Vom Lehrstuhl in den Bürgermeistersessel
Einschneidendes Zahlenspiel
Heute wäre das Leben von Hans-Peter Reck ein anderes, wenn es den Abend des 27. Oktober 2019 nicht gegeben hätte. Zusammen mit Familie und Freunden stand er im Rathaus der Gemeinde Steinhausen an der Rottum und wartete. Und irgendwann war klar: 68,4 Prozent der Stimmen brachten ihm den Wahlsieg ein. Das Zahlenglück lag auf seiner Seite. Hans-Peter Reck wurde Bürgermeister.
Mit Zahlen hatte der 39-Jährige schon vor diesem Wahlabend viel zu tun. Erst als Studierender der Mathematik, dann als Doktorand und später als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Alles an der Universität Ulm. Er hielt Vorlesungen zur elementaren Primzahltheorie, machte seine Doktorarbeit zu Exponentialsummen mit der Möbiusfunktion und beschäftigte sich mit Linearer Algebra. Zahlen hier, Funktionen dort. Berechnungen sind eine Pflichtaufgabe.
Und nun ist eine Gemeinde sein neues berufliches Zuhause. Die Ausstattung des Kindergartens, die Straßenbeschilderung hier, ein Bauantrag dort. Gespräche über Belange von Bürgern sind eine Pflichtaufgabe. Aktuell steht das gemeinsame Feuerwehrhaus für alle Ortsteile in der Planung, Reck muss sich um den Breitbandausbau kümmern und die Ansiedlung von Gewerbe. Ein ganz anderes Aufgabenfeld als das eines Mathematikers. Und trotzdem bekommt man bei einem Gespräch mit ihm schnell das Gefühl, dass er als Bürgermeister voll in seinem Element ist.
Statt Zahlen, Theorien und Berechnungen geht es jetzt um das Ganze. In der Gemeinde kommt alles zusammen. „Hier geht es um die ganze Bandbreite des menschlichen Lebens“., sagt er. Egal ob Technisches, Medizinisches, Zwischenmenschliches. Reck stößt in der Kommune auf Probleme, die die Menschen bewegen und die er als Bürgermeister lösen muss. „Die Gemeinden sind der eigentliche Ort der Wahrheit, weil sie der Ort der Wirklichkeit sind.“
Kommunalpolitik ist Leidenschaft
Aber auch wegen seiner Leidenschaft zur Kommunalpolitik, sagt Reck. „Die Leidenschaft kommt wahrscheinlich aus der schwierigen Vergangenheit, die meine Heimatstadt Aulendorf hatte.“ Reck warf einen Blick auf die Zahlen im Gemeindehaushalt. Lange sei sie die am höchsten verschuldete Gemeinde Baden-Württembergs gewesen. Reck wollte sich engagieren und zog in den Gemeinderat ein. „Da konnte ich jetzt 15 Jahre dran mitwirken, habe da sicherlich auch viel durchdrungen, Dinge kennengelernt, die mir bei der Arbeit als Bürgermeister jetzt sehr hilfreich sind“, sagt er. „Heute ist Aulendorf nicht mehr die am höchsten verschuldete Gemeinde Baden-Württembergs.“ Das Zahlenglück schlug wieder zu.
Doch auch bei seiner Tätigkeit als Bürgermeister kommt dem Altstipendiaten Reck die mathematische Universitäts-Vergangenheit zugute. An der Uni heißt es Vorlesungen halten, dafür Inhalte Vortragen, mit Studierenden in die Diskussion gehen, Fragen beantworten. Schlussendlich folgt die Nachbereitung. Reck vergleicht das Prozedere mit den Gemeinderatsitzungen, für die er nun verantwortlich ist. Wie viel Mathematiker immer noch im Bürgermeister steckt? Sicher viel, sagt er. Seine Sekundärfähigkeiten, die Mathematiker erwerben, kämen ihm jetzt zusätzlich im Amt zugute.
„Das logische Denken, das Abstraktionsvermögen, die Fähigkeit, Probleme zu erkennen, sie in einzelne, kleinere Probleme aufzuteilen, diese wiederum zu lösen. Das Ganze wieder zusammensetzten und schlussendlich auch eine gehörige Frustrationstoleranz.“
Hans-Peter Reck
Das war auch schon während seines Mathematikstudium so. Von 2004 bis 2007 war Reck Stipendiat. Er knüpfte Kontakte, die bis heute halten. Und so mancher ist dabei, der heute – ähnlich wie Reck – im Sessel des Bürgermeisters oder Landrat sitzt.
Das Bürgermeistersein ist mittlerweile Teil des Lebens von Hans-Peter Reck geworden. Denn Abschalten vom Job ist für ein Gemeindeoberhaupt kaum möglich. „Bürgermeister ist man rund um die Uhr“, sagt er. Auch am Abend und am Wochenende. Freitag, Samstag und auch Sonntag. Zwei Termine, jeden Tag waren es an einem Wochenende Anfang September. „Da gibt es dann auch keine Wahl zu sagen ‚ich gehe da hin oder ich gehe da nicht hin‘. Das ist dann eben Teil des Amtsgeschäftes.“ Zeit, die man nicht mit der Familie allein hat.
Doch Reck und seine Lebensgefährtin haben sich erst nach seiner Wahl zum Bürgermeister kennengelernt. Manchmal komme sie auch mit auf Termine, sagt er. Privat ist der volle Terminplan von Bürgermeister Reck kein Problem. Denn seine Freundin wusste das von Anfang an. „Das war klar, das ist Bürgermeisterleben“, sagt Reck.
Bis mindestens 2028 bleibt Hans-Peter Reck Bürgermeister. Dann steht die neue Wahlperiode an. Eine Welt ohne Kommunalpolitik? Für Reck unvorstellbar. Gemeinden, so sagt er, wären dann „kein Ort der Wirklichkeit mehr“.
Zwei Welten
Die Kommunalwahlen in Bayern und Baden-Württemberg unterscheiden sich deutlich. Ein kurzer Vergleich.