Fränkische Landesgeschichte: Thomas Geidner und das Stiftungswesen
Der ewige Wunsch nach Ewigkeit
Thomas ist Doktorand in Fränkischer Landesgeschichte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sein Herz schlägt sowohl für seine Heimatstadt Wolframs-Eschenbach als auch für gegenwartsbezogene Geschichtsvermittlung. In seiner Doktorarbeit vereint er beides. Im Interview sprechen wir unter anderem von seinem Weg vom Hotelfachmann zum Staatsexamen, die Stiftung Warentest und das Jüngste Gericht.
Stell’ dir vor, wir träfen uns auf Kloster Banz beim Mittagessen im Rahmen eines Seminars. Was würdest du über dich erzählen?
Ich würde dir erzählen, dass ich aus der schönsten Stadt Bayerns, dem malerischen Wolframs-Eschenbach in Mittelfranken, stamme. Die Geburtsstadt des Dichters Wolfram von Eschenbach lädt mit ihren mittelalterlichen Fachwerkhäusern, beschaulichen Gassen und einem prächtigen Renaissance-Kern zum Verweilen und besonders in den Sommermonaten auf ein lokal gebrautes Kellerbier in der historischen Vogtei ein.
Das klingt einladend! Ob sich diese reiche Historie auch auf deinen Weg ausgewirkt hat? Was ist dein akademischer Werdegang?
Als ich 2009 meinen Realschulabschluss in Händen hielt, war noch gar nicht absehbar, dass ich überhaupt einmal einen akademischen Werdegang einschlagen würde. Zunächst führte mich mein Interesse für die Gastronomie an die Hotel- und Gaststättenschule Schloss Albrechtsberg in Dresden. Hier konnte ich gleichzeitig die Ausbildung zum staatlich geprüften Hotelfachmann und mein allgemeines Abitur absolvieren. Auf Grund meiner gesammelten Erfahrungen in der Jugendarbeit und der gewachsenen Leidenschaft, Wissen nicht nur zu erwerben, sondern weiterzugeben, nahm ich 2013 das Studium für das gymnasiale Lehramt an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg auf. Dabei entschied ich mich für die Kombination der Fächer Germanistik/Deutsch, Geschichte und Erziehungswissenschaften. Im Herbst 2019 legte ich dann die erste Staatsprüfung ab.
Wie lange bist du schon in der Stiftung?
Nach einer Auswahltagung in München wurde ich zum 1. Juli 2020 in die Promotionsförderung der Hanns-Seidel-Stiftung aufgenommen.
Wann stand für dich fest, dass du promovieren möchtest? Wie fiel dabei die Entscheidung für deinen Doktorvater oder den Standort?
Anfang Oktober 2019 stand der Entschluss fest zu promovieren. Auch wenn mein Dissertationsthema zu diesem Zeitpunkt nur als Entwurf bestand, wollte ich einen Beitrag zur Geschichtsforschung leisten.
Mein Wunschdoktorvater war dabei von Beginn an Prof. Dr. Helmut Flachenecker, da er als Inhaber des Lehrstuhls für Fränkische Landesgeschichte und Leiter der Deutschordensforschungsstelle an meiner Alma Mater genau die beiden Forschungsbereiche verbindet, die mein Dissertationsprojekt in sich vereint. Im Übrigen empfahl mir mein Doktorvater, zusätzlich Prof. Dr. Wolfgang Weiß als Experten für fränkische Kirchengeschichte mit ins Boot zu holen. Zu meiner Freude bot mir kurzerhand auch Prof. Dr. Peter Hoeres, an dessen Lehrstuhl für Neueste Geschichte ich zwei Jahre als studentische Hilfskraft tätig sein durfte, seine Unterstützung an und komplettierte somit mein Mentorats-Dreigestirn.
Das Mentorats-Dreigestirn im Rücken stand nun also. Wann hast du dann mit der Dissertation angefangen und wie sieht dein Zeitplan aus?
Mit den konkreten Vorarbeiten, sprich Sichtung der Forschungsliteratur, erste Anfragen an und Recherchen in den einschlägigen Archiven sowie Konkretisieren der Forschungsfrage, habe ich im Januar 2020 begonnen. Die Einschränkungen bei der Archivnutzung aufgrund der Corona-Pandemie und Baumaßnahmen im Staatsarchiv Nürnberg, eine thematische Schwerpunktverlagerung innerhalb meiner Arbeit sowie die Geburt meiner Tochter haben meinen Zeitplan allerdings mehrmals über den Haufen geworfen. Derzeit strebe ich an, bis Ende des kommenden Sommers die Textarbeit abzuschließen.
Steigen wir einmal inhaltlich ein. Wie lautet dein genauer Titel und was kann ich mir darunter vorstellen?
Der zugegeben sperrige Arbeitstitel „Zwischen Karitas und Kredit – Das Stiftungswesen in der Deutschordensstadt und Pfarrei (Wolframs-)Eschenbach vom 14. bis 20. Jahrhundert“ fächert wohl aber das gesamte Spektrum meines Themas auf.
Zunächst sammle ich alle weltlichen und kirchlichen Stiftungen, die zwischen 1374 und 1945 in Eschenbach, das der Deutsche Orden bis ins 19. Jahrhundert regierte, gestiftet wurden. Meine Arbeit ist demnach eine lokalgeschichtliche Längsschnittstudie. Als Stifter traten vor allen Dingen die Bürger, Stadtpfarrer, Mitglieder des Deutschen Ordens, aber auch der bayerische König Ludwig I. auf. Eine Stiftung setzt sich dabei immer aus drei Komponenten zusammen: einem Vermögen, zum Beispiel Geld oder Immobilien, einem Zweck, welcher damit erfüllt werden soll, und ihrer Dauerhaftigkeit.
Die anhand dieser Merkmale identifizierten Stiftungen kategorisiere ich nach ihren Zwecken als Gedenk‑, Wohltätigkeits‑, Kultus- und Unterrichtsstiftungen. Auf diese Weise möchte ich die Vielfalt dieses Phänomens herausstellen und dass Stiftungen in nahezu alle Bereiche der Gesellschaft hineinwirkten. Ich berücksichtige bei meiner Forschung nicht nur Schriftquellen, sondern ebenso Gegenstände wie Kerzen, Leuchter, Glocken oder Epitaphe, Bildstöcke und Kapellen.
Im nächsten Schritt analysiere ich ihr dauerhaftes Bestehen als die wichtigste Eigenschaft von Stiftungen.
Das Besondere an vormodernen Stiftungen ist nämlich, dass sie immer für die Ewigkeit gestiftet wurden. Sie sollten dem Stifter über seinen Tod hinaus Pluspunkte im Fegefeuer einbringen, damit er beim Jüngsten Gericht in das Himmelreich gelange.
Einige der im Mittelalter und der Frühen Neuzeit errichteten Stiftungen in Eschenbach gibt es immer noch. Daher untersuche ich, wie und warum es manche Stiftungen geschafft haben, bis in die Gegenwart zu überleben, andere hingegen nicht.
Das hört sich nach einer wahrhaft umfassenden Studie an. Wie berichtest du von deinem Projekt auf Parties und Familientreffen?
Dazu behelfe ich mir mit Alltagsbeispielen, denn Stiftungen wirken überall um uns herum. Vielen ist die Stiftung Warentest ein Begriff. Wie auch die historischen Stiftungen in meiner Forschung besteht sie aus einem Vermögen, das zu einem gewissen Zweck, in diesem Fall der Verbraucherinformation, auf unbestimmte Zeit gestiftet wurde.
In meiner Dissertation gehe ich schlicht der Frage nach, wie es Stiftungen in meiner Heimatstadt, teils über Jahrhunderte, geschafft haben fortzuwirken, obwohl deren Stifter seit langem tot und die Gesellschaft drum herum in stetigem Wandel ist.
Wieder einen Schritt zurück: Wie bist du auf dein Dissertationsthema gekommen?
Im wahrsten Sinne des Wortes durch göttliche oder besser bischöfliche Fügung. Ende 2019 wurde ich als ehrenamtliches Mitglied in die Kirchenverwaltung meiner Heimatpfarrei gewählt. Einer unserer ersten Beratungsgegenstände war ein Dekret des Eichstätter Bischofs, wonach unserem Gremium die Verwaltung einer Stiftung aus einem Nachbarort übertragen wurde. Angeblich seien weder eine Stiftungsurkunde noch eine rechtmäßige Verwaltung vorhanden. Mir erschien dieser Erlass widerrechtlich. Meine Nachforschungen in diversen Archiven brachten – entgegen dem bischöflichen Schreiben – Originale, Abschriften oder Kopien der Stiftungsurkunde zutage. Ich verfasste daraufhin ein historisches Gutachten und schlug die Wahl des eigentlichen Verwaltungsgremiums vor, wie es die Stiftungsurkunde vorsieht. Mein Vorschlag wurde befürwortet. Beflügelt davon, dass Geschichtsforschung in die Gegenwart hineinwirken kann, wollte ich nun sämtliche Stiftungen der Pfarrei und Stadt auf ihren Ursprung, Zweck und Fortbestand durchleuchten, auch um sie vor zukünftigem Missbrauch zu schützen.
Eine motivierende Verkettung von Gestern und Heute, Theorie und Praxis! Was fasziniert dich besonders an deiner Forschung?
Die Faszination macht für mich die unerwartete Aktualität und der Gegenwartsbezug meiner Forschung aus. Jeder von uns, nicht nur Mitglieder großer Unternehmerfamilien, kann eine Stiftung errichten. Von der Antike bis in unsere Zeit und selbst in der Zukunft ermöglich(t)en Stiftungen, den eigenen Willen, eigene Ideen, die persönliche Nächstenliebe oder das eigene Andenken über den Tod des Stifters hinaus zu verwirklichen. Vor diesem Hintergrund sind Stiftungen nach wie vor eine Verbindung zwischen Toten und Lebenden, selbst in einer in weiten Teilen säkularisierten Welt.
Wie hat sich dein Thema seit der Festlegung entwickelt, zu welchen Teilen stimmt es noch mit deiner Ausgangsidee überein, was hat sich verändert?
Am Anfang lag der Fokus meiner Untersuchung in erster Linie auf den Stiftungszwecken. Ich wollte anhand dieser zeigen, dass Stiftungen sämtliche Bereiche der Gesellschaft durchdringen. Ergänzend verlagert sich gegenwärtig der Fokus auf die Betrachtung der Stiftungswirklichkeit, also auf das Stabilisieren und Destabilisieren von Stiftungen im Zeitverlauf.
Woran arbeitest du derzeit?
Gerade bin ich im Stadtarchiv Nürnberg auf eine wunderschöne, rund 400 Jahre alte Farbzeichnung und eine 300 Jahre alte Beschreibung einer heute verlorenen Gedenktafel gestoßen. Diese Tafel hängten die Nachkommen des Stifters der ältesten nachweisbaren Stiftung in Eschenbach in die dortige Pfarrkirche, um sicherzustellen, dass die von ihrem Vorfahren 1374 gestifteten Messen zu Ehren und zum Seelenheil der gesamten Stifterfamilie auf ewig gefeiert werden. Solch eine Stiftertafel war nur eine Möglichkeit, um den dauerhaften Bestand einer Stiftung abzusichern. Weitere stelle ich derzeit zusammen.
Welche Hürden und Schwierigkeiten gibt oder gab es für dich im Forschungs- oder Schreibprozess?
Wie auch bei einigen meiner Mitdoktoranden am Lehrstuhl bestand das größte Problem darin, der gewaltigen Quellenmenge Herr zu werden und sich nicht in den Archivrecherchen zu verlieren. Die besten Tipps meiner Kommilitonen und meines Doktorvaters waren daher, erstens immer mit einer konkreten Forschungsfrage Quellen anzuschauen und zweitens möglichst bald den Absprung von der bloßen Archivarbeit hin zur parallelen Textproduktion zu schaffen.
Was motiviert dich, bei „Durststrecken“ bei der Stange zu bleiben und weiterzumachen?
Da gibt es besonders drei Dinge. Zum einen erwies sich der Wechsel von Schreibphasen und mehrtägigen Archivaufenthalten als fruchtbar, da man den eigentlichen Dissertationstext beruhigt liegen lassen, neue spannende Quellen finden und digitalisieren kann, um sie anschließend am Schreibtisch auszuwerten und in den Text einzuarbeiten. Zum anderen profitiere ich nach wie vor vom innerfachlichen Austausch auf den mehrtägigen Oberseminaren des Lehrstuhls für Fränkische Landesgeschichte, die uns etwa ins Nördlinger Ries oder sonnige Südtirol und damit aus dem Alltagstrott und festgefahrenen Gedanken führten.
Die größten Motivationsschübe bereiten mir aber die regelmäßigen „selbstgestalteten Promovendentagungen“ der Hanns-Seidel-Stiftung unter der Leitung von Dr. Andreas Burtscheidt auf Kloster Banz. Hier bin ich einerseits gezwungen, mein Promotionsprojekt anschaulich und leicht verständlich für fachfremde Mitstipendiaten zu präsentieren und damit noch tiefer zu durchdringen. Andererseits zeigt mir erst der überfachliche Austausch mit Stipendiaten – sowohl im Seminarraum als auch gern im Bierstübla – die Relevanz meiner historischen Forschung für die Gegenwart und Zukunft auf. Man bekommt ganz andere Perspektiven auf sein eigenes Thema eröffnet.
Was tust du als Ausgleich zum wissenschaftlichen Schreiben und Arbeiten?
Abgesehen von meinem ehrenamtlichen Engagement in der Kirchenverwaltung Wolframs-Eschenbach ist es mir ein besonderes Anliegen, durch Vorträge, Stadt- und Museumsführungen sowie über Social Media die Historie der Stadt Eschenbach sowie das Leben und Werk Wolframs von Eschenbach in die Welt zu tragen. Als eine Art Botschafter meiner Heimatstadt möchte ich Interessierten ohne wissenschaftlichen Hintergrund einen Zugang dazu schaffen.
Der Instagram-Kanal des Museums Wolfram von Eschenbach, den Thomas betreut.
Seit dem Sommer 2023 habe ich außerdem den Segelschein für Jollen in der Tasche und lasse mir, wann immer es mein Arbeitspensum und die Wetterlage erlauben, unter Segeln den Wind um die Nase wehen.
Doch der wahrlich schönste und wertvollste Ausgleich für mich ist es, Zeit mit meiner kleinen Tochter, meiner Frau und unserem Labrador zu verbringen, ob in der Natur, beim DUPLO-Eisenbahnspielen oder einfach auf dem Sofa vor dem Kamin.
Welch behagliche Familienidylle! Hast du schon Ideen oder Pläne, wie es nach Abschluss der Promotion für dich weitergeht?
Nach der Promotion gilt es zunächst das Referendariat und das zweite Staatsexamen zu meistern, ehe ich mit neuen Aufgaben und Herausforderungen als Gymnasiallehrer starte. Ich könnte mir aber auch eine Stelle in der Kulturvermittlung, Museumspädagogik und selbstredend in der Geschichtswissenschaft, gerne mit Schwerpunkt auf der fränkischen Landesgeschichte und Deutschordensforschung, vorstellen.
In jedem Fall möchte ich weiterhin Geschichte aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm hinaustragen, ob zu Schülern oder Erwachsenen. Schließlich können wir nur verstehen, wer wir sind und wer wir werden können, wenn wir wissen, woher wir kommen.
Ein wahres Schlusswort. Wir danken dir für das Interview!