Studienfahrt nach Ägypten
Christentum und Islam auf Tuchfühlung
„Ägypten ist das Tor zu Afrika und zur arabischen Welt“, sagte einst der Gründer der Deutschen Universität in Kairo, Prof. Dr. Ashraf Mansour. Eine Exkursion, begleitet von Dr. Jutta Möhringer und Dr. Janina Häusler, führt Stipendiatinnen und Stipendiaten der Hanns-Seidel-Stiftung nach Kairo, die Hauptstadt Ägyptens, die zweitgrößte Stadt Afrikas und die größte Stadt der arabischen Welt. Über 19 Millionen Einwohner tummeln sich in glühender Sahara-Hitze auf vielbefahrenen Straßen, im lauten Gedränge der Bazare und an den weiten Ufern des Nils. Die Gruppe aus Studierenden taucht in eines der Zentren arabischer Kultur und islamischer Religion ein. Sie gehen im wahrsten Sinne des Wortes auf Tuchfühlung mit einer unbekannten Welt.
Wir alle bringen dabei unterschiedliche Hintergründe mit. Kein Studiengang findet sich unter uns doppelt, wir kommen aus den verschiedensten Ecken Deutschlands und einige auch aus dem Ausland. Manche kennen Nordafrika und den Nahen Osten schon gut, andere haben die orientalischen Märchen aus 1001 Nacht vor Augen, wenn sie an Ägypten denken. Für viele schwingt die Neugier, aber auch die Unsicherheit gegenüber der unbekannten Kultur mit. Und die ist geprägt vom Islam. Manche beschleicht da ein mulmiges Gefühl – schließlich bekommen im Kontext des Islams vor allem Terror-Organisationen und Autokraten mediale Aufmerksamkeit. Die sind aber nicht repräsentativ für eine Religion, der etwa ein Viertel der Weltbevölkerung angehört. Rund 5,5 Millionen davon leben in Deutschland (Stand 2020) und sind mittlerweile fester Bestandteil der Gesellschaft. Begegnungen zwischen Christen und Muslimen sind in Deutschland also keine Besonderheit. Aber wie ist es, wenn sich die beiden Religionen in einem muslimischen Land begegnen? Wenn auf einmal wir Christen zu Besuch sind im Islam?
Zwei Stipendiaten, zwei Religionen
Eine besondere Sichtweise auf diese Begegnung haben diejenigen, die ihr Leben Gott gewidmet haben. Jonathan Wahl ist 24 Jahre alt und studiert evangelische Theologie. Er zog in ein Priesterseminar, das seither seinen Alltag durch gemeinsame Gottesdienste und Gebete – aber auch Jonathans persönliche Rituale wie sein eigenes Morgengebet – prägt. Aber Christ sein äußert sich für ihn nicht nur im Gebet: Es ist seine moralisch-ethische Orientierung im Leben. Oft stellt er sich die Frage „Was würde Jesus in dieser Situation tun?“ Sein Glaube begleitet ihn überall hin: „Ich bin zu jedem Zeitpunkt immer Christ.“
Ähnlich geht es einem anderen Teilnehmer. Auch Hassen Smida (gesprochen: Hassan) betet mehrmals täglich und sein Glaube begleitet ihn mit jedem Schritt. „Mein Glaube erleuchtet mir den Weg in dieser Welt und lehrt mich, wie ich Gott, der mich erschaffen hat, verehren soll.“ Hassen und Jonathan teilen die Hingabe zu ihrem Glauben, der ihren Alltag durchdringt und sie durch ihr Leben leitet. Doch ein feiner Unterschied trennt sie: Jonathan ist Christ, Hassen ist Muslim. Beide beten täglich: Jonathan betet zum christlichen Gott, wie es ihn die Bibel lehrt, und Hassen folgt den Regeln des Korans im Gebet zu Allah.
Hassen (28) ist an der Mittelmeerküste Tunesiens aufgewachsen. Schon seit acht Jahren lebt er in Deutschland. Erst absolvierte er an der TU München einen Bachelor und macht dort derzeit mit Unterstützung der Hanns-Seidel-Stiftung seinen Master of Science in Robotics. Unter all den Christen in Deutschland sieht er sich in der Pflicht, seinen Glauben in der Fremde zu vertreten: „Muslim in Deutschland zu sein bedeutet, meine Religion vor vielen Nicht-Muslimen zu repräsentieren, was mich verantwortlich macht, meine Religion so darzustellen, wie sie wirklich ist.“ Mit seinen christlichen Freunden und Nachbarn spricht er über Religion. Daher weiß er schon vor der Exkursion einiges über das Christentum, negative Erfahrungen mit dieser Religion erwähnt er nicht.
Anders ist es bei Jonathan: Es erschreckte ihn, als 2016 in seiner Gemeinde im nordrhein-westfälischen Bocholt Christen von muslimischen Geflüchteten bedroht wurden, weil sie ihre Religion ausübten. Dennoch besuchte er später Seminare in einem Zentrum für Islamische Theologie, bei denen ihm der freundliche Austausch über die Glaubenslehren positiv im Gedächtnis blieb. Auch er wusste daher schon einiges über den Islam und ging offen für neue Erfahrungen nach Ägypten. Er war davor noch nie auf dem afrikanischen Kontinent. Rückblickend sagt er, er habe sich Ägypten, mangels anderer Erfahrungen, wie in Europa säkularisiert vorgestellt. Dass dem nicht so ist, merkte er schon beim Betreten des Fliegers von Egypt Air. Dort hängt im Eingangsbereich ein Koran und vor dem Abheben schallt ein Reisegebet durch die Kabine, das auf allen Monitoren erscheint.
Für Hassen ist das nichts Neues. Er sprach das Gebet auf dem Bildschirm mit. Während der Exkursion ist er nun der „Botschafter“ seiner Religion, wie er es selbst beschreibt. Stundenlang lässt er sich bereitwillig mit Fragen löchern, gibt Geschichtsstunden und Arabisch-Unterricht im hinteren Teil des Busses. Ihn stört das nicht: „Es war für mich eine sehr interessante und schöne Erfahrung, zum ersten Mal ein Land zu besuchen, das mir durch Sprache, Religion, Kultur und Geschichte verbunden ist, zusammen mit einer Gruppe von Christen. Dass ich der einzige Muslim war, gab mir das Gefühl, dafür verantwortlich zu sein, die Dinge im Zusammenhang mit dem Islam gut zu erklären und zu verdeutlichen, damit meine Freunde mehr über den Islam lernen können.“
Die Moscheen – Orte der Ruhe und Begegnung
Besonders viele Fragen hat die Gruppe in den Moscheen, die wir besuchen. Dort erklärt Hassen die Gebetsweise, die Säulen des Islam, die Bestandteile der Moschee und übersetzt arabische Inschriften an den Wänden. So auch in der Al-Azhar Moschee, die 957 n. Chr. gegründet wurde. Ihre Besonderheit ist, dass sie gleichzeitig auch als Universität dient, an der Studierende beider Geschlechter und aus aller Welt sowohl eine wissenschaftliche als auch eine religiöse Ausbildung erhalten. Sie gilt als eines der wichtigsten islamischen Forschungsinstitutionen der Welt.
Am Eingang ziehen wir unsere Schuhe aus, den Frauen werden Kopftücher und lange Röcke zum Überziehen überreicht. Das macht man hier so, erklärt Hassen. So wie wir beim Betreten einer Kirche unsere Kopfbedeckung abnehmen, verschleiern wir uns hier. Im Innenhof der Moschee fällt als erstes der Kontrast zu den Straßen der Stadt auf: In Kairo drückt die sengende Hitze den Wüstenstaub und den Smog der stetig brummenden und hupenden Autos in die Gassen, am Straßenrand suchen magere Katzen nach Essensresten in den Müllbergen, ganze Familien schlafen auf dem Bürgersteig.
Kaum tritt man durch das Tor der Moschee, findet man sich in einer Parallelwelt wieder, einer ruhigen Oase im Getümmel der Millionenmetropole. Nur leise gemurmelte Gebete und das Zwitschern einiger Vögel hallen hier von kunstvoll verzierten Wänden wider. Der Marmorboden ist so sauber, dass sich die Moschee mit ihren Kuppeln und Minaretten vor der untergehenden Sonne darin spiegelt. Das Gotteshaus ist hier ein sozialer Ort, ein Ort der Begegnung. Frauen und Männer sitzen beisammen und unterhalten sich leise, Kinder laufen zwischen den Säulen, spielen Verstecken und schauen neugierig zu der Gruppe offensichtlich nicht-ägyptischer Stipendiaten herüber. In einer Ecke sitzt eine Gruppe im Halbkreis um einen Mann in schwarzem Gewand. Hassen erzählt, sie würden gerade einer Art Vorlesung über den Koran lauschen. Viele sitzen aber auch einzeln, nur für sich, rezitieren leise Verse aus dem heiligen Buch und scheinen vollkommen in ihrer Lektüre des Korans versunken. Hassen ist beeindruckt von ihrem Engagement, ihrem Eifer und ihrer Disziplin beim Studieren des Islams.
Die Sauberkeit der Moschee in Kontrast zum Rest der Stadt sowie die Anwesenheit und Hingabe so vieler Gläubiger außerhalb der Gebetszeiten beeindrucken auch Jonathan: „Ich sehe das als Zeichen für die große Liebe und auch Aufmerksamkeit, die der Religion hier zukommt. Das ist bei uns in Deutschland oft nicht so stark.“ Diese Liebe und Ernsthaftigkeit, mit der die Muslime hier ihrer Religion nachgehen, beobachtet er auch oft in Alltagssituationen in Ägypten: „Ich fand es sehr ergreifend, dass im Restaurant, auf dem Bazar und auf offener Straße Menschen zur Gebetszeit ihre Gebetsteppiche ausgerollt haben und dann einfach gebetet haben.“
Islamische Architektur
Hassen kennt das schon – auch er betet fünf Mal am Tag, wie es sein Glaube ihm vorschreibt. Was ihn in Ägypten viel mehr fasziniert, ist die islamische Architektur in Kairo. Sie unterscheidet sich von einer islamischen Epoche zur anderen und von einer Rechtsschule zur nächsten. Es gibt Minarette mit zwei Spitzen und andere mit einer Spitze, einige sind zylindrisch und andere achteckig oder sechseckig. Jede Form hat eine andere Bedeutung, gehört zu einem anderen Zeitalter, hat einen anderen Hintergrund. Vor allem die fatimidische Architektur, die wir bei einer Stadtführung durch das alte Kairo kennenlernen, kommt Hassen vertraut vor. Die Fatimiden sind die Gründer von Kairo. Sie kommen aus der Stadt Mahdia in Tunesien, die nahe von Hassens Geburtsstadt ist. „Es war also sehr beeindruckend und spannend für mich, ihre Spuren in Kairo zu sehen“, erklärt er. Vielleicht ist es diese alte Verbindung beider Länder, wegen der die Ägypter ihm mit so viel Zuneigung begegnen: „Ich sah in ihnen eine große Gastfreundschaft, Offenheit und Freude, besonders, als sie erfuhren, dass ich Tunesier bin. Ich bemerkte ihre Bereitschaft, jede Art von Hilfe anzubieten, ihre freundliche Art und ihr Lächeln.“ Aber auch wir Christen fühlen uns in Ägypten immer wohl und sicher aufgehoben. Sie beschreiben den Weg, wenn wir im Chaos Kairos zu versinken drohen, empfehlen uns die besten Restaurants und das authentischste Essen.
Mitten im muslimischen Gebet
In der ersten Moschee in Ägypten und in ganz Afrika, der Amr-ibn-al-As-Moschee, hat die Gruppe die Chance, sich das muslimische Gebet näher anzusehen. Wir stehen gerade im Vorhof, als aus den Lautsprechern über dem Eingang der Gesang ertönt, der zum Gebet ruft: „Allahu Aqbar“ – Allah ist groß. Zuerst ist nicht sicher, ob wir während des Gebetes die Moschee besichtigen können. Doch Hassen verschwindet zwischen den Säulen und winkt seine Mitstipendiaten wenig später zu sich. Also wieder: Schuhe aus, Kopftücher an und schon sitzen wir im hinteren Teil der Moschee auf dem Teppichboden und können – für die meisten von uns zum ersten Mal in unserem Leben – einen muslimischen Gottesdienst beobachten. Hassen verschwindet in einer Gruppe von betenden Männern, die mit dem Rücken zu uns steht. Als das nächste „Allah“ vom Imam durch die Lautsprecher schallt, legen sie ihre Hände auf die Knie und neigen den Kopf. In dieser Pose verharren sie kurz, bis wieder „Allah“ durch die Lautsprecher gesungen wird – diesmal in einer anderen Melodie. Die Gläubigen gehen auf die Knie und berühren mit der Stirn den Teppichboden. Wieder verharren sie in dieser Pose, es ist ganz still. Beim nächsten „Allah“ stehen sie wieder auf. Dieser Ablauf wiederholt sich einige Male. Später predigt der Imam, der Vorbeter beim Ritualgebet. Die Wörter Allah und Mohammad hören wir immer wieder, sonst bleibt uns der Inhalt des Gebets verborgen. Fasziniert folgen wir den fremden Riten.
Diese Art des Gottesdienstes kennen wir aus der christlichen Tradition nicht. Wo wir dem Gebet oft antworten oder es nachsprechen, ist es hier still. Wo die Protestanten zwischen Stehen und Sitzen wechseln, ist es hier eine Abfolge aus Stehen, Verbeugen und die Stirn auf dem Boden ablegen. Jonathan sieht in diesen anderen Riten ein Symbol für den größten Unterschied zwischen Christentum und Islam: „Der Islam ist etwas dogmatischer: ‚das ist das Wort Gottes, das ist das Gesetz, dem wir uns unterwerfen‘. Wir Christen sagen, dass die göttliche Wahrheit Mensch geworden ist in Jesus Christus und das Gott auf uns zukommt. Wir leben in einer dynamischeren Beziehung mit Gott.“
Nach dem Gebet laufen die Gläubigen an uns vorbei. Die meisten entdecken uns erst jetzt. Viele schauen neugierig, einige lächeln uns an. Abweisend blickt niemand, wir scheinen nicht zu stören. Als wir gerade loslaufen, um die Moschee zu erkunden und Hassen mit Fragen löchern, kommt ein Mann auf uns zu. Er schüttelt einem Mitstipendiaten die Hand und fragt auf Englisch, was wir hier machen würden, ob wir Muslime seien. Wir verneinen und erklären, dass wir Christen sind. Kurz habe ich Angst, dass er uns hier nicht haben will, dass wir ihn stören in seinem Gotteshaus. Doch er lacht freundlich und antwortet auf Englisch: „Wie schön, dass ihr hier seid, Willkommen. Schaut euch um, lernt über unsere Religion. Es ist wichtig, dass wir voneinander lernen.“
Die christlichen Kopten in Ägypten
Das machen wir – und jetzt, nachdem er uns so viel beigebracht hat, ist Hassen an der Reihe. Denn nicht nur dem Islam begegnet man in Ägypten – auch das Christentum zeigt sich hier von einer anderen Seite. Ägypten ist neben dem heutigen Israel und den palästinensischen Gebieten das einzige Land, in dem sich die heilige Familie je aufgehalten hatte.
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Nachdem Herodes aus Angst um seinen Thron anordnete, alle Kinder bis zum Alter von zwei Jahren im Land töten zu lassen, flohen Maria und Josef mit dem jungen Jesus nach Ägypten. Nur durch diese Flucht konnte der Sohn Gottes überleben und seine Lehren verbreiten. Ägypten ist somit auch für die Geschichte des Christentums ein bedeutsames Land. Deswegen gibt es dort immer noch eine christliche Gemeinde: Die Kopten. Schon im 1. Jahrhundert sollen sie sich in Alexandria angesiedelt haben. Noch heute leben geschätzt rund fünf Millionen Kopten in Ägypten. Sie folgen einem östlich geprägten christlichen Ritus, der näher mit der orthodoxen Kirche verwandt ist als mit der evangelischen oder katholischen.
Wir besuchen die Kopten an einem Sonntagabend. Nicht irgendein Sonntag – es ist der Pfingstsonntag. Hier ist es ein Tag wie jeder andere – auch für die Kopten, die einem anderen Kalender folgen. Das erfahren wir von einem koptischen Priester, der uns seine Kirche zeigt und zum Gottesdienst einlädt. Manchen von uns wird da etwas mulmig. Es wird gefragt, ob es denn sicher sei, sich an einem hohen christlichen Feiertag in einem muslimischen Land ausgerechnet in einer Kirche aufzuhalten. Die Frage ist nicht ganz unberechtigt: Das Christentum wird hier oft nicht mit Nächstenliebe in Verbindung gebracht, sondern mit den Angriffen während der Kreuzzüge, dem Feldzug Napoleons oder der Fremdherrschaft durch die Briten in der Kolonialzeit. In Europa werden heutzutage vielerorts Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika als Fremdkörper betrachtet, vor einem Jahrhundert waren es noch die Europäer, die sich als fremde Eindringlinge in anderen Kulturen festgesetzt hatten und diese fortan mitbestimmten – mit Auswirkungen, die bis heute spürbar sind. Dabei steht Europa auch immer in Verbindung mit dem Christentum.
Daher sind die Kopten immer noch von Diskriminierung aufgrund ihrer Religion betroffen. Meist gehören sie den ärmeren Bevölkerungsgruppen an. Diesen Druck von außen erlebt Jonathan in Deutschland so nicht. Das wirke sich auch auf den Glauben aus, bemerkt er. „Die Kopten haben ein größeres Bewusstsein, was es bedeutet, sich für das Christentum zu entscheiden. Man muss diese Bereitschaft tragen und auch Repressionen oder Nachteile in Kauf nehmen für die Religion. Wenn ich etwas über das Christentum gelernt habe von den Kopten, dann ist es, dass Armut und Repressionen vielleicht auch zu einer größeren Ernsthaftigkeit im Glauben führen.“
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Grundsätzlich ist ein Großteil der ägyptischen Bevölkerung sehr arm. Das Land hat sich unter der Militärdiktatur Abdel Fatah Al-Sisis hoch verschuldet, die Inflation steigt stetig, das System droht zu kollabieren. Rund 30 Millionen Menschen leben in Armut, 70 Prozent der Bevölkerung ist auf Staatshilfen angewiesen (Stand 2022). Hier lernen wir, was Armut bedeutet, und wissen unsere Privilegien, die der deutsche Staat uns bietet, einmal mehr zu schätzen.
Auch Hassen beobachtet die Kopten mit Neugier. Er nimmt sie nicht als diskriminiert wahr, sondern ist beeindruckt von ihrem friedlichen Zusammenleben und ihrer Integration Seite an Seite mit den Muslimen. Der koptische Priester, der uns seine Kirche zeigt, spricht nur arabisch. Also muss Hassen wieder ran: Er übersetzt die arabischen Erläuterungen des Priesters ins Deutsche und die Fragen seiner Mitstipendiaten wieder ins Arabische. Bei der Anwesenheit so vieler Christen, die sich brennend für die Kopten interessieren, können die Fragen ganz schön komplex und der Wortschatz ziemlich speziell werden. Obwohl Hassen nur wenig über das Christentum und den christlichen Wortschatz weiß, versucht er, alles zu übersetzen und Themen zu erklären, von denen er vorher nichts wusste. Das ist gar nicht so einfach, „aber ich war glücklich, als ich in ihren lächelnden und zustimmenden Gesichtern sah, dass beide Seiten einander gut verstanden.“, erinnert sich Hassen. Aus den Gesprächen lernt er über die koptischen Riten und ihre Gebetsweise – so wie wir vorher in seine Religion eintauchen durften, kann er nun das Christentum von einer anderen Seite erleben.
Die Lehren einer Exkursion
Aber nicht nur aus den Moscheen und Kirchen nehmen wir viel mit: Auch voneinander können die Stipendiatinnen und Stipendiaten lernen. Auf den Busfahrten wird erklärt, diskutiert, gewundert und nachgehakt. Es werden Geschichten ausgetauscht, Verse aus heiligen Büchern zitiert, Konfessionen differenziert und Wortschätze erweitert. Hassen erzählt von den Details, die er über das christliche Gebet gelernt hat, „wie das, was der Priester am Sonntag während des Gebets mit dem Wein und dem Brot macht und dass es nach dem Gebet als heilig gilt und Christus darstellt.“ Und wir können erleben, wie der Islam in seinem Alltag aussieht, wenn er die Religion und Kultur eines Landes dominiert. Am Ende der Exkursion der Hanns-Seidel-Stiftung haben wir alle viel gelernt, unsere Tellerränder erweitert und neue Einblicke in die fremde und die eigene Religion erlangt. Hassen und Jonathan stellen beide fest, dass die ägyptische Gesellschaft religiöser scheint als die Deutsche: „Ich habe bemerkt, dass die Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung religiös ist und ihren Glauben praktiziert, egal ob sie Muslime oder Christen sind. Beide sind von ihrem Glauben überzeugt und leben ihn aus“, erklärt Hassen. Vor allem die Ernsthaftigkeit der Religion in Ägypten ist etwas, das wir auf beiden Seiten beobachten: Im Vergleich zu Deutschland, findet Jonathan, scheinen Muslime und Christen ihre Religion hier mit mehr Liebe auszuleben. „Sie denken und erfassen Gott mehr vom Herzen her, während es bei uns oft rationaler und durch den Kopf geprägt ist.“
Vielleicht liegt es an dieser emotionalen, liebevollen Verbindung zum Glauben, dass das Zusammenleben zwischen den Religionen in Ägypten so einfach erscheint. Das Land der Pharaonen hat uns vor Augen geführt, dass wir am Ende alle gleich sind, auch wenn wir nicht die gleiche Sprache sprechen und nicht zum gleichen Gott beten. Am Ende wollen wir alle Frieden für uns und Wohlergehen für unsere Mitmenschen. Trotz der großen Armut und Repression in Ägypten wird hier das Gebot der Nächstenliebe spürbar, wie Hassen es zusammenfasst: „Die Begegnung zwischen Islam und Christentum in Ägypten zeigt das Ausmaß der Toleranz zwischen den Religionen und auch, dass ein friedliches Zusammenleben und die Zusammenarbeit zwischen Muslimen und Christen sehr wohl möglich sind. Es gibt keine Trennung oder Abgrenzung zwischen den Anhängern beider Religionen aufgrund ihrer Religion. Der Christ lebt unter den Muslimen und der Muslim unter den Christen ohne Probleme, es gibt keine Mauern oder Barrieren, die sie trennen. Ägypten kann beide herzlich aufnehmen. Ägypten ist ein Beispiel für das Zusammenleben und die Akzeptanz von Unterschieden.“
Impressionen der Studienfahrt
(alle Fotos: privat)