Studienfahrt nach Ägypten

Christentum und Islam auf Tuchfühlung

Veröffentlicht am 18. Juli 2024 von Sophia Maier

„Ägyp­ten ist das Tor zu Afri­ka und zur ara­bi­schen Welt“, sag­te einst der Grün­der der Deut­schen Uni­ver­si­tät in Kai­ro, Prof. Dr. Ashraf Man­sour. Eine Exkur­si­on, beglei­tet von Dr. Jut­ta Möh­rin­ger und Dr. Jani­na Häus­ler, führt Sti­pen­dia­tin­nen und Sti­pen­dia­ten der Hanns-Sei­del-Stif­tung nach Kai­ro, die Haupt­stadt Ägyp­tens, die zweit­größ­te Stadt Afri­kas und die größ­te Stadt der ara­bi­schen Welt. Über 19 Mil­lio­nen Ein­woh­ner tum­meln sich in glü­hen­der Saha­ra-Hit­ze auf viel­be­fah­re­nen Stra­ßen, im lau­ten Gedrän­ge der Baza­re und an den wei­ten Ufern des Nils. Die Grup­pe aus Stu­die­ren­den taucht in eines der Zen­tren ara­bi­scher Kul­tur und isla­mi­scher Reli­gi­on ein. Sie gehen im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes auf Tuch­füh­lung mit einer unbe­kann­ten Welt.

Wir alle brin­gen dabei unter­schied­li­che Hin­ter­grün­de mit. Kein Stu­di­en­gang fin­det sich unter uns dop­pelt, wir kom­men aus den ver­schie­dens­ten Ecken Deutsch­lands und eini­ge auch aus dem Aus­land. Man­che ken­nen Nord­afri­ka und den Nahen Osten schon gut, ande­re haben die ori­en­ta­li­schen Mär­chen aus 1001 Nacht vor Augen, wenn sie an Ägyp­ten den­ken. Für vie­le schwingt die Neu­gier, aber auch die Unsi­cher­heit gegen­über der unbe­kann­ten Kul­tur mit. Und die ist geprägt vom Islam. Man­che beschleicht da ein mul­mi­ges Gefühl – schließ­lich bekom­men im Kon­text des Islams vor allem Ter­ror-Orga­ni­sa­tio­nen und Auto­kra­ten media­le Auf­merk­sam­keit. Die sind aber nicht reprä­sen­ta­tiv für eine Reli­gi­on, der etwa ein Vier­tel der Welt­be­völ­ke­rung ange­hört. Rund 5,5 Mil­lio­nen davon leben in Deutsch­land (Stand 2020) und sind mitt­ler­wei­le fes­ter Bestand­teil der Gesell­schaft. Begeg­nun­gen zwi­schen Chris­ten und Mus­li­men sind in Deutsch­land also kei­ne Beson­der­heit. Aber wie ist es, wenn sich die bei­den Reli­gio­nen in einem mus­li­mi­schen Land begeg­nen? Wenn auf ein­mal wir Chris­ten zu Besuch sind im Islam?

Zwei Sti­pen­dia­ten, zwei Religionen

Eine beson­de­re Sicht­wei­se auf die­se Begeg­nung haben die­je­ni­gen, die ihr Leben Gott gewid­met haben. Jona­than Wahl ist 24 Jah­re alt und stu­diert evan­ge­li­sche Theo­lo­gie. Er zog in ein Pries­ter­se­mi­nar, das seit­her sei­nen All­tag durch gemein­sa­me Got­tes­diens­te und Gebe­te – aber auch Jona­t­hans per­sön­li­che Ritua­le wie sein eige­nes Mor­gen­ge­bet – prägt. Aber Christ sein äußert sich für ihn nicht nur im Gebet: Es ist sei­ne mora­lisch-ethi­sche Ori­en­tie­rung im Leben. Oft stellt er sich die Fra­ge „Was wür­de Jesus in die­ser Situa­ti­on tun?“ Sein Glau­be beglei­tet ihn über­all hin: „Ich bin zu jedem Zeit­punkt immer Christ.“

Ähn­lich geht es einem ande­ren Teil­neh­mer. Auch Has­sen Smi­da (gespro­chen: Hassan) betet mehr­mals täg­lich und sein Glau­be beglei­tet ihn mit jedem Schritt. „Mein Glau­be erleuch­tet mir den Weg in die­ser Welt und lehrt mich, wie ich Gott, der mich erschaf­fen hat, ver­eh­ren soll.“ Has­sen und Jona­than tei­len die Hin­ga­be zu ihrem Glau­ben, der ihren All­tag durch­dringt und sie durch ihr Leben lei­tet. Doch ein fei­ner Unter­schied trennt sie: Jona­than ist Christ, Has­sen ist Mus­lim. Bei­de beten täg­lich: Jona­than betet zum christ­li­chen Gott, wie es ihn die Bibel lehrt, und Has­sen folgt den Regeln des Korans im Gebet zu Allah.

Has­sen (28) ist an der Mit­tel­meer­küs­te Tune­si­ens auf­ge­wach­sen. Schon seit acht Jah­ren lebt er in Deutsch­land. Erst absol­vier­te er an der TU Mün­chen einen Bache­lor und macht dort der­zeit mit Unter­stüt­zung der Hanns-Sei­del-Stif­tung sei­nen Mas­ter of Sci­ence in Robo­tics. Unter all den Chris­ten in Deutsch­land sieht er sich in der Pflicht, sei­nen Glau­ben in der Frem­de zu ver­tre­ten: „Mus­lim in Deutsch­land zu sein bedeu­tet, mei­ne Reli­gi­on vor vie­len Nicht-Mus­li­men zu reprä­sen­tie­ren, was mich ver­ant­wort­lich macht, mei­ne Reli­gi­on so dar­zu­stel­len, wie sie wirk­lich ist.“ Mit sei­nen christ­li­chen Freun­den und Nach­barn spricht er über Reli­gi­on. Daher weiß er schon vor der Exkur­si­on eini­ges über das Chris­ten­tum, nega­ti­ve Erfah­run­gen mit die­ser Reli­gi­on erwähnt er nicht.

Anders ist es bei Jona­than: Es erschreck­te ihn, als 2016 in sei­ner Gemein­de im nord­rhein-west­fä­li­schen Bocholt Chris­ten von mus­li­mi­schen Geflüch­te­ten bedroht wur­den, weil sie ihre Reli­gi­on aus­üb­ten. Den­noch besuch­te er spä­ter Semi­na­re in einem Zen­trum für Isla­mi­sche Theo­lo­gie, bei denen ihm der freund­li­che Aus­tausch über die Glau­bens­leh­ren posi­tiv im Gedächt­nis blieb. Auch er wuss­te daher schon eini­ges über den Islam und ging offen für neue Erfah­run­gen nach Ägyp­ten. Er war davor noch nie auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent. Rück­bli­ckend sagt er, er habe sich Ägyp­ten, man­gels ande­rer Erfah­run­gen, wie in Euro­pa säku­la­ri­siert vor­ge­stellt. Dass dem nicht so ist, merk­te er schon beim Betre­ten des Flie­gers von Egypt Air. Dort hängt im Ein­gangs­be­reich ein Koran und vor dem Abhe­ben schallt ein Rei­se­ge­bet durch die Kabi­ne, das auf allen Moni­to­ren erscheint.

Für Has­sen ist das nichts Neu­es. Er sprach das Gebet auf dem Bild­schirm mit. Wäh­rend der Exkur­si­on ist er nun der „Bot­schaf­ter“ sei­ner Reli­gi­on, wie er es selbst beschreibt. Stun­den­lang lässt er sich bereit­wil­lig mit Fra­gen löchern, gibt Geschichts­stun­den und Ara­bisch-Unter­richt im hin­te­ren Teil des Bus­ses. Ihn stört das nicht: „Es war für mich eine sehr inter­es­san­te und schö­ne Erfah­rung, zum ers­ten Mal ein Land zu besu­chen, das mir durch Spra­che, Reli­gi­on, Kul­tur und Geschich­te ver­bun­den ist, zusam­men mit einer Grup­pe von Chris­ten. Dass ich der ein­zi­ge Mus­lim war, gab mir das Gefühl, dafür ver­ant­wort­lich zu sein, die Din­ge im Zusam­men­hang mit dem Islam gut zu erklä­ren und zu ver­deut­li­chen, damit mei­ne Freun­de mehr über den Islam ler­nen können.“

Die Moscheen – Orte der Ruhe und Begegnung

Beson­ders vie­le Fra­gen hat die Grup­pe in den Moscheen, die wir besu­chen. Dort erklärt Has­sen die Gebets­wei­se, die Säu­len des Islam, die Bestand­tei­le der Moschee und über­setzt ara­bi­sche Inschrif­ten an den Wän­den. So auch in der Al-Azhar Moschee, die 957 n. Chr. gegrün­det wur­de. Ihre Beson­der­heit ist, dass sie gleich­zei­tig auch als Uni­ver­si­tät dient, an der Stu­die­ren­de bei­der Geschlech­ter und aus aller Welt sowohl eine wis­sen­schaft­li­che als auch eine reli­giö­se Aus­bil­dung erhal­ten. Sie gilt als eines der wich­tigs­ten isla­mi­schen For­schungs­in­sti­tu­tio­nen der Welt.

Am Ein­gang zie­hen wir unse­re Schu­he aus, den Frau­en wer­den Kopf­tü­cher und lan­ge Röcke zum Über­zie­hen über­reicht. Das macht man hier so, erklärt Has­sen. So wie wir beim Betre­ten einer Kir­che unse­re Kopf­be­de­ckung abneh­men, ver­schlei­ern wir uns hier. Im Innen­hof der Moschee fällt als ers­tes der Kon­trast zu den Stra­ßen der Stadt auf: In Kai­ro drückt die sen­gen­de Hit­ze den Wüs­ten­staub und den Smog der ste­tig brum­men­den und hupen­den Autos in die Gas­sen, am Stra­ßen­rand suchen mage­re Kat­zen nach Essens­res­ten in den Müll­ber­gen, gan­ze Fami­li­en schla­fen auf dem Bürgersteig.

Kaum tritt man durch das Tor der Moschee, fin­det man sich in einer Par­al­lel­welt wie­der, einer ruhi­gen Oase im Getüm­mel der Mil­lio­nen­me­tro­po­le. Nur lei­se gemur­mel­te Gebe­te und das Zwit­schern eini­ger Vögel hal­len hier von kunst­voll ver­zier­ten Wän­den wider. Der Mar­mor­bo­den ist so sau­ber, dass sich die Moschee mit ihren Kup­peln und Mina­ret­ten vor der unter­ge­hen­den Son­ne dar­in spie­gelt. Das Got­tes­haus ist hier ein sozia­ler Ort, ein Ort der Begeg­nung. Frau­en und Män­ner sit­zen bei­sam­men und unter­hal­ten sich lei­se, Kin­der lau­fen zwi­schen den Säu­len, spie­len Ver­ste­cken und schau­en neu­gie­rig zu der Grup­pe offen­sicht­lich nicht-ägyp­ti­scher Sti­pen­dia­ten her­über. In einer Ecke sitzt eine Grup­pe im Halb­kreis um einen Mann in schwar­zem Gewand. Has­sen erzählt, sie wür­den gera­de einer Art Vor­le­sung über den Koran lau­schen. Vie­le sit­zen aber auch ein­zeln, nur für sich, rezi­tie­ren lei­se Ver­se aus dem hei­li­gen Buch und schei­nen voll­kom­men in ihrer Lek­tü­re des Korans ver­sun­ken. Has­sen ist beein­druckt von ihrem Enga­ge­ment, ihrem Eifer und ihrer Dis­zi­plin beim Stu­die­ren des Islams.

Die Sau­ber­keit der Moschee in Kon­trast zum Rest der Stadt sowie die Anwe­sen­heit und Hin­ga­be so vie­ler Gläu­bi­ger außer­halb der Gebets­zei­ten beein­dru­cken auch Jona­than: „Ich sehe das als Zei­chen für die gro­ße Lie­be und auch Auf­merk­sam­keit, die der Reli­gi­on hier zukommt. Das ist bei uns in Deutsch­land oft nicht so stark.“ Die­se Lie­be und Ernst­haf­tig­keit, mit der die Mus­li­me hier ihrer Reli­gi­on nach­ge­hen, beob­ach­tet er auch oft in All­tags­si­tua­tio­nen in Ägyp­ten: „Ich fand es sehr ergrei­fend, dass im Restau­rant, auf dem Bazar und auf offe­ner Stra­ße Men­schen zur Gebets­zeit ihre Gebets­tep­pi­che aus­ge­rollt haben und dann ein­fach gebe­tet haben.“

Isla­mi­sche Architektur

Has­sen kennt das schon – auch er betet fünf Mal am Tag, wie es sein Glau­be ihm vor­schreibt. Was ihn in Ägyp­ten viel mehr fas­zi­niert, ist die isla­mi­sche Archi­tek­tur in Kai­ro. Sie unter­schei­det sich von einer isla­mi­schen Epo­che zur ande­ren und von einer Rechts­schu­le zur nächs­ten. Es gibt Mina­ret­te mit zwei Spit­zen und ande­re mit einer Spit­ze, eini­ge sind zylin­drisch und ande­re acht­eckig oder sechs­eckig. Jede Form hat eine ande­re Bedeu­tung, gehört zu einem ande­ren Zeit­al­ter, hat einen ande­ren Hin­ter­grund. Vor allem die fati­mi­di­sche Archi­tek­tur, die wir bei einer Stadt­füh­rung durch das alte Kai­ro ken­nen­ler­nen, kommt Has­sen ver­traut vor. Die Fati­mi­den sind die Grün­der von Kai­ro. Sie kom­men aus der Stadt Mah­dia in Tune­si­en, die nahe von Has­sens Geburts­stadt ist. „Es war also sehr beein­dru­ckend und span­nend für mich, ihre Spu­ren in Kai­ro zu sehen“, erklärt er. Viel­leicht ist es die­se alte Ver­bin­dung bei­der Län­der, wegen der die Ägyp­ter ihm mit so viel Zunei­gung begeg­nen: „Ich sah in ihnen eine gro­ße Gast­freund­schaft, Offen­heit und Freu­de, beson­ders, als sie erfuh­ren, dass ich Tune­si­er bin. Ich bemerk­te ihre Bereit­schaft, jede Art von Hil­fe anzu­bie­ten, ihre freund­li­che Art und ihr Lächeln.“ Aber auch wir Chris­ten füh­len uns in Ägyp­ten immer wohl und sicher auf­ge­ho­ben. Sie beschrei­ben den Weg, wenn wir im Cha­os Kai­ros zu ver­sin­ken dro­hen, emp­feh­len uns die bes­ten Restau­rants und das authen­tischs­te Essen.

Mit­ten im mus­li­mi­schen Gebet

In der ers­ten Moschee in Ägyp­ten und in ganz Afri­ka, der Amr-ibn-al-As-Moschee, hat die Grup­pe die Chan­ce, sich das mus­li­mi­sche Gebet näher anzu­se­hen. Wir ste­hen gera­de im Vor­hof, als aus den Laut­spre­chern über dem Ein­gang der Gesang ertönt, der zum Gebet ruft: „Alla­hu Aqbar“ – Allah ist groß. Zuerst ist nicht sicher, ob wir wäh­rend des Gebe­tes die Moschee besich­ti­gen kön­nen. Doch Has­sen ver­schwin­det zwi­schen den Säu­len und winkt sei­ne Mit­sti­pen­dia­ten wenig spä­ter zu sich. Also wie­der: Schu­he aus, Kopf­tü­cher an und schon sit­zen wir im hin­te­ren Teil der Moschee auf dem Tep­pich­bo­den und kön­nen – für die meis­ten von uns zum ers­ten Mal in unse­rem Leben – einen mus­li­mi­schen Got­tes­dienst beob­ach­ten. Has­sen ver­schwin­det in einer Grup­pe von beten­den Män­nern, die mit dem Rücken zu uns steht. Als das nächs­te „Allah“ vom Imam durch die Laut­spre­cher schallt, legen sie ihre Hän­de auf die Knie und nei­gen den Kopf. In die­ser Pose ver­har­ren sie kurz, bis wie­der „Allah“ durch die Laut­spre­cher gesun­gen wird – dies­mal in einer ande­ren Melo­die. Die Gläu­bi­gen gehen auf die Knie und berüh­ren mit der Stirn den Tep­pich­bo­den. Wie­der ver­har­ren sie in die­ser Pose, es ist ganz still. Beim nächs­ten „Allah“ ste­hen sie wie­der auf. Die­ser Ablauf wie­der­holt sich eini­ge Male. Spä­ter pre­digt der Imam, der Vor­be­ter beim Ritu­al­ge­bet. Die Wör­ter Allah und Moham­mad hören wir immer wie­der, sonst bleibt uns der Inhalt des Gebets ver­bor­gen. Fas­zi­niert fol­gen wir den frem­den Riten.

Die­se Art des Got­tes­diens­tes ken­nen wir aus der christ­li­chen Tra­di­ti­on nicht. Wo wir dem Gebet oft ant­wor­ten oder es nach­spre­chen, ist es hier still. Wo die Pro­tes­tan­ten zwi­schen Ste­hen und Sit­zen wech­seln, ist es hier eine Abfol­ge aus Ste­hen, Ver­beu­gen und die Stirn auf dem Boden able­gen. Jona­than sieht in die­sen ande­ren Riten ein Sym­bol für den größ­ten Unter­schied zwi­schen Chris­ten­tum und Islam: „Der Islam ist etwas dog­ma­ti­scher: ‚das ist das Wort Got­tes, das ist das Gesetz, dem wir uns unter­wer­fen‘. Wir Chris­ten sagen, dass die gött­li­che Wahr­heit Mensch gewor­den ist in Jesus Chris­tus und das Gott auf uns zukommt. Wir leben in einer dyna­mi­sche­ren Bezie­hung mit Gott.“

Nach dem Gebet lau­fen die Gläu­bi­gen an uns vor­bei. Die meis­ten ent­de­cken uns erst jetzt. Vie­le schau­en neu­gie­rig, eini­ge lächeln uns an. Abwei­send blickt nie­mand, wir schei­nen nicht zu stö­ren. Als wir gera­de los­lau­fen, um die Moschee zu erkun­den und Has­sen mit Fra­gen löchern, kommt ein Mann auf uns zu. Er schüt­telt einem Mit­sti­pen­dia­ten die Hand und fragt auf Eng­lisch, was wir hier machen wür­den, ob wir Mus­li­me sei­en. Wir ver­nei­nen und erklä­ren, dass wir Chris­ten sind. Kurz habe ich Angst, dass er uns hier nicht haben will, dass wir ihn stö­ren in sei­nem Got­tes­haus. Doch er lacht freund­lich und ant­wor­tet auf Eng­lisch: „Wie schön, dass ihr hier seid, Will­kom­men. Schaut euch um, lernt über unse­re Reli­gi­on. Es ist wich­tig, dass wir von­ein­an­der lernen.“

Die christ­li­chen Kop­ten in Ägypten

Das machen wir – und jetzt, nach­dem er uns so viel bei­gebracht hat, ist Has­sen an der Rei­he. Denn nicht nur dem Islam begeg­net man in Ägyp­ten – auch das Chris­ten­tum zeigt sich hier von einer ande­ren Sei­te. Ägyp­ten ist neben dem heu­ti­gen Isra­el und den paläs­ti­nen­si­schen Gebie­ten das ein­zi­ge Land, in dem sich die hei­li­ge Fami­lie je auf­ge­hal­ten hatte.

Wei­ter­le­sen: Geschichtliches

Nach­dem Hero­des aus Angst um sei­nen Thron anord­ne­te, alle Kin­der bis zum Alter von zwei Jah­ren im Land töten zu las­sen, flo­hen Maria und Josef mit dem jun­gen Jesus nach Ägyp­ten. Nur durch die­se Flucht konn­te der Sohn Got­tes über­le­ben und sei­ne Leh­ren ver­brei­ten. Ägyp­ten ist somit auch für die Geschich­te des Chris­ten­tums ein bedeut­sa­mes Land. Des­we­gen gibt es dort immer noch eine christ­li­che Gemein­de: Die Kop­ten. Schon im 1. Jahr­hun­dert sol­len sie sich in Alex­an­dria ange­sie­delt haben. Noch heu­te leben geschätzt rund fünf Mil­lio­nen Kop­ten in Ägyp­ten. Sie fol­gen einem öst­lich gepräg­ten christ­li­chen Ritus, der näher mit der ortho­do­xen Kir­che ver­wandt ist als mit der evan­ge­li­schen oder katholischen.

Wir besu­chen die Kop­ten an einem Sonn­tag­abend. Nicht irgend­ein Sonn­tag – es ist der Pfingst­sonn­tag. Hier ist es ein Tag wie jeder ande­re – auch für die Kop­ten, die einem ande­ren Kalen­der fol­gen. Das erfah­ren wir von einem kop­ti­schen Pries­ter, der uns sei­ne Kir­che zeigt und zum Got­tes­dienst ein­lädt. Man­chen von uns wird da etwas mul­mig. Es wird gefragt, ob es denn sicher sei, sich an einem hohen christ­li­chen Fei­er­tag in einem mus­li­mi­schen Land aus­ge­rech­net in einer Kir­che auf­zu­hal­ten. Die Fra­ge ist nicht ganz unbe­rech­tigt: Das Chris­ten­tum wird hier oft nicht mit Nächs­ten­lie­be in Ver­bin­dung gebracht, son­dern mit den Angrif­fen wäh­rend der Kreuz­zü­ge, dem Feld­zug Napo­le­ons oder der Fremd­herr­schaft durch die Bri­ten in der Kolo­ni­al­zeit. In Euro­pa wer­den heut­zu­ta­ge vie­ler­orts Men­schen aus dem Nahen Osten und Afri­ka als Fremd­kör­per betrach­tet, vor einem Jahr­hun­dert waren es noch die Euro­pä­er, die sich als frem­de Ein­dring­lin­ge in ande­ren Kul­tu­ren fest­ge­setzt hat­ten und die­se fort­an mit­be­stimm­ten – mit Aus­wir­kun­gen, die bis heu­te spür­bar sind. Dabei steht Euro­pa auch immer in Ver­bin­dung mit dem Christentum.

Daher sind die Kop­ten immer noch von Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund ihrer Reli­gi­on betrof­fen. Meist gehö­ren sie den ärme­ren Bevöl­ke­rungs­grup­pen an. Die­sen Druck von außen erlebt Jona­than in Deutsch­land so nicht. Das wir­ke sich auch auf den Glau­ben aus, bemerkt er. „Die Kop­ten haben ein grö­ße­res Bewusst­sein, was es bedeu­tet, sich für das Chris­ten­tum zu ent­schei­den. Man muss die­se Bereit­schaft tra­gen und auch Repres­sio­nen oder Nach­tei­le in Kauf neh­men für die Reli­gi­on. Wenn ich etwas über das Chris­ten­tum gelernt habe von den Kop­ten, dann ist es, dass Armut und Repres­sio­nen viel­leicht auch zu einer grö­ße­ren Ernst­haf­tig­keit im Glau­ben führen.“

Wei­ter­le­sen: Die ägyp­ti­sche Bevölkerung

Grund­sätz­lich ist ein Groß­teil der ägyp­ti­schen Bevöl­ke­rung sehr arm. Das Land hat sich unter der Mili­tär­dik­ta­tur Abdel Fatah Al-Sis­is hoch ver­schul­det, die Infla­ti­on steigt ste­tig, das Sys­tem droht zu kol­la­bie­ren. Rund 30 Mil­lio­nen Men­schen leben in Armut, 70 Pro­zent der Bevöl­ke­rung ist auf Staats­hil­fen ange­wie­sen (Stand 2022). Hier ler­nen wir, was Armut bedeu­tet, und wis­sen unse­re Pri­vi­le­gi­en, die der deut­sche Staat uns bie­tet, ein­mal mehr zu schätzen.

Auch Has­sen beob­ach­tet die Kop­ten mit Neu­gier. Er nimmt sie nicht als dis­kri­mi­niert wahr, son­dern ist beein­druckt von ihrem fried­li­chen Zusam­men­le­ben und ihrer Inte­gra­ti­on Sei­te an Sei­te mit den Mus­li­men. Der kop­ti­sche Pries­ter, der uns sei­ne Kir­che zeigt, spricht nur ara­bisch. Also muss Has­sen wie­der ran: Er über­setzt die ara­bi­schen Erläu­te­run­gen des Pries­ters ins Deut­sche und die Fra­gen sei­ner Mit­sti­pen­dia­ten wie­der ins Ara­bi­sche. Bei der Anwe­sen­heit so vie­ler Chris­ten, die sich bren­nend für die Kop­ten inter­es­sie­ren, kön­nen die Fra­gen ganz schön kom­plex und der Wort­schatz ziem­lich spe­zi­ell wer­den. Obwohl Has­sen nur wenig über das Chris­ten­tum und den christ­li­chen Wort­schatz weiß, ver­sucht er, alles zu über­set­zen und The­men zu erklä­ren, von denen er vor­her nichts wuss­te. Das ist gar nicht so ein­fach, „aber ich war glück­lich, als ich in ihren lächeln­den und zustim­men­den Gesich­tern sah, dass bei­de Sei­ten ein­an­der gut ver­stan­den.“, erin­nert sich Has­sen. Aus den Gesprä­chen lernt er über die kop­ti­schen Riten und ihre Gebets­wei­se – so wie wir vor­her in sei­ne Reli­gi­on ein­tau­chen durf­ten, kann er nun das Chris­ten­tum von einer ande­ren Sei­te erleben.

Die Leh­ren einer Exkursion

Aber nicht nur aus den Moscheen und Kir­chen neh­men wir viel mit: Auch von­ein­an­der kön­nen die Sti­pen­dia­tin­nen und Sti­pen­dia­ten ler­nen. Auf den Bus­fahr­ten wird erklärt, dis­ku­tiert, gewun­dert und nach­ge­hakt. Es wer­den Geschich­ten aus­ge­tauscht, Ver­se aus hei­li­gen Büchern zitiert, Kon­fes­sio­nen dif­fe­ren­ziert und Wort­schät­ze erwei­tert. Has­sen erzählt von den Details, die er über das christ­li­che Gebet gelernt hat, „wie das, was der Pries­ter am Sonn­tag wäh­rend des Gebets mit dem Wein und dem Brot macht und dass es nach dem Gebet als hei­lig gilt und Chris­tus dar­stellt.“ Und wir kön­nen erle­ben, wie der Islam in sei­nem All­tag aus­sieht, wenn er die Reli­gi­on und Kul­tur eines Lan­des domi­niert. Am Ende der Exkur­si­on der Hanns-Sei­del-Stif­tung haben wir alle viel gelernt, unse­re Tel­ler­rän­der erwei­tert und neue Ein­bli­cke in die frem­de und die eige­ne Reli­gi­on erlangt. Has­sen und Jona­than stel­len bei­de fest, dass die ägyp­ti­sche Gesell­schaft reli­giö­ser scheint als die Deut­sche: „Ich habe bemerkt, dass die Mehr­heit der ägyp­ti­schen Bevöl­ke­rung reli­gi­ös ist und ihren Glau­ben prak­ti­ziert, egal ob sie Mus­li­me oder Chris­ten sind. Bei­de sind von ihrem Glau­ben über­zeugt und leben ihn aus“, erklärt Has­sen. Vor allem die Ernst­haf­tig­keit der Reli­gi­on in Ägyp­ten ist etwas, das wir auf bei­den Sei­ten beob­ach­ten: Im Ver­gleich zu Deutsch­land, fin­det Jona­than, schei­nen Mus­li­me und Chris­ten ihre Reli­gi­on hier mit mehr Lie­be aus­zu­le­ben. „Sie den­ken und erfas­sen Gott mehr vom Her­zen her, wäh­rend es bei uns oft ratio­na­ler und durch den Kopf geprägt ist.“

Viel­leicht liegt es an die­ser emo­tio­na­len, lie­be­vol­len Ver­bin­dung zum Glau­ben, dass das Zusam­men­le­ben zwi­schen den Reli­gio­nen in Ägyp­ten so ein­fach erscheint. Das Land der Pha­rao­nen hat uns vor Augen geführt, dass wir am Ende alle gleich sind, auch wenn wir nicht die glei­che Spra­che spre­chen und nicht zum glei­chen Gott beten. Am Ende wol­len wir alle Frie­den für uns und Wohl­erge­hen für unse­re Mit­men­schen. Trotz der gro­ßen Armut und Repres­si­on in Ägyp­ten wird hier das Gebot der Nächs­ten­lie­be spür­bar, wie Has­sen es zusam­men­fasst: „Die Begeg­nung zwi­schen Islam und Chris­ten­tum in Ägyp­ten zeigt das Aus­maß der Tole­ranz zwi­schen den Reli­gio­nen und auch, dass ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben und die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Mus­li­men und Chris­ten sehr wohl mög­lich sind. Es gibt kei­ne Tren­nung oder Abgren­zung zwi­schen den Anhän­gern bei­der Reli­gio­nen auf­grund ihrer Reli­gi­on. Der Christ lebt unter den Mus­li­men und der Mus­lim unter den Chris­ten ohne Pro­ble­me, es gibt kei­ne Mau­ern oder Bar­rie­ren, die sie tren­nen. Ägyp­ten kann bei­de herz­lich auf­neh­men. Ägyp­ten ist ein Bei­spiel für das Zusam­men­le­ben und die Akzep­tanz von Unterschieden.“

Impressionen der Studienfahrt

(alle Fotos: privat)