Reise durch die neuere deutsche Geschichte
Auf Spurensuche in Berlin
Die Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert ist eine Geschichte von Kontinuität und Brüchen bis hin zum Völkermord an den europäischen Juden. Drei verschiedene politische Systeme in Deutschland – Monarchie (Kaiserreich), Diktatur (Drittes Reich/DDR) und parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland – haben der deutschen wie der europäischen Geschichte ihren Stempel aufgedrückt.
Diese neuere Geschichte beleuchten – wo kann dies besser geschehen als in der deutschen Hauptstadt Berlin? Und wie kann die heutige Generation – die nach 1990 Geborenen – die Zeit in den knapp einhundert Jahren davor museal erleben? Wie wird an diese Zeit erinnert, wie gehen wir Deutsche mit dieser Geschichte um? In Ausstellungen, in Museen und mit Zeitzeugen erlebten Stipendiaten der Hanns-Seidel-Stiftung bei einem Seminar Ende September 2021 die Deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Berlin als deutsche Hauptstadt bündelt diese Geschichte wie ein Brennglas. Als Hauptstadt ab 1871 im Kaiserreich, in der Weimarer Zeit, der Nazizeit und der DDR-Zeit (der Ostteil war „Hauptstadt der DDR“) verbindet sie Lokalgeschichte, Nationalgeschichte und Weltgeschichte.
Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Wer die Gegenwart nicht versteht, kann die Zukunft nicht gestalten.
Helmut Kohl
„Die deutsche Frage ist solange offen, solange das Brandenburger Tor geschlossen ist.“ Diesen Satz sagte einst Richard von Weizsäcker, Regierender Bürgermeister von Berlin von 1981 bis 1984 und sechster Bundespräsident (1984 bis 1994) des später wiedervereinten Deutschlands. So war die deutsche Frage immer auch eine weltpolitische Frage.
„Wir leben in einer Diktatur. Wir bewegen uns in Richtung einer Diktatur“, behaupten bestimmte politische Gruppen am Rande der Gesellschaft heute gerne. „Gerade deshalb ist es ganz wichtig, jungen Menschen – auch jungen Stipendiaten – klarzumachen, was eine Diktatur wirklich ist, was Diktatur wirklich bedeutet – für die Gesellschaft und die einzelnen Menschen“, betont Alexander Kropp, Historiker, HSS-Altstipendiat und Seminarleiter dieser Exkursion in Berlin.
Die Täter-Seite, die Opfer-Seite, die Schau-Seite – die Stipendiaten haben unterschiedliche Seiten gesehen, verschiedene Aspekte und Perspektiven beleuchtet. Viele neue, persönliche Fragen tauchten da auf: Wie hätte ich in der damaligen Zeit reagiert? Muss ich, will ich mich anpassen – und wieweit? Wäre ich mitgelaufen oder hätte ich mich widersetzt? Auch wenn das Lebensgefahr für mich, Vater, Mutter und Geschwister bedeutet hätte?
„Wir sind in einer Demokratie aufgewachsen. Wir mussten uns diese Frage nicht stellen“, so Alexander Kropp stellvertretend für inzwischen mehrere Generationen.
Ein Stadtrundgang durch Berlin-Mitte eröffnete die „Erinnerungskultur im öffentlichen Raum“. Im „Tränenpalast“, dem Abfertigungsgebäude für die Ausreise aus der DDR, direkt am Bahnhof Friedrichstraße, konnten die Stipendiaten hautnah erleben, wie das damals war. Die Grenzanlage mit Kameras, Grenzpolizisten mit Gewehren, die stete Überwachung, die Beklemmung, die Unfreiheit – das System, das Menschen einsperrte.
Am Brandenburger Tor ist die Atmosphäre eher durch Trubel geprägt, als dass dieses Symbol der Teilung UND der Einheit Deutschlands spürbar wäre. Anders ein paar Schritte weiter beim Holocaust-Mahnmal, im ehemaligen Todesstreifen mitten in Berlin.
Die Ausstellung „Mythos Germania“ zeigte die Schau-Seite der Nazi-Diktatur: Prunkbauten im Modell, die Reichshauptstadt-Planung von Albert Speer und Adolf Hitler, die die Gegensätze deutlich aufzeigen. Kropp hat die Ausstellung als Historiker mitgestaltet. Kein Problem für ihn, Betroffenheit bei den Stipendiaten zu erzeugen – ob solchen Größenwahns einerseits oder der Versklavung der Menschen andererseits.
Die Gedenkstätte „Deutscher Widerstand“ im Bendler-Block, wo Stauffenberg den Umsturz vom 20. Juli 1944 organisiert hat und umsetzen wollte, thematisiert den Widerstand gegen das Nazi-Régime – nicht nur den militärischen, auch den Widerstand von Jugendlichen und von jungen Menschen.
Das Humboldt-Forum mit dem wiederaufgebauten Stadtschloss ist innen ein sehr moderner Bau. Die rekonstruierten Barockfassaden haben eine wichtige architektonische und städtebauliche, aber auch museale Funktion. Nicht nur für die Stipendiaten war (bzw. ist) die Intention dieses Humboldt-Forums interessant: Ein Weltmuseum, das aber auch die Geschichte dieses Ortes präsentiert.
Schon diese kleine Aufzählung zeigt, wie dicht und vielfältig das Programm für eine Studienfahrt war. Es zeigt aber auch, dass es sich immer lohnt, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Geschichte ist alles andere als trockene Materie mit Zahlen und Daten. Dahinter stehen immer auch Menschen, Entwicklungen und Zusammenhänge. „Um die Gegenwart verstehen zu können, muss ich die Vergangenheit kennen“, betont Alexander Kropp, der lange auch in der Bundestagsverwaltung in Berlin tätig war. Die Intention dieses intensiven HSS-Seminars, das mit unterschiedlichen Schwerpunkten schon zum vierten Mal stattgefunden hat, ist: Geschichte zeigen, für Geschichte sensibilisieren.
Impressionen
Fotos: Isabel Küfer/HSS, Alexander Kropp