Praktische Theologie: Matthias Frenzel

Ein Nordlicht erforscht den Missionar des Nordens

Veröffentlicht am 1. Juni 2024 von Jana Paulina Lobe

Was bringt einen Nord­deut­schen in das tiefs­te Bay­ern? Mat­thi­as Fren­zel ist Dok­to­rand in Prak­ti­scher Theo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Ros­tock, wo er auch mit sei­ner Fami­lie lebt. Pas­sen­der­wei­se befasst er sich in sei­ner Pro­mo­ti­on mit dem „Mis­sio­nar des Nor­dens“ Lud­wig Heit­mann. In einem umfang­rei­chen Ansatz möch­te Mat­thi­as das Wir­ken die­ses pro­tes­tan­ti­schen Theo­lo­gen lit­ur­gie­wis­sen­schaft­lich rekon­stru­ie­ren und sei­nen Ein­fluss auf die von ihm mit­in­iti­ier­te Ber­neu­che­ner Bewe­gung dar­stel­len. In unse­rem Inter­view erzählt er uns, wie er im Wohn­zim­mer sei­nes Pro­fes­sors auf sein Dis­ser­ta­ti­ons­the­ma gesto­ßen ist, wes­halb er immer wie­der die lan­gen Anfahrts­we­ge nach Klos­ter Banz auf sich nimmt und wie ihm Bie­nen­völ­ker bei der Ent­span­nung helfen. 

Der Ros­to­cker Mat­thi­as auf Klos­ter Banz. Mitt­ler­wei­le wohnt er in Brandenburg.

Stell dir sich vor, wir trä­fen uns auf Klos­ter Banz beim Mit­tag­essen im Rah­men eines Semi­nars. Was wür­dest du über dich erzäh­len? 

Tat­säch­lich haben sich die Gesprä­che am Mit­tags­tisch immer als beson­ders berei­chernd her­aus­ge­stellt. Vie­le mei­ner heu­ti­gen Freun­de in der Stif­tung habe ich, wenn nicht dort, dann im Stüb­le ken­nen und schät­zen gelernt. Über mich per­sön­lich wür­de ich wahr­schein­lich gar nicht so viel erzäh­len, auch wenn ich sehr oft gefragt wer­de, wie man von der Han­se­stadt Ros­tock ins beschau­li­che Klos­ter Banz gerät und sich trotz die­ser Distanz um ein Pro­mo­ti­ons­sti­pen­di­um bei der HSS bewirbt. Zumin­dest höre ich die Fra­ge häu­fig auch in Ver­bin­dung mit den astro­no­misch anmu­ten­den Anreisezeiten. 

Was ist dein aka­de­mi­scher Wer­de­gang? 

Im Gegen­satz zu zahl­rei­chen Kom­mi­li­to­nen bin ich wäh­rend mei­ner gesam­ten Stu­di­en­zeit in Ros­tock geblie­ben, für mich hat sich ein Wech­sel ein­fach nicht erge­ben. In Ros­tock habe ich sowohl als stu­den­ti­sche Hilfs­kraft am Lehr­stuhl für Prak­ti­sche Theo­lo­gie bei Prof. Dr. Tho­mas Klie als auch am DFG-Pro­jekt „Märk­te des Beson­de­ren – Reli­gi­ons­hy­bri­de Netz­wer­ke in Meck­len­burg-Vor­pom­mern“ mit­ge­ar­bei­tet. An zahl­rei­chen Publi­ka­tio­nen habe ich mit­wir­ken und so auch eine gro­ße Brei­te wis­sen­schaft­li­chen Arbei­tens ken­nen­ler­nen dür­fen. Par­al­lel zum Stu­di­um konn­te ich so mehr als 15 Fach­ta­gun­gen im Fach­be­reich der Prak­ti­schen Theo­lo­gie rund um die The­men­be­rei­che Kasua­li­en, Homi­le­tik, Sepul­kral­kul­tur und Lit­ur­gik besuch­ten. Bis heu­te habe ich die­se Pha­se mei­nes Stu­di­ums noch äußerst posi­tiv in Erin­ne­rung und bin sehr dank­bar für die zahl­rei­chen Mög­lich­kei­ten, die ich dank der Anstel­lung am Lehr­stuhl erhal­ten habe. 

Wie lan­ge bist du schon in der Stif­tung? 

Seit 2021 genie­ße ich nun bereits das Pri­vi­leg, Teil der Hanns-Sei­del-Stif­tung zu sein. Beson­ders gern habe ich neben den Pro­mo­ti­ons­fach­ta­gun­gen auch die selbst­ge­stal­te­te Pro­mo­ven­den­ta­gung besucht. Ein groß­ar­ti­ges For­mat, wel­ches inter­dis­zi­pli­nä­ren fach­li­chen Aus­tausch auf hohem Niveau garan­tiert und zudem span­nen­de Ein­bli­cke in die For­schung mei­ner Mit­sti­pen­dia­ten bie­tet. Wer den direk­ten Aus­tausch mit sei­nem Kol­le­gen wünscht, soll­te die Mög­lich­kei­ten einer regel­mä­ßi­gen Teil­nah­me in Betracht zie­hen. Es lohnt sich! Ich habe groß­ar­ti­ge Freund­schaf­ten geschlos­sen, die sich durch die inten­si­ven Begeg­nun­gen vor Ort und den Gesprä­chen auf Augen­hö­he erge­ben haben. Ein wun­der­vol­les Netz­werk, das ich jedem Pro­mo­ti­ons­in­ter­es­sen­ten drin­gend emp­feh­len möchte! 

„Ich würde meinen Weg zur Promotion als einen organisch wachsenden Prozess bezeichnen.“ 

Mat­thi­as Frenzel

Wann stand für dich fest, dass du pro­mo­vie­ren möch­test?  

Mein Stu­di­um habe ich mit dem Wunsch begon­nen, den pfarr­amt­li­chen Dienst wahr­zu­neh­men. Wäh­rend des Stu­di­ums habe ich die Viel­falt die­ses Stu­di­en­gangs lie­ben gelernt. Ich fand mich nach eini­gen Jah­ren wie­der in einem bun­ten Beet zwi­schen wis­sen­schaft­li­cher Ver­tie­fung und prak­ti­scher Reflek­ti­on. In die­sem Span­nungs­feld habe ich mich gern bewegt und bin so auch auf die Mög­lich­keit gesto­ßen, mich mit einem The­men­be­reich inten­siv aus­ein­an­der­zu­set­zen. Alles in allem ist es also ein fort­lau­fen­der Pro­zess wäh­rend mei­ner zwei­ten Stu­di­en­hälf­te gewe­sen, der mich zur Pro­mo­ti­on gebracht hat. 

Wie fiel die Ent­schei­dung für dei­nen Dok­tor­va­ter oder den Stand­ort Ros­tock? 

Über fünf wun­der­ba­re Jah­re hin­weg durf­te ich als Hilfs­kraft im Fach­be­reich der Prak­ti­schen Theo­lo­gie mit­wir­ken, eine Arbeit, die mir immer sehr viel Freu­de berei­tet hat. Wo Freu­de herrscht, dort wird man auch immer gern ins Gespräch kom­men. So habe ich mich am Ende mei­nes Stu­di­ums mit mei­nem Pro­fes­sor über eine mög­li­che Pro­mo­ti­on unter­hal­ten. Ich wür­de daher den Weg zur Pro­mo­ti­on als einen sehr orga­nisch wach­sen­den Pro­zess bezeichnen. 

Seit wann pro­mo­vierst du und wel­ches Abga­be­da­tum sieht dein Zeit­plan vor? 

Das Pro­mo­ti­ons­vor­ha­ben schloss sich im Novem­ber 2020 direkt an mein Stu­di­um an. Noch wäh­rend mei­ner Examens­pha­se habe ich mich mit dem For­schungs­feld beschäf­tigt, das The­ma son­diert und mein Expo­sé aus­for­mu­liert. Was sich anfangs als ein ‚gut abge­steck­tes‘ The­men­feld abzeich­ne­te, wuchs zu einem brei­ten For­schungs­be­reich an. Ich habe mich neben den gro­ßen Theo­lo­gen des aus­ge­hen­den 19. und begin­nen­den 20. Jahr­hun­derts bei­spiels­wei­se mit der Wil­lens­phi­lo­so­phie Scho­pen­hau­ers, der bin­nen­deut­schen Land­flucht im Zuge der Indus­tria­li­sie­rung, dem Städ­te­wachs­tum im frü­hen 20. Jahr­hun­dert, deut­scher Kunst­ge­schich­te uvm. beschäf­tigt. Das ver­deut­licht, wie breit The­men­fel­der wer­den kön­nen, sobald man sich ein­mal tief­ge­hen­der mit nur einem klei­nen Aus­schnitt aus­ein­an­der­setzt. Ein wirk­lich tol­ler, wenn auch zeit­auf­wän­di­ger Effekt. Daher wer­de ich wohl noch eini­ges an Zeit benö­ti­gen, um die Arbeit abschlie­ßen zu können. 

Du schreibst dei­ne Dis­ser­ta­ti­on über Lud­wig Heit­mann und die Lit­ur­gi­sche Bewe­gung. Wie lau­tet dein genau­er Titel und was beinhal­tet dein Pro­mo­ti­ons­vor­ha­ben?  

„Die Sym­bol­kraft des evan­ge­li­schen Got­tes­diens­tes. Lud­wig Heit­mann und die Lit­ur­gi­sche Bewe­gung“ ist der genaue Arbeits­ti­tel mei­ner Dissertation. 

Mei­ner Erfah­rung nach sagen die Namen Lud­wig Heit­mann und Lit­ur­gi­sche Bewe­gung den meis­ten Hörern sehr wenig, daher ord­ne ich die Zusam­men­hän­ge nach­fol­gend etwas ein. 

Das ist sicher nötig, dei­ne Erfah­rung trügt dich gewiss auch im Bezug auf unse­re Leser nicht! 

Es han­delt sich hier­bei um eine lit­ur­gie­wis­sen­schaft­li­che Rekon­struk­ti­on der Wer­ke und des Wir­kens des Theo­lo­gen Lud­wig Heit­manns. Die­ser wirk­te haupt­säch­lich in den frü­hen Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts und war einer der Initia­to­ren der Ber­neu­che­ner Bewe­gung. Die­se Bewe­gung wird in der gegen­wär­ti­gen For­schung im Kon­glo­me­rat der ‚Jün­ge­ren Lit­ur­gi­schen Bewe­gung‘ inner­halb des Pro­tes­tan­tis­mus zusam­men­ge­fasst. Die dar­un­ter gefass­ten Strö­mun­gen eint der Wunsch, in der Reli­gi­ons­pra­xis eine Ant­wort auf die drän­gen­den Fra­gen der Gesell­schaft bie­ten zu können. 

In mei­ner For­schung rich­te ich mei­nen Blick geson­dert auf Lud­wig Heit­mann und des­sen Ein­fluss auf die Ber­neu­che­ner Bewe­gung. Für die Lit­ur­gie­wis­sen­schaft ist es ein loh­nen­der Bei­trag, da sich bis­lang nie­mand ein­ge­hend mit die­sem Herrn aus­ein­an­der­ge­setzt hat. Es gibt nur spär­li­che Bei­trä­ge über sein theo­lo­gi­sches und reli­giö­ses Wir­ken. Das hat dazu geführt, dass sein Stel­len­wert in der ein­schlä­gi­gen For­schungs­li­te­ra­tur unter­be­stimmt bleibt und sei­ne Per­son zum Teil bereits in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist. Was mich wäh­rend mei­ner ers­ten Kon­tak­te zu ihm etwas ver­wun­dert hat, da er sich als wich­ti­ger Strei­ter in der Ber­neu­che­ner Bewe­gung und als mah­nen­der Weg­be­rei­ter der aus ihr her­vor­ge­gan­ge­nen Evan­ge­li­schen Micha­els­bru­der­schaft pro­fi­lie­ren konn­te. Letz­te­re exis­tiert bis heu­te und hat ihren Sitz auf Klos­ter Kirchberg. 

Wie gehst du in dei­ner For­schung vor?

Zum einen gehört zu mei­nem For­schungs­be­reich die Archiv­ar­beit. Wel­chen Ein­fluss hat­te Heit­mann in der noch sehr jun­gen ‚Evan­ge­lisch-luthe­ri­schen Kir­che im Ham­bur­gi­schen Staa­te‘? Wie bestimm­te er die demo­kra­ti­schen Geschi­cke die­ser auf die Lan­des­kir­che nach dem Unter­gang des Lan­des­herr­li­chen Kir­chen­re­gi­ments im Zuge des Zusam­men­bruchs des Deut­schen Kai­ser­reichs? Bio­gra­phi­sche und kir­chen­po­li­ti­sche Grund­satz­fra­gen sol­len auf die­se Art und Wei­se auf­ge­ar­bei­tet wer­den. Zu mei­nem gro­ßen Glück hat die Evan­ge­li­sche Micha­els­bru­der­schaft ein eige­nes Archiv geführt und dies der Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht.

Was ist das Beson­de­re an Lud­wig Heitmann?

Heit­manns umtrie­bi­ges Wesen und sei­ne mis­sio­na­ri­sche Arbeit in und um Ham­burg brach­te ihm das Prä­di­kat ‚Mis­sio­nar des Nor­dens‘ ein. Ihm war dran gele­gen, den Anspruch Ber­neu­chens in einer prak­ti­schen, lebens­na­hen Umset­zung in die Gemein­den zu brin­gen und somit der von ihm skiz­zier­ten gesell­schaft­li­chen Ver­falls­ge­schich­te ent­ge­gen­zu­wir­ken.  Hier ist bereits der zwei­te Teil mei­ner For­schungs­leis­tung ange­schnit­ten: die Ana­ly­se des umfas­sen­den Œuvres Heit­manns. Als Stadt­pfar­rer einer rapi­de anwach­sen­den Groß­stadt­ge­mein­de hat er neben mehr als 60 klei­ne­ren Schrif­ten und Pre­digt­me­di­ta­tio­nen auch zahl­rei­che Wer­ke her­aus­ge­ge­ben. Dabei wid­me ich mich drei Wer­ken beson­ders: sei­nem Haupt­werk ‚Groß­stadt und Reli­gi­on‘, in dem er auf knapp 900 Sei­ten die Rele­vanz der Reli­gi­on für die Gesell­schaft des frü­hen 20. Jahr­hun­derts beschrieb, und zwei spä­te­ren Kon­kre­ti­ons­ar­bei­ten. Die­se Bücher sind nicht nur wich­ti­ge Zeit­zeu­gen des Groß­stadt­dschun­gels, son­dern geben ent­schei­den­de Ein­bli­cke in die Theo­lo­gie Heit­manns. Die Ana­ly­se der Schrif­ten Heit­manns dient auch einer ver­glei­chen­den Betrach­tung, ins­be­son­de­re der publi­zier­ten Pro­gramm­schrift Ber­neu­chens, dem ‚Ber­neu­che­ner Buch‘. Dass sich hier die bereits eini­ge Jah­re zuvor ver­öf­fent­lich­ten Ansät­ze Heit­manns wie­der­fin­den las­sen müs­sen, liegt nahe, auch wenn das Ber­neu­che­ner Buch ihn nur als Mit­au­tor aus­weist, aber kei­ne expli­zit von ihm ver­fass­ten Kapi­tel enthält. 

Es klingt so, als sei­en aller guten Din­ge drei?

Dies ist tat­säch­lich der drit­te Aspekt mei­nes For­schungs­fel­des: die engen Berüh­rungs­punk­te Heit­manns mit Ber­neu­chen. Die Trans­fer­leis­tung der Theo­lo­gie Lud­wig Heit­manns in den gegen­wär­ti­gen prak­tisch-theo­lo­gi­schen Dis­kurs stellt schließ­lich den abschlie­ßen­den Auf­ga­ben­be­reich mei­ner Dis­ser­ta­ti­on dar: Wel­che Maß­stä­be hat Heit­mann an das got­tes­dienst­li­che Gesche­hen gelegt und wor­in besteht der gro­ße Unter­schied sei­ner Theo­lo­gie zur Gegen­warts­li­te­ra­tur? Wie kann man gegen­wär­ti­ge Got­tes­dienst­theo­rien mit den For­de­run­gen und Ansät­zen Heit­manns ver­glei­chen? Die­sen Fra­gen gehe ich nach in der Absicht, für die Dis­kus­si­on frucht­ba­re Ele­men­te in den prak­tisch-theo­lo­gi­schen Dis­kurs ein­brin­gen zu können. 

Wie berich­test du auf Par­tys und Fami­li­en­tref­fen von dei­nem Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt?  

Eine her­vor­ra­gen­de Fra­ge, für die es bei mir kei­ne all­ge­mein­gül­ti­ge Ant­wort gibt. Für mich war es bereits bei der Wahl mei­nes The­mas ent­schei­dend, dass ich einen Bereich mit gesell­schaft­li­cher Rele­vanz und wis­sen­schaft­li­chem Mehr­wert bear­bei­te. Wenn ich auf pri­va­ten Tref­fen von mei­nem For­schungs­the­ma berich­te, ver­su­che ich immer auch bei­den Per­spek­ti­ven gerecht zu wer­den. Beson­ders gut gelingt es mir, wenn mein Gegen­über von mei­nem Stu­di­en­ver­lauf hört. Das löst häu­fig eine Wel­le der Recht­fer­ti­gun­gen bei mei­nen Gesprächs­part­nern aus. Sie selbst ord­nen sich gesell­schaft­lich ein und posi­tio­nie­ren sich beson­ders nah oder fern an der Welt der Religion.

„Es macht mir immer wieder große Freude zu entdecken, wie weitreichend Gespräche über Theologie oder Kirche sein können.“

Mat­thi­as Frenzel

Das klingt nach sehr tie­fen Gesprächen …

In der Regel sind die­se Gesprä­che von einer hohen Inti­mi­tät geprägt. Reli­gi­on ist häu­fig ein sehr per­sön­li­ches The­ma und es macht mir dann immer wie­der gro­ße Freu­de gemein­sam zu ent­de­cken, wie weit­rei­chend eigent­lich der­ar­ti­ge Gesprä­che über Theo­lo­gie oder Kir­che sein kön­nen, über die eige­ne Wahr­neh­mung hin­aus. Dar­in pfle­gen sich die Unter­hal­tun­gen über mein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt ein. Das ist ein schö­nes Gefühl, da ich mer­ke, wie aktu­ell eine lit­ur­gie­wis­sen­schaft­li­che Arbeit sein kann, auch wenn mei­ne Gesprächs­part­ner kei­ne Berüh­rungs­punk­te damit haben. 

Wie bist du auf dein Dis­ser­ta­ti­ons­the­ma gekom­men?  

Das „Ber­neu­che­ner Buch“, Initi­al­zün­dung und For­schungs­ge­gen­stand für Mat­thi­as Promotion

Das The­men­feld ist der Ein­la­dung zu einem Ober­se­mi­nar ent­sprun­gen. Prof. Dr. Tho­mas Klie lud in den Som­mer­se­mes­tern einen klei­nen Kreis inter­es­sier­ter Men­schen in sein Wohn­zim­mer ein. Neben lecke­rem Essen wur­den ein­schlä­gi­ge Wer­ke gemein­sam gele­sen und bespro­chen. Ein tol­les Set­ting. Wir lasen damals par­al­lel zwei „Pro­gramm­schrif­ten“ der lit­ur­gi­schen Bewe­gun­gen des frü­hen 20. Jahr­hun­derts. Auf evan­ge­li­scher Sei­te war das „Das Ber­neu­che­ner Buch“, das ich damals in einem klei­nen Impuls­re­fe­rat vor­stel­len durf­te. Ich beant­wor­te­te sum­ma sum­ma­rum die Fra­ge: Was zeich­net das Buch aus, dass wir es hier in die­sem Krei­se lesen? Wäh­rend mei­ner Recher­chen habe ich fest­ge­stellt, dass es zwar zu zwei der drei Autoren reich­lich Infor­ma­ti­ons­ma­te­ri­al gibt, der drit­te Autor im Bun­de, Lud­wig Heit­mann, jedoch kei­ne grö­ße­re Beach­tung erhal­ten hat. Das hat mein Inter­es­se geweckt.

„Ich halte ein Stück Zeitgeschehen und Gesellschaftsdeutung in der Hand, die mich häufig wundern lässt, wie nah sich manche gesellschaftlichen Dynamiken des beginnenden 20. und des frühen 21. Jahrhunderts zu sein scheinen.“

Mat­thi­as Frenzel

Was fas­zi­niert dich beson­ders an dei­ner For­schung? 

In sei­nen Wer­ken nimmt Heit­mann einen span­nen­den Spa­gat zwi­schen deskrip­ti­ver gesell­schaft­li­cher Wahr­neh­mung und theo­re­ti­scher wil­lens­phi­lo­so­phi­scher Bestim­mung des Mit­ein­an­ders vor. Es gelingt ihm in sei­nen Aus­füh­run­gen immer wie­der, theo­lo­gi­sche Grund­satz­de­bat­ten flie­ßend in den Dis­kurs ein­zu­ar­bei­ten. Stel­len­wei­se erge­ben sich so in sei­nen Schrif­ten sub­ti­le Ver­bin­dun­gen gesell­schaft­li­cher, phi­lo­so­phi­scher und theo­lo­gi­scher Deu­tun­gen. Die­se her­aus­zu­ar­bei­ten ist für mich beson­ders anregend. 

Klingt nach kei­nem leich­ten Unterfangen …

Es kos­tet viel Mühe, da Heit­mann von der Zita­ti­on wenig hielt und vie­les als All­ge­mein­wis­sen ganz neben­bei als nicht aus­ge­wie­se­nes Zitat in sei­nen Fließ­text auf­nahm. So las­sen sich nahe­zu alle Grö­ßen der Wei­ma­rer Klas­sik in sei­nen Wer­ken ganz selbst­ver­ständ­lich wie­der­fin­den. Die­se zu erken­nen ist eine Sache, die Beleg­stel­len und Wer­ke aus­fin­dig zu machen eine ganz ande­re. Doch die­se For­schungs­leis­tung hat mich auch selbst wie­der ein Stück weit an die Klas­si­ker deut­scher Lite­ra­tur herangebracht. 

Was war das damals für eine Zeit, in der Heit­mann wirkte?

Beson­ders zu Beginn des frü­hen 20. Jahr­hun­derts gin­gen sehr dyna­mi­sche Pro­zes­se von­stat­ten. Das poli­ti­sche Sys­tem wur­de grund­le­gend ver­än­dert, es gab eine star­ke Land­flucht und damit einen kaum ver­gleich­ba­ren Zuwachs an Kul­tur­di­ver­si­tät in den Bal­lungs­räu­men. Hier kom­men reli­gi­ös-kul­tu­rel­le Fra­gen beson­ders zum Vor­schein: Gemein­de­struk­tu­ren, Got­tes­dienst­for­men, die Rol­le des Pfar­rers inner­halb der Gesell­schaft, die Bedeu­tung der Reli­gi­on für den Ein­zel­nen und für die Mas­se und vie­les mehr. Heit­mann legt den Fin­ger mei­ner Auf­fas­sung nach genau dort in die Wun­de, wo sich – zum Teil bis in die Gegen­wart hin­ein – die Ergeb­nis­se die­ser Auf­brü­che und Span­nungs­fel­der able­sen las­sen. Ich hal­te daher ein Stück Zeit­ge­sche­hen und Gesell­schafts­deu­tung in der Hand, die mich häu­fig auf­schre­cken und wun­dern lässt, wie fern und doch wie nah sich die theo­lo­gi­schen und gesell­schaft­li­chen Dyna­mi­ken des begin­nen­den 20. und des frü­hen 21. Jahr­hun­derts zu sein scheinen. 

Wie hat sich dein The­ma seit der Fest­le­gung ent­wi­ckelt, zu wel­chen Tei­len stimmt es noch mit dei­ner Aus­gangs­idee über­ein, was hat sich ver­än­dert? 

Tat­säch­lich erwei­tert sich der Betrach­tungs­kom­plex immer mehr und muss auch dem­entspre­chend von Zeit zu Zeit wie­der ein­ge­engt wer­den. Ein – wie ich fin­de – glück­li­cher Umstand, da es die Trag­wei­te mei­nes For­schungs­fel­des ver­deut­licht und mir auch wider­spie­gelt, wel­che Rele­vanz mein For­schungs­feld hat. Aller­dings wei­sen all die­se Neben­schau­plät­ze letzt­lich auf die gro­ße Fra­ge hin, mit der ich mich geson­dert beschäf­ti­ge, näm­lich die Form des evan­ge­li­schen Got­tes­diens­tes und ihre Grund­la­gen für uns als Haupt­ak­teu­re, aber auch für die Men­schen, die letzt­lich auch ein fes­ter Bestand­teil des Gesche­hens und damit eben­falls Akteu­re sind. 

Wor­an arbei­test du im Moment? 

Gegen­wär­tig betrach­te ich die Ein­flüs­se der Wil­lens­phi­lo­so­phie auf die Theo­lo­gie Lud­wig Heit­manns. Es las­sen sich wich­ti­ge Lini­en zie­hen, die Lud­wig Heit­mann für die Rele­vanz der Reli­gi­on inner­halb der Gesell­schaft betrachtet. 

Wel­che Hür­den und Schwie­rig­kei­ten gab oder gibt es für dich im For­schungs- oder Schreib­pro­zess? 

Mein All­tag gehört nicht nur der For­schung allein, son­dern auch mei­ner Fami­lie. Mei­ne bei­den bezau­bern­den Kin­der und mei­ne Frau neh­men selbst­ver­ständ­lich einen wich­ti­gen Teil mei­nes Lebens ein, sodass ich nicht bis in die spä­ten Abend­stun­den am Schreib­tisch sit­zen kann. Die Arbeit schrei­tet dadurch etwas lang­sa­mer vor­an als gedacht, doch es bewegt sich in eine sehr gute Rich­tung, sodass ich zufrie­den und stolz sein kann. 

Was moti­viert dich, bei „Durst­stre­cken“ moti­viert zu blei­ben und wei­ter­zu­ma­chen? 

Wenn man ver­sucht, sich sei­ne Auf­ga­ben in klei­nen Schrit­ten ein­zu­tei­len, ist die Freu­de auch auf län­ge­ren „Durst­stre­cken“ beim Über­win­den der ein oder ande­re Hür­de groß. Ich ver­su­che mich dem­entspre­chend posi­tiv zu moti­vie­ren und in der Regel klappt das auch ganz gut. 

Die Imke­rei als Ausgleich

Was tust du als Aus­gleich zum wis­sen­schaft­li­chen Schrei­ben und Arbei­ten? 

Ich lie­be die Musik und erfreue mich an der Natur. Seit 2023 habe ich zwei Bie­nen­völ­ker in mei­nem Gar­ten ste­hen und nut­ze die­se „Ablen­kung“ bewusst, um einen Aus­gleich zum All­tag zu haben, der nur mir ganz pri­vat gehört. Ein klei­ner Zufluchts­ort, bei dem ich mich unge­stört auf etwas ganz Ande­res kon­zen­trie­ren und tief durch­at­men kann. 

Hast du schon Plä­ne, wie es nach Abschluss der Pro­mo­ti­on für dich wei­ter­ge­hen soll? 

Im Sep­tem­ber 2024 star­te ich in das Vika­ri­at. Dies ist der Aus­bil­dungs­weg zum pfarr­amt­li­chen Dienst und soll auf die Arbeit in und mit den Gemein­den vor­be­rei­ten. Bis­lang habe ich mit mei­nem ers­ten Theo­lo­gi­schen Examen im Grun­de nur den hal­ben Weg beschrit­ten. Den Her­aus­for­de­rung der prak­ti­schen Aus­bil­dung schaue ich daher bereits mit gro­ßer Span­nung und Freu­de ent­ge­gen. Mei­ne Pro­mo­ti­on wird sich vor­her nicht abschlie­ßen las­sen, sie wird aller Vor­aus­sicht nach im Anschluss an das Vika­ri­at abge­ge­ben. Wie es danach wei­ter­ge­hen wird, das wird sich erst noch zei­gen, doch bli­cke ich hoff­nungs­voll in die Zukunft und freue mich auf das, was mich erwar­ten wird. 

Lite­ra­tur­tipp: Ein Essay von Mat­thi­as Fren­zel über Lud­wig Heit­mann in „Qua­tem­ber“, Vier­tel­jah­res­heft für Erneue­rung und Ein­heit der Kir­che.