im Amt zugute. 

Die Ver­ei­di­gung zum Bür­ger­meis­ter. Foto: Hans-Peter Reck

„Das logi­sche Den­ken, das Abs­trak­ti­ons­ver­mö­gen, die Fähig­keit, Pro­ble­me zu erken­nen, sie in ein­zel­ne, klei­ne­re Pro­ble­me auf­zu­tei­len, die­se wie­der­um zu lösen. Das Gan­ze wie­der zusam­men­setz­ten und schluss­end­lich auch eine gehö­ri­ge Frustrationstoleranz.“ 

Hans-Peter Reck

Das war auch schon wäh­rend sei­nes Mathe­ma­tik­stu­di­um so. Von 2004 bis 2007 war Reck Sti­pen­di­at. Er knüpf­te Kon­tak­te, die bis heu­te hal­ten. Und so man­cher ist dabei, der heu­te – ähn­lich wie Reck – im Ses­sel des Bür­ger­meis­ters oder Land­rat sitzt.

Mit­ar­bei­ter von Rat­haus und Kin­der­gar­ten begrü­ßen ihren neu­en Chef. Foto: Hans-Peter Reck

Das Bür­ger­meis­ter­sein ist mitt­ler­wei­le Teil des Lebens von Hans-Peter Reck gewor­den. Denn Abschal­ten vom Job ist für ein Gemein­de­ober­haupt kaum mög­lich. „Bür­ger­meis­ter ist man rund um die Uhr“, sagt er. Auch am Abend und am Wochen­en­de. Frei­tag, Sams­tag und auch Sonn­tag. Zwei Ter­mi­ne, jeden Tag waren es an einem Wochen­en­de Anfang Sep­tem­ber. „Da gibt es dann auch kei­ne Wahl zu sagen ‚ich gehe da hin oder ich gehe da nicht hin‘. Das ist dann eben Teil des Amts­ge­schäf­tes.“ Zeit, die man nicht mit der Fami­lie allein hat. 

Doch Reck und sei­ne Lebens­ge­fähr­tin haben sich erst nach sei­ner Wahl zum Bür­ger­meis­ter ken­nen­ge­lernt. Manch­mal kom­me sie auch mit auf Ter­mi­ne, sagt er. Pri­vat ist der vol­le Ter­min­plan von Bür­ger­meis­ter Reck kein Pro­blem. Denn sei­ne Freun­din wuss­te das von Anfang an. „Das war klar, das ist Bür­ger­meis­ter­le­ben“, sagt Reck.

Bis min­des­tens 2028 bleibt Hans-Peter Reck Bür­ger­meis­ter. Dann steht die neue Wahl­pe­ri­ode an. Eine Welt ohne Kom­mu­nal­po­li­tik? Für Reck unvor­stell­bar. Gemein­den, so sagt er, wären dann „kein Ort der Wirk­lich­keit mehr“. 

Zwei Welten 

Die Kom­mu­nal­wah­len in Bay­ern und Baden-Würt­tem­berg unter­schei­den sich deut­lich. Ein kur­zer Vergleich.

Infor­ma­tio­nen zur Gemein­de Stein­hau­sen an der Rottum