Kathrin Baumgartner springt gemeinsam mit den Stipendiaten auf Kloster Banz (Foto: V. Göbner)

Seilhüpfen um den WM-Titel

Der springende Punkt

Veröffentlicht am 10. Dezember 2023 von Jana Paulina Lobe

Tsch, tsch, tsch. Die Luft wird zer­schnit­ten, mehr­mals pro Sekun­de. Gegen das peit­schen­ähn­li­che Knal­len klingt das Tap-tip, tap-tip, tap-tip bei­na­he zärt­lich. Ein lei­ses, federn­des Lan­den von Turn­schuh­soh­len auf Hal­len­bo­den. Es ist, als stün­de ein Ganz­kör­per-Hei­li­gen­schein um Kathrin. 

Auf dem Insta­gram-Clip, den sie mir geschickt hat, sehe ich sofort: Das hat wenig gemein mit dem Seil­sprin­gen, wie man es vom Schul­hof kennt. Kath­rin Baum­gart­ner, 27 Jah­re, hüpft nicht Seil, sie skippt. Und das in einem rasan­ten Tem­po. Sin­gle Rope Speed nennt sich die Dis­zi­plin, in der die Augs­bur­ger HSS-Pro­mo­ti­ons­sti­pen­dia­tin einen per­sön­li­chen Rekord von 700 Schwün­gen in 180 Sekun­den auf­ge­stellt hat. In Oslo, Nor­we­gen, im Som­mer 2019, als Teil­neh­me­rin bei den Welt­meis­ter­schaf­ten im Seil­sprin­gen. Auf den World Jum­pro­pe Cham­pi­on­ships ver­sam­melt sich die Ropeskip­ping-Sze­ne. 1000 Sei­le aus 26 Natio­nen wer­den hier geschwun­gen, um einen Kör­per, wie um Kath­rins, oder meh­re­re, als Mann­schafts­sport. Das nennt sich dann Dou­ble Dutch oder Wheel. Sport­spra­che ist eng­lisch, hat das Ropeskip­ping sei­ne Wur­zeln doch in den Stra­ßen der USA. Von dort aus hat es sich vom zah­men Schul­mäd­chen­ge­hüp­fe zu einer wett­kampf­ori­en­tier­ten Sport­art ent­wi­ckelt, die Koor­di­na­ti­on, Aus­dau­er und akro­ba­ti­sches Kön­nen vereint.

Ein Piep­sen, gespann­te Ruhe. Kath­rin ist kon­zen­triert. Der ers­te Takt. Ich erken­ne Bon­nie Tylers Song “Hol­ding out for a hero”. Das Video, das Kath­rin bei ihrer Cho­reo­gra­phie zeigt, ist etwas ver­wa­ckelt. Es passt zu ihren rasan­ten Bewe­gun­gen. Das Seil nimmt Bewe­gung auf, ver­schwin­det unter dem lin­ken Bein, hin­ter dem Rücken, ein Rad­schlag, ein hoch­ge­schwun­ge­nes rech­tes Bein. Free­style ist die zwei­te Kate­go­rie, in der Kath­rin sich den Kampf­rich­tern prä­sen­tiert. Eine selbst erstell­te Cho­reo­gra­phie mit fest­ge­leg­ten Ele­men­ten. Wenn Speed Pflicht ist, ist das die Kür. „For­ty-five“, sagt eine stren­ge Män­ner­stim­me. Er zählt die Sekun­den her­un­ter, die für den Zuschau­er nur so flie­gen. Genau wie das Seil und Kath­rins Gliedmaßen.

Doktor- statt Weltmeistertitel

Schon meh­re­re Jah­re hat­te Kath­rin das Ropeskip­ping auf Leis­tungs­sport­ni­veau betrie­ben. Drei­mal pro Woche Trai­ning. Abends, denn tags­über ist sie im Labor. 

Nach ihrem Phy­sik­stu­di­um hat Kath­rin 2021 an der Uni­ver­si­tät Augs­burg ihre Pro­mo­ti­on begon­nen, in Bio­phy­sik. Mit ihrem Team betreibt sie Grund­la­gen­for­schung an der Schnitt­stel­le zur Medi­zin. „Das ist im Prin­zip unser Ziel, dass wir erklä­ren kön­nen, war­um Ultra­schall­the­ra­pie funk­tio­niert. Das sind ja auch eine Form von akus­ti­schen Wel­len, die wir dann im ganz Klei­nen nach­bil­den“, sagt sie. 

In ihrer Dis­ser­ta­ti­on unter­sucht sie, wie Zel­len durch einen selbst­ge­bau­ten Mikro­chip, der sie mit Nano­be­ben beschallt, in Bewe­gung gebracht wer­den kön­nen. Das kann bei­spiels­wei­se bei der Beschleu­ni­gung von Wund­hei­lung Anwen­dung finden.

„So ein ganz bekannter ist der TJ, das ist Level 3.“

Höf­li­ches Nicken, Fra­ge­zei­chen in den Augen. Das kennt Kath­rin schon. Wenn sie von ihrer For­schung erzählt, stei­gen man­che inner­halb der ers­ten Sät­ze aus. Es geht aber gera­de nicht um durch akus­ti­sche Ober­flä­chen­wel­len sti­mu­lier­tes Zell­wachs­tum. Das Fach­chi­ne­sisch, das Kath­rin mir in unse­rem Gespräch begeis­tert schil­dert, stammt aus der Welt des Skip­pings. Die Vor­bil­der, die sie nennt, sind kei­ne Kory­phä­en der Bio­phy­sik, son­dern jun­ge Ath­le­ten. Der Jar­gon beinhal­tet Voka­beln wie AS, Caboo­se oder der schon erwähn­te TJ. Die­se kom­pli­zier­ten Sprün­ge sei­en nach den Initia­len ihrer Erfin­der benannt, erklärt Kath­rin mir. Sie kom­men meist aus den USA. Doch es gibt mitt­ler­wei­le auch eine veri­ta­ble deut­sche Sze­ne. Auf Insta­gram folgt Kath­rin Skip­pern wie Mira Wate oder Eric See­ger. Als sie mir die Links zu deren Accounts schickt, stau­ne ich. Ein­mal über die schnel­le Fuß­ar­beit, ein­mal über die Anzahl von Fol­lo­wern. Meh­re­re Tau­send. Das öffent­li­che Inter­es­se am Ropeskip­ping steigt, die Medi­en spre­chen von einer Trendsportart.

Heu­te wird Ropeskip­ping immer öfter in Fit­ness­stu­di­os und Sport­ver­ei­nen ange­bo­ten. Im Turn­ver­ein Augs­burg 1847 e.V. bereits seit über 16 Jah­ren. Damals haben die Eltern die klei­ne Kath­rin hin­ge­schickt. Sie sahen Poten­ti­al in der Sprung­kraft ihrer Toch­ter. „Am Anfang woll­te ich gar nicht“, sagt Kath­rin und lacht. Das änder­te sich aller­dings gleich bei ihrer ers­ten Pro­be­stun­de. Über die Hälf­te ihres Lebens schwingt sie das Seil nun schon. Inzwi­schen jedoch vor­wie­gend für andere. 

Skippende Stipendiaten

Seit sie ihre Pro­mo­ti­on im Bereich der Bio­phy­sik sehr in Anspruch nimmt, hat sie sich aus dem Leis­tungs­sport zurück­ge­zo­gen. Als Spar­ten­lei­te­rin ihres Ver­eins und lizen­zier­te Trai­ne­rin lehrt Kath­rin jetzt selbst Jugend­li­che, mit dem Seil zu tur­nen. So auch Sti­pen­dia­ten der Hanns-Sei­del-Stif­tung im August die­ses Jah­res bei „Sport für alle“. 

Kath­rin als Lei­te­rin des Semi­nars „Gren­zen des Leis­tungs­sports“ im August 2023 (Foto: V. Göbner)

Auf Klos­ter Banz refe­rier­te sie über die „Gren­zen des Leis­tungs­sports“. Ihre eige­ne Gren­ze muss­te sie schmerz­haft spü­ren, als sie sich nach dem Abitur am Knie ver­letz­te. Auch des­halb liegt es ihr beson­ders am Her­zen, ihren Ath­le­ten rich­ti­ge Bewe­gungs­ab­läu­fe und Mus­kel­kräf­ti­gung nahe­zu­brin­gen, um Ver­let­zun­gen vor­zu­beu­gen. Nach dem Abend­essen ani­mier­te sie die Semi­nar­teil­neh­mer, selbst das Seil zu schwin­gen. Statt des schwar­zen Over­alls trug Kath­rin jetzt Trai­nings­klei­dung. Sei­le hat­te sie natür­lich dabei. Tische wur­den bei­sei­te gescho­ben, Jacketts abge­legt, Turn­schu­he ange­zo­gen. Die Wän­de des Ban­zer Semi­nar­rau­mes erbeb­ten. Tsch, tsch, tsch. Die Sti­pen­dia­ten stell­ten an die­sem Abend zwar kei­ne Rekor­de auf, die Begeis­te­rung für das Skip­ping sprang aber von Kath­rin auf sie über.

Wie es nach ihrer Dok­tor­ar­beit wei­ter­geht, weiß Kath­rin noch nicht genau. Eins ist aber sicher: Das Seil bleibt ihr. Für ihre nächs­ten hohen Sprünge.