Exkursion nach Washington, D.C.
Am Puls des US-Wahlkampfes: „Lucky to live in a time of change“
Im Jahr 2024, einem Jahr der internationalen Umbrüche und sich zuspitzenden Konflikte, blickt die Welt gespannt nach Amerika, wo seit Monaten ein erbitterter Wahlkampf für das Präsidentenamt geführt wird. Es geht um nichts weniger als die Zukunft der Welt. Denn wer in Amerika das Sagen hat, entscheidet auch maßgeblich über die Gestaltung der internationalen Gemeinschaft. Im Rahmen des Washington Summer Symposiums der Universität Regensburg und des Osgood Center for International Studies in Washington, D.C. können sich Studierende vor Ort in der amerikanischen Hauptstadt praxisnah und intensiv mit der US-Politik und weltpolitischen Herausforderungen beschäftigen. HSS-Stipendiatin Sophia Maier nahm dieses Jahr mit Unterstützung der HSS an der Exkursion teil. Dabei konnte sie in das Zentrum US-amerikanischer Politik eintauchen und die Stimmung vor der Wahl aufsaugen – und berichtet hautnah von ihren Eindrücken, von Emotionen und der neuen Euphorie in den Vereinigten Staaten.
Eindrücke aus Washington, DC
Seit mehr als 30 Jahren bietet die Professur für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen der Universität Regensburg mit dem „Washington Summer Symposium on US Foreign Policy“ den Studierenden der Universität Regensburg die einmalige Gelegenheit, mit Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft, Journalismus und Diplomatie in den Dialog zu treten. In diesem Jahr wurde die Exkursion von Lisa-Marie Geltinger geleitet, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen der Universität Regensburg tätig und zudem Altstipendiatin der Hanns-Seidel-Stiftung ist.
Zum Programm gehörte dieses Jahr auch der Besuch von Institutionen wie dem International Monetary Fund, dem Freedomhouse-Institute, dem Think Tank „Brookings“, der John-Hopkins-Universität und den Botschaften von Deutschland, Mexico sowie Japan. Bei diesem umfangreichen und intensiven Programm wird schnell klar: In Washington, DC, wird Weltpolitik nicht nur durchgeführt, sondern auch erforscht, besprochen, geplant und geformt. Die Stadt atmet Politik und Macht – und das spüre ich an jeder Ecke. Als ich die ersten Male die Straßen Washingtons durchstreife, fällt mir, die die beschauliche Regensburger Altstadt gewohnt ist, der Gigantismus an jeder Ecke auf. Die Gebäude sind höher, ihre Architektur pompöser, die Parks weiter, die Straßen breiter, die Autos größer, das Essen teurer und die Portionen so riesig, dass einige schon die Vorspeise nicht schaffen. An jeder Ecke wehen stolz die „Stars and Stripes“ in Weiß, Blau und Rot in der heißen Sommerluft.
Aber für eine Stadt der Superlative erscheint Washington, DC, dieser Tage fast unpassend ruhig – der Verkehr ist angenehm, die Bürgersteige leer, die Stadt scheint zu schlafen. Das liegt daran, dass an den Universitäten – und davon gibt es rund 15 in Washington – Semesterferien sind und gleichzeitig auch der Kongress eine Sommerpause einlegt. Daher sind die Studierenden und viele Mitglieder des Kongresses und diejenigen, die mit ihnen arbeiten, gerade nicht in der Stadt.
Polarisierung
Im Wahlkampf ist von „Sommerpause“ allerdings nichts zu spüren. Ende Juni lief die desaströse und viel diskutierte TV-Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump, nur wenige Wochen später schoss ein Attentäter bei einer Trump-Rallye auf den ehemaligen Präsidenten und selbst das geriet über den Rückzug Joe Bidens und die Kandidatur von Kamala Harris als seine Nachfolgerin in Vergessenheit.
Das Land ist gespalten. Viele glauben: gespaltener denn je. Shelton Williams, der Präsident des Osgood Center und eine politikwissenschaftliche Koryphäe in den USA, warnt allerdings vor der Überdramatisierung der amerikanischen Spaltung: Schon vor dem zweiten Weltkrieg gab es hoch kontroverse Debatten über Isolationismus versus Intervention, die an heutige Wahlkampfthemen erinnern. Zwar hat der Sieg im Zweiten Weltkrieg die amerikanische Bevölkerung wieder zusammengebracht, aber auch dann gab es heftige Spaltungen über den Kommunismus in der McCarthy-Ära, über die Segregation oder die Kriege in Vietnam und im Irak. „Martin Luther King and John F. Kennedy got shot over standing for their believes”, erinnert Williams. “Polarization is not a new phenomenon. The cultural divide today reflects the tensions of the 60s and 80s.“
Viele Gesprächspartnerinnen und ‑partner appellieren auch an die Gemeinsamkeiten beider Parteien. Im härteren Kurs gegenüber China sind sich beide einig und Shelton William erinnert daran, dass vier wichtige Gesetze, wie der „Infrastructure Deal“, während Joe Bidens Regierungszeit überparteilich verabschiedet wurden. Auch Sanktionen gegen andere Länder werden meist mit großer gemeinsamer Mehrheit verabschiedet – sie gelten als liebstes Mittel der Intervention, erklärt Adam Smith, der früher für das US-Finanzministerium arbeitete. Auch dort, wo es keine Übereinstimmung zwischen Republikanern und Demokraten gibt, herrscht innerparteilich noch lange kein Konsens. Während Joe Bidens Kandidatur stritten die Demokraten intern über seine Eignung als Präsident in einer zweiten Legislatur und einige Republikaner eint ihre Abneigung gegenüber Trump – und damit dem eigenen Präsidentschaftskandidaten. Michael O’Hanlon, Forschungsdirektor im Bereich Außenpolitik bei Brookings und Mitglied des Defense Policy Board im Verteidigungsministerium – und wie er erzählt, selbst im republikanischen Lager – findet deutliche Worte: „January 6th showed, that Donald Trump should not be given the care over our democracy ever again.“
Die Wahlen und die Welt – Zukunft der Internationalen Gemeinschaft
Wie die Wahl ausgeht, ist nicht nur für die amerikanischen Staatsbürger von Bedeutung. Auch der Rest der Welt, vor allem Europa, ist von der Weltmacht USA geprägt. Als bisherige größte Militär- und Wirtschaftsmacht hatten sie eine Sonderrolle in der Internationalen Gemeinschaft seit Ende des Kalten Krieges inne – in der Politikwissenschaft spricht man vom „unipolaren Moment“. Ihren Sonderstatus verleiht ihnen auch ihre ausgezeichnete und weltweit einzigartige Lage – umgeben von nur zwei friedlichen Nachbarn und geschützt von Ozeanen: „If the world did fall apart, the USA would be the last to notice.“, sagt Hal Brands, Professor für globale Angelegenheiten an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies. Warum sollte es sie also interessieren, wenn in Europa oder im Nahen Osten Krieg ausbricht? Wozu all diese teuren Allianzen? „The costs of alliances are easy to see, but the benefits are not”, fährt Brands fort.
Das erkennt man auch in der Forderung im Wahlkampf, sich aus der Welt zurückzuziehen und sich mehr um das eigene Land zu bemühen. Dieser Isolationismus wird vor allem Trump vorgeworfen, dabei war auch schon unter Obama ein deutlicher Rückzug aus Europa und anderen Weltregionen zu sehen. Der Vorwurf, den schon Obama anbrachte und auch in den Gesprächen bei der Exkursion immer wieder zum Vorschein kommt, lautet, Europa habe sich zu lange auf der Unterstützung durch die USA ausgeruht. Auf die Frage nach der Zukunft der US-Außenpolitik sieht Hal Brands eine klare Antwort: „The US needs more capabilities, but its allies will have to take a share in that.”
Wahlkampf
So wichtig diese Themen für uns Europäer erscheinen mögen – für die amerikanischen Wähler sind das nur Fragen am Rande. Die wichtigsten Themen („issues“) im US-Wahlkampf sind innenpolitischer Natur: Wirtschaft, Kriminalität, Drogen, Arbeitsplätze, Abtreibung. Außenpolitik spielt nur eine geringe Rolle. Doch viel wichtiger als die tatsächlichen Wahlkampfthemen sind die Emotionen. Wer schafft es, die Herzen der Menschen zu gewinnen? Das ist einer der größten Unterschiede, die auffallen. Wo in Deutschland die Inhalte – Zahlen, Daten, Fakten und konkrete Pläne zur Umsetzung von Parteiprogrammen zählen, die in meist trockenen Talkshows besprochen werden, sind die US-Wahlen inszeniert wie ein Film. Die Wahlkampfwerbespots, die rauf und runter laufen, erinnern an Action-Film-Trailer. Es werden Prominente eingesetzt, die für Parteien werben, der Wahlkampf wird durch Pop-Kultur und Memes verbreitet, die Gegner mit medienwirksamen „catch-phrarses“ herabgesetzt.
Tim Walz und Kamala Harris inszenieren sich auf dem demokratischen Parteitag als Familienmenschen: Ihre Kinder sitzen zu Tränen gerührt im Publikum, Harris‘ Mann spricht auf dem über seine Frau als die Stiefmutter seiner Kinder, die sie „Mamala“ nennen. Seit Kamala Harris Tim Walz als ihren Vizepräsidenten verkündet hat, stellen die Gesprächspartner der Exkursion viel Emotion, Energie und Motivation im demokratischen Lager fest, wie es schon lange nicht mehr in dieser Intensität beobachtet wurde.
Ganz besonders können wir das am eigenen Leib bei einer freiwilligen Abendveranstaltung spüren: Zufällig ist gerade Nancy Pelosi in der Stadt, um in einem Theater ihr neues Buch vorzustellen. Natürlich wird im Zuge dessen auch kräftig Wahlkampf für ihre Partei (die Demokraten) betrieben. Als Sprecherin des Kongresses unter Joe Biden war sie lange Zeit die mächtigste Frau der USA. Die wollen wir uns nicht entgehen lassen. Das Lincoln Theater in Washington füllt sich schnell. Als Nancy Pelosi die Bühne betritt, gibt es lauten Jubel und Standing Ovations. Und das nicht ohne Grund: Nancy Pelosi liefert ab.
Schon die erste Frage der Journalistin „how does it feel to be the most powerful woman in the United States of America?” beantwortet sie mit einem Knaller: „It feels like soon I will be second”. Sie impliziert, dass Kamala Harris im November die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten wird. Nach diesem Satz explodiert der Raum mit wildem Klatschen und Jubeln. Es fühlt sich ein wenig an wie Battle-Rap: Jeder ihrer Redeanteile endet auf eine Punchline. Für Donald Trump, dessen Namen sie nicht in den Mund nimmt, hat sie nur Verachtung übrig. Als Trump-Anhänger von ihm angestachelt am 6. Januar 2021 den Kongress stürmten, randalierten diese in ihrem Büro und riefen „Where is Nancy?“.
Im Herbst 2022 brach ein Rechtsextremist mit derselben Frage in ihr Wohnhaus in San Francisco ein und schlug mit einem Hammer auf ihren Ehemann ein. Diese schrecklichen Geschichten endet sie mit einem klaren Statement: „I always knew how dangerous that man (Anm.: gemeint ist Donald Trump) was. And he continues to be dangerous. He cannot become president again; he belongs in jail.” Und wieder: Tosender Beifall und Jubelrufe, die uns mitreißen in der Euphorie und Emotion des US-Wahlkampfs.
Die neuentfachte Motivation scheint großflächig zu wirken. Die meisten der noch unentschlossenen Wähler seien über den frischen Wind, den die verhältnismäßig junge Harris in das Rennen bringt, erstaunt. Und auch der zuvor eher unbekannte Tim Walz trägt seinen Teil dazu bei. Die Verkündung, dass er Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten wird, erfolgt am ersten Morgen des Symposiums. Die Experten, mit denen wir an diesem Morgen reden, sind überrascht, „until this morning I didn’t know that man“, gibt einer von ihnen zu. Aber Michael O’Hanlon hat eine Erklärung für diese Wahl: Walz sei nicht Teil der „coastal élite“, zu der auch Kamala Harris als erfolgreiche Juristin aus Kalifornien gezählt wird. Gerade die ärmere Bevölkerung aus der Mitte des Landes – von vielen despektierlich „fly over country“ genannt – steht diesen Eliten skeptisch gegenüber.
Tim Walz als ehemaliger Soldat, Lehrer und Football Coach aus dem industriell und landwirtschaftlich geprägten Minnesota, stellt den bodenständigen Kontrast zu Harris dar und soll so die Stimmen dieser Wähler für die Demokraten gewinnen. Das scheint zu gelingen: „Before, there has been a certain kind of fatalism between the voters, but today we see eurphoria on the democrats‘ side“ , sagt Amy Walter, Datenjournalistin, Herausgeberin und Chefredakteurin eines Newsletters über Wahltrends in den USA. Bei einer Panel-Diskussion im Gebäude des Think Tank „Brookings“ erzählt sie, die Republikaner hätten damit gerechnet, dass Kamala Harris mit sehr schlechten Umfragewerten in das Rennen starten würde. Doch davon ist nichts zu spüren.
Seitdem Kamala Harris zur Kandidatin ernannt wurde, seien die Republikaner besorgt um ihre Kampagne, erklärt Mariann Levine, die als Journalistin bei der Washington Post für die Berichterstattung über den Wahlkampf und insbesondere Donald Trump zuständig ist. Er sei frustriert, dass die Veranstaltungen der Demokraten höhere Besucherzahlen haben als die der Republikaner. Während viele davon ausgingen, das Attentat auf Trump hätte den Ausgang der Wahlen zu seinen Gunsten besiegelt, kam es durch Kamala Harris zu „one oft he most remarkable turn arounds in the histroy of election campaigning“, wie Amy Walter es nennt.
Ungewisse Zukunft
Man sollte diesen aktuellen Hype allerdings nicht überschätzen und voreilige Schlüsse aus den Umfragen ziehen, erklärt Walter. Wegen des Mehrheitswahlprinzips und der föderalen „Winner takes all“-Struktur würde am Ende nur eine kleine Gruppe an Wählern in den Swing States über das Ergebnis entscheiden. Weil sie weder dem einen noch dem anderen Lager angehören, werden sie die „Independents“ genannt – die Unabhängigen. Sie machen nur sieben bis zehn Prozent der Bevölkerung aus, haben kein ausgeprägtes Interesse an Politik und sind daher noch unentschlossen. Amy Walter nutzt den Vergleich mit der Football-Saison: Menschen, die sich nicht für Football interessieren, bekommen das ganze Jahr über kaum etwas davon mit, aber je näher es auf ein Finale zugeht, desto mehr wird man darin involviert. Ähnlich sei es bei den unabhängigen Wählern. In den Sommerferien will keiner über Politik nachdenken und bis zu den Wahlen ist noch genug Zeit, um sich zu entscheiden. Die aktuellen Umfragen seien daher wenig aussagekräftig. Wer Ende Oktober die Deutungshoheit über die Wahlkampfthemen und die Mehrheit der medialen Aufmerksamkeit hat, wird die Wahl für sich entscheiden.
Jeder Vortrag, den wir hören, ist von der Frage nach dem Ausgang der Wahl geprägt: Wie werden die USA zuhause und in der Welt unter Trump und Vance aussehen – und wie unter Harris und Walz? Dem Land stehen zwei Zukunftsentwürfe offen, auf die es unweigerlich zutreibt. Jeremy Suri, amerikanischer Historiker und Professor an der University of Texas, gibt uns Hoffnung: “We are cursed to live in an unstable time and lucky to live in a time of change.” Die Frage ist nur, was wir aus den Zeiten der Umbrüche machen.
Impressionen aus Washington, D.C. (Fotos: Sophia Maier)