Über eine Ärztin, die zur Patientin wurde
„Alles könnte einfacher sein, wenn wir offen kommunizieren.“
Ich schaute auf den Computer, klickte auf meine Patientenakte und las meine Diagnose. Ich hatte Brustkrebs.
Alina Bacher
Den Beziehungen zwischen Ärzten und Patienten liegt seit jeher eine hierarchische Ordnung zugrunde. Dank einer langjährigen Ausbildung verfügen Ärzte über detailliertes Fachwissen gegenüber Patienten, welches ihnen auch aufgrund schwerwiegender Diagnosen nicht immer zugemutet werden kann. Ein Modell im Wandel: die Beziehung zwischen Arzt und Patient wird immer mehr zum Modell des Shared-Decision-Making, das von beiden Seiten eine aktive Beteiligung fordert. Wie wird dieser Ansatz im heutigen Klinikalltag gelebt? Vor welchen Chancen und Herausforderungen steht eine Ärztin, wenn sie selbst eine schwere Diagnose bekommt? Alina Bacher spricht über diese Fragen aus zwei Perspektiven – als Ärztin und Brustkrebspatientin.
Schwierige Nachrichten an Patienten überbringen, gehört das zu deinem Alltag als Anästhesistin?
Als Anästhesistin im OP muss ich praktisch überhaupt keine schwierigen Nachrichten überbringen, auf der Intensivstation dagegen täglich. Ich versuche diese Gespräche so gut es geht zu meistern. Oft möchte ich gern mehr leisten, als ich tatsächlich kann, was dem Zeitdruck und der tagesaktuellen Besetzung auf Station geschuldet ist. Bei schwierigen Gesprächen schalte ich immer, wenn möglich, mein Diensttelefon aus, buche einen separaten Raum und nehme mir Zeit für die Patienten oder Angehörigen. Wirklich geschult wurden wir darin aber nicht, wenngleich ich auch noch viel in diesem Bereich lernen möchte.
Ich lief in das Brustkrebszentrum und wollte sofort mit einer Ärztin sprechen, aber da bekam ich bereits nicht mehr viel mit. Ich fragte mich, warum ich? Ich habe nicht getrunken, nie geraucht.
Alina Bacher
Nimmst du eine Hierarchie zwischen dir, als Ärztin, und deinen Patienten war?
Ich finde grundsätzlich begegnet man sich als Menschen auf Augenhöhe und natürlich besteht ein Kompetenzunterschied. Es wäre auch sehr traurig, wenn da kein Wissensgefälle besteht. Ich möchte das auch keinem Patienten zumuten, dass er 1500 Seiten googeln muss, um mir seine Diagnose vorzulegen, damit er sich dann als mündiger Patient fühlt.
Was bedeutet für dich Mündigkeit in der Arzt-Patienten-Beziehung?
Für mich bedeutet Mündigkeit, dass wir gemeinsam Therapieentscheidungen treffen können. Das bedeutet, dass ich mit meinem Wissen, das ich mir über Jahre im Beruf und Studium angeeignet habe, die Patienten bei der Therapieentscheidung begleite und wir gemeinsam, insofern sie das möchten, eine Entscheidung treffen. Auf der anderen Seite hatte ich aber auch viele Patienten, denen die aktive Entscheidung zu viel ist und sie diese gern an mich als Ärztin abgeben. Auch diese Verantwortung trage ich, zu dem Prozentteil, den mir der Patient gerne abgeben möchte.
Ich habe jetzt 16 Zyklen Chemotherapie hinter mir und die Operation, im Oktober folgt noch die Bestrahlung. Ich dachte ich wäre glücklicher, wenn dieses ganze Monster an Therapie geschafft ist. Doch während der Chemo habe ich die Diagnose nicht realisiert. Ich war jede Woche zu dieser Chemo und habe versucht, das mir nicht übel wird, hab versucht Sport zu machen.
Alina Bacher
Welche Vorteile im Rahmen deiner Therapie ergaben sich, dadurch das du selbst Ärztin bist?
Einerseits liegt der Berg an krankheitsspezifischem Fachwissen, der als neu diagnostizierter Patient bewältigt werden muss, schon hinter einem, was einem ein ganzes Stück Arbeit abnimmt. Andererseits kann man Informationen noch mal besser einordnen. Auch im Bereich der Therapieentscheidung half mir mein Hintergrundwissen und die Interpretation von OP-Zahlen sowie OP-Ergebnissen, um eine mündige Entscheidung für eine der Kliniken zutreffen, in der ich mich operieren lassen wollte.
Ich versuche die Diagnose in mein Leben zu integrieren, aber von immer gesund zu Brustkrebs ist schon ein ziemlich großer Schritt. Man kommt doch zu einem anderen Leben zurück. Ich mag meine Arbeit und freue mich bald wieder arbeiten zu dürfen, aber es lässt sich nicht aufheben in Zeit, mit der Familie und Freunden.
Alina Bacher
Spürst du durch deine Profession als Ärztin auch Nachteile im Rahmen der Brustkrebserkrankung?
Eben das vorher besprochene Fachwissen kann einem auch zum Verhängnis werden. Wenn zum Beispiel der Arzt über die Tumorbiologie spricht, dann denkt der Laie, okay, da habe ich keine Ahnung. Aber ich persönlich habe dann angefangen alles zu hinterfragen und darüber nachzudenken, welchen Einfluss das auf den eigenenOrganismus, auf das eigene Überleben hat. Dieses Hinterfragen ist wahnsinnig anstrengend. Zudem kostet es Überwindung sich selbst in andere Hände zu geben. Es gibt Gespräche, da sitze ich am anderen Ende des Tisches und der mir gegenüber hält mich für den absoluten Fachmann. Ich selbst weiß aber um meine eigene Menschlichkeit und dass ich Fehler machen kann. So sehe ich in den Ärzten, die mir gegenübersitzen, auch die Menschen dahinter.
Welchen Herausforderungen standest du gegenüber, als du als Ärztin selbst zur Patientin wirst?
Neben dem Vertrauen ist das schwierigste für mich die Doppelrolle, die ich manchmal unterschwellig in Gesprächen mit mich behandelnden Ärzten erlebte. In diesem Gespräch kam häufig unterbewusst bei mir an, dass ich mich selbst um meine Therapie und mich kümmern müsste. Nach meiner ersten Chemo, nach der es mir wirklich schlecht ging, rief ich in der Chemoambulanz an und bat um Hilfe. Sie wiesen mich ab, mit der Begründung, dass ich selbst Ärztin sei und mich um meine Übelkeit allein kümmern könnte. Erst als ich die Praxis wechselte, lernte ich wirklich nur Patientin zu sein.
Nach der Diagnose fühlt es sich an als hätte dir jemand den Zauber genommen. 90 Prozent der Menschen laufen dieser Kontrollillusion hinterher, die eigene Endlichkeit kontrollieren oder ausblenden zu können, mir hat man diese Illusion genommen. Ich habe früher alles durchgeplant und heute fällt es mir schwer überhaupt zu planen in Tagen, Monaten…
Alina Bacher
Was würdest du Menschen mit auf den Weg geben, die eine schwere Krankheitsdiagnose bekommen haben?
Wir müssen offen ins Gespräch gehen, über die Aggressivität, von der vor allem junge Frauen betroffen sind und die damit eng verbundenen Themen Tod und Sterben enttabuisieren. Das ist wichtig, damit Menschen mit schweren Diagnosen, diesen 100%-Kämpfermodus, den man von den Medien vorgegaukelt bekommt, ablegen können und wissen, dass muss man nicht allein schaffen. Das ist es, was mir auch selbst geholfen hat sich einzugestehen, dass man diese Riesenlast nicht allein tragen muss. Offen sein, mit sich, seinen Freunden, der Familie und Gefühle und Ängste zulassen und kommunizieren. Geholfen hat mir auch die professionelle Unterstützung eines Psychoonkologen, der mich auch heute noch begleitet, um die Diagnose zu verarbeiten und eine gute Integration der Erkrankung in mein Leben zu erreichen.