Über eine Ärztin, die zur Patientin wurde

„Alles könnte einfacher sein, wenn wir offen kommunizieren.“

Veröffentlicht am 2. Oktober 2021 von Mandy Schubert

Ich schau­te auf den Com­pu­ter, klick­te auf mei­ne Pati­en­ten­ak­te und las mei­ne Dia­gno­se. Ich hat­te Brustkrebs. 

Ali­na Bacher

Den Bezie­hun­gen zwi­schen Ärz­ten und Pati­en­ten liegt seit jeher eine hier­ar­chi­sche Ord­nung zugrun­de. Dank einer lang­jäh­ri­gen Aus­bil­dung ver­fü­gen Ärz­te über detail­lier­tes Fach­wis­sen gegen­über Pati­en­ten, wel­ches ihnen auch auf­grund schwer­wie­gen­der Dia­gno­sen nicht immer zuge­mu­tet wer­den kann. Ein Modell im Wan­del: die Bezie­hung zwi­schen Arzt und Pati­ent wird immer mehr zum Modell des Shared-Decis­i­on-Making, das von bei­den Sei­ten eine akti­ve Betei­li­gung for­dert. Wie wird die­ser Ansatz im heu­ti­gen Kli­nik­all­tag gelebt? Vor wel­chen Chan­cen und Her­aus­for­de­run­gen steht eine Ärz­tin, wenn sie selbst eine schwe­re Dia­gno­se bekommt? Ali­na Bacher spricht über die­se Fra­gen aus zwei Per­spek­ti­ven – als Ärz­tin und Brustkrebspatientin. 

Ali­na Bacher als Ärz­tin. Foto: Ali­na Bacher

Schwie­ri­ge Nach­rich­ten an Pati­en­ten über­brin­gen, gehört das zu dei­nem All­tag als Anästhesistin? 

Als Anäs­the­sis­tin im OP muss ich prak­tisch über­haupt kei­ne schwie­ri­gen Nach­rich­ten über­brin­gen, auf der Inten­siv­sta­ti­on dage­gen täg­lich. Ich ver­su­che die­se Gesprä­che so gut es geht zu meis­tern. Oft möch­te ich gern mehr leis­ten, als ich tat­säch­lich kann, was dem Zeit­druck und der tages­ak­tu­el­len Beset­zung auf Sta­ti­on geschul­det ist. Bei schwie­ri­gen Gesprä­chen schal­te ich immer, wenn mög­lich, mein Dienst­te­le­fon aus, buche einen sepa­ra­ten Raum und neh­me mir Zeit für die Pati­en­ten oder Ange­hö­ri­gen. Wirk­lich geschult wur­den wir dar­in aber nicht, wenn­gleich ich auch noch viel in die­sem Bereich ler­nen möchte. 

Ich lief in das Brust­krebs­zen­trum und woll­te sofort mit einer Ärz­tin spre­chen, aber da bekam ich bereits nicht mehr viel mit. Ich frag­te mich, war­um ich? Ich habe nicht getrun­ken, nie geraucht. 

Ali­na Bacher

Nimmst du eine Hier­ar­chie zwi­schen dir, als Ärz­tin, und dei­nen Pati­en­ten war? 

Ich fin­de grund­sätz­lich begeg­net man sich als Men­schen auf Augen­hö­he und natür­lich besteht ein Kom­pe­tenz­un­ter­schied. Es wäre auch sehr trau­rig, wenn da kein Wis­sens­ge­fäl­le besteht. Ich möch­te das auch kei­nem Pati­en­ten zumu­ten, dass er 1500 Sei­ten goo­geln muss, um mir sei­ne Dia­gno­se vor­zu­le­gen, damit er sich dann als mün­di­ger Pati­ent fühlt. 

Was bedeu­tet für dich Mün­dig­keit in der Arzt-Patienten-Beziehung? 

Für mich bedeu­tet Mün­dig­keit, dass wir gemein­sam The­ra­pie­ent­schei­dun­gen tref­fen kön­nen. Das bedeu­tet, dass ich mit mei­nem Wis­sen, das ich mir über Jah­re im Beruf und Stu­di­um ange­eig­net habe, die Pati­en­ten bei der The­ra­pie­ent­schei­dung beglei­te und wir gemein­sam, inso­fern sie das möch­ten, eine Ent­schei­dung tref­fen. Auf der ande­ren Sei­te hat­te ich aber auch vie­le Pati­en­ten, denen die akti­ve Ent­schei­dung zu viel ist und sie die­se gern an mich als Ärz­tin abge­ben. Auch die­se Ver­ant­wor­tung tra­ge ich, zu dem Pro­zent­teil, den mir der Pati­ent ger­ne abge­ben möchte. 

Ich habe jetzt 16 Zyklen Che­mo­the­ra­pie hin­ter mir und die Ope­ra­ti­on, im Okto­ber folgt noch die Bestrah­lung. Ich dach­te ich wäre glück­li­cher, wenn die­ses gan­ze Mons­ter an The­ra­pie geschafft ist. Doch wäh­rend der Che­mo habe ich die Dia­gno­se nicht rea­li­siert. Ich war jede Woche zu die­ser Che­mo und habe ver­sucht, das mir nicht übel wird, hab ver­sucht Sport zu machen. 

Ali­na Bacher

Wel­che Vor­tei­le im Rah­men dei­ner The­ra­pie erga­ben sich, dadurch das du selbst Ärz­tin bist? 

Einer­seits liegt der Berg an krank­heits­spe­zi­fi­schem Fach­wis­sen, der als neu dia­gnos­ti­zier­ter Pati­ent bewäl­tigt wer­den muss, schon hin­ter einem, was einem ein gan­zes Stück Arbeit abnimmt. Ande­rer­seits kann man Infor­ma­tio­nen noch mal bes­ser ein­ord­nen. Auch im Bereich der The­ra­pie­ent­schei­dung half mir mein Hin­ter­grund­wis­sen und die Inter­pre­ta­ti­on von OP-Zah­len sowie OP-Ergeb­nis­sen, um eine mün­di­ge Ent­schei­dung für eine der Kli­ni­ken zutref­fen, in der ich mich ope­rie­ren las­sen wollte.

Ich ver­su­che die Dia­gno­se in mein Leben zu inte­grie­ren, aber von immer gesund zu Brust­krebs ist schon ein ziem­lich gro­ßer Schritt. Man kommt doch zu einem ande­ren Leben zurück. Ich mag mei­ne Arbeit und freue mich bald wie­der arbei­ten zu dür­fen, aber es lässt sich nicht auf­he­ben in Zeit, mit der Fami­lie und Freunden. 

Ali­na Bacher
Ali­na Bacher bei der Che­mo­the­ra­pie. Foto: Ali­na Bacher

Spürst du durch dei­ne Pro­fes­si­on als Ärz­tin auch Nach­tei­le im Rah­men der Brustkrebserkrankung?

Eben das vor­her bespro­che­ne Fach­wis­sen kann einem auch zum Ver­häng­nis wer­den. Wenn zum Bei­spiel der Arzt über die Tumor­bio­lo­gie spricht, dann denkt der Laie, okay, da habe ich kei­ne Ahnung. Aber ich per­sön­lich habe dann ange­fan­gen alles zu hin­ter­fra­gen und dar­über nach­zu­den­ken, wel­chen Ein­fluss das auf den eige­nen­Or­ga­nis­mus, auf das eige­ne Über­le­ben hat. Die­ses Hin­ter­fra­gen ist wahn­sin­nig anstren­gend. Zudem kos­tet es Über­win­dung sich selbst in ande­re Hän­de zu geben. Es gibt Gesprä­che, da sit­ze ich am ande­ren Ende des Tisches und der mir gegen­über hält mich für den abso­lu­ten Fach­mann. Ich selbst weiß aber um mei­ne eige­ne Mensch­lich­keit und dass ich Feh­ler machen kann. So sehe ich in den Ärz­ten, die mir gegen­über­sit­zen, auch die Men­schen dahinter. 

Wel­chen Her­aus­for­de­run­gen stan­dest du gegen­über, als du als Ärz­tin selbst zur Pati­en­tin wirst? 

Neben dem Ver­trau­en ist das schwie­rigs­te für mich die Dop­pel­rol­le, die ich manch­mal unter­schwel­lig in Gesprä­chen mit mich behan­deln­den Ärz­ten erleb­te. In die­sem Gespräch kam häu­fig unter­be­wusst bei mir an, dass ich mich selbst um mei­ne The­ra­pie und mich küm­mern müss­te. Nach mei­ner ers­ten Che­mo, nach der es mir wirk­lich schlecht ging, rief ich in der Che­mo­am­bu­lanz an und bat um Hil­fe. Sie wie­sen mich ab, mit der Begrün­dung, dass ich selbst Ärz­tin sei und mich um mei­ne Übel­keit allein küm­mern könn­te. Erst als ich die Pra­xis wech­sel­te, lern­te ich wirk­lich nur Pati­en­tin zu sein. 

Nach der Dia­gno­se fühlt es sich an als hät­te dir jemand den Zau­ber genom­men. 90 Pro­zent der Men­schen lau­fen die­ser Kon­troll­il­lu­si­on hin­ter­her, die eige­ne End­lich­keit kon­trol­lie­ren oder aus­blen­den zu kön­nen, mir hat man die­se Illu­si­on genom­men. Ich habe frü­her alles durch­ge­plant und heu­te fällt es mir schwer über­haupt zu pla­nen in Tagen, Monaten… 

Ali­na Bacher

Was wür­dest du Men­schen mit auf den Weg geben, die eine schwe­re Krank­heits­dia­gno­se bekom­men haben?

Wir müs­sen offen ins Gespräch gehen, über die Aggres­si­vi­tät, von der vor allem jun­ge Frau­en betrof­fen sind und die damit eng ver­bun­de­nen The­men Tod und Ster­ben ent­ta­bui­sie­ren. Das ist wich­tig, damit Men­schen mit schwe­ren Dia­gno­sen, die­sen 100%-Kämpfermodus, den man von den Medi­en vor­ge­gau­kelt bekommt, able­gen kön­nen und wis­sen, dass muss man nicht allein schaf­fen. Das ist es, was mir auch selbst gehol­fen hat sich ein­zu­ge­ste­hen, dass man die­se Rie­sen­last nicht allein tra­gen muss. Offen sein, mit sich, sei­nen Freun­den, der Fami­lie und Gefüh­le und Ängs­te zulas­sen und kom­mu­ni­zie­ren. Gehol­fen hat mir auch die pro­fes­sio­nel­le Unter­stüt­zung eines Psy­cho­on­ko­lo­gen, der mich auch heu­te noch beglei­tet, um die Dia­gno­se zu ver­ar­bei­ten und eine gute Inte­gra­ti­on der Erkran­kung in mein Leben zu erreichen.