Kranz für die Aussegnungsfeier
Kranz für die Aussegnungsfeier (Foto: Julia Schneider)

R.P.P. - Requiescant post Präpkurs

Vom ersten Moment im Präpsaal bis zum Abschied auf dem Friedhof

Veröffentlicht am 7. Oktober 2024 von Julia Schneider

Am Grab eines Men­schen zu ste­hen, den man gar nicht kann­te und des­sen Name man nur ein­mal auf der Beer­di­gung hör­te, und trotz­dem emo­tio­nal ergrif­fen davon zu sein, ist eine Situa­ti­on, die einem nicht all­täg­lich wider­fährt. Trotz­dem habe ich es erlebt. Doch wie kam es zu die­ser Situation?

Alles begann im Win­ter­se­mes­ter 2022, dem drit­ten Semes­ter mei­nes Medi­zin­stu­di­ums. Für mich und mei­ne Kom­mi­li­to­nen war es ein beson­de­res Semes­ter, denn Ana­to­mie stand end­lich auf dem Stun­den­plan und damit auch der soge­nann­te „Präp­kurs“, in dem man die mensch­li­che Ana­to­mie anhand des Sezie­rens von Kör­per­spen­dern – also Ver­stor­be­nen, die sich nach ihrem Able­ben der Wis­sen­schaft zur Ver­fü­gung gestellt hat­ten – lernt.

So betra­ten wir am ers­ten Prä­pa­rier­tag alle ganz auf­ge­regt den Präp­saal. Einer­seits neu­gie­rig dar­auf, was uns erwar­ten wür­de, ande­rer­seits aber auch mit einem mul­mi­gen Gefühl, da man­che von uns gleich zum ers­ten Mal einen toten Men­schen sehen und dar­über hin­aus auch das ers­te Mal mit einem Skal­pell han­tie­ren wür­den. Wir began­nen, die Kör­per­spen­der, wel­che zuvor in Form­alde­hyd-getränk­te Tücher gewi­ckelt waren, abzu­de­cken und uns an deren pup­pen­haf­ten Anblick zu gewöh­nen. Dar­auf­hin folg­te ein ers­tes Berüh­ren – und wir fin­gen noch am sel­ben Tag mit dem Abprä­pa­rie­ren der Haut an. In den dar­auf­fol­gen­den Wochen leg­ten wir immer mehr Struk­tu­ren des Kör­pers frei, um unser Wis­sen über die Ana­to­mie des Men­schen so genau wie mög­lich zu vertiefen.

Sicher­lich fragt sich der eine oder die ande­re nun, was seit dem Able­ben des Spen­ders mit des­sen Kör­per pas­siert ist. Tat­säch­lich liegt der Tod des Men­schen beim Beginn des Präp­kur­ses schon ein bis zwei Jah­re zurück. In die­ser Zeit wur­de der Kör­per prä­pa­riert und kon­ser­viert – also mit Form­alde­hyd halt­bar gemacht, indem die Blut­ge­fä­ße damit durch­spült wur­den und somit sämt­li­che Kei­me abge­tö­tet sowie Fäul­nis ver­hin­dert wur­den. Auch Klei­dung, Kopf­haar und Schmuck wur­de ent­fernt, sodass wir Stu­die­ren­den dem Ver­stor­be­nen zuerst als sehr anonym und pup­pen­haft wir­ken­den Kör­per begegneten.

Das änder­te sich dann zu Beginn des nächs­ten Semes­ters, in dem eine Trau­er­fei­er für die Kör­per­spen­der anstand. Ihre sterb­li­chen Über­res­te waren zuvor schon ein­ge­äschert und in einem gro­ßen Grab bei­gesetzt wor­den. Die Trau­er­fei­er selbst soll­te also vor allem den Ange­hö­ri­gen, aber auch den Stu­die­ren­den dazu die­nen, Abschied zu nehmen.

Die gan­ze Ver­an­stal­tung wur­de dabei von den Teil­neh­mern des Präp­kur­ses selbst orga­ni­siert. Zur musi­ka­li­schen Unter­ma­lung grün­de­ten sich ein Streich­or­ches­ter sowie ein Chor, wei­te­re Stu­die­ren­de küm­mer­ten sich um Ker­zen, wie­der ande­re um den Blu­men­schmuck. Ich enga­gier­te mich dabei unter ande­rem in der Blu­men­grup­pe. Deren Auf­ga­be bestand dar­in, Ange­bo­te für Geste­cke und einen gro­ßen Kranz ein­zu­ho­len, zu ver­glei­chen und schließ­lich zu bestel­len. Wei­ter­hin soll­ten beim Gang zum Grab Blu­men an Ange­hö­ri­ge und Stu­die­ren­de aus­ge­ge­ben wer­den, um die­se beim Abschied­neh­men dort niederzulegen.

Am zwei­ten Tag des vier­ten Semes­ters war es schließ­lich so weit: Etwa 500 Leu­te kamen zusam­men, um in der klei­nen Fried­hofs­ka­pel­le und auf dem Platz dahin­ter den Wor­ten des Pfar­rers und der Stu­die­ren­den zu lau­schen, wel­che in ihren Reden vor allem Dank­bar­keit und Respekt gegen­über den Kör­per­spen­dern aus­drück­ten. Musi­ka­lisch unter­malt wur­de das Gan­ze vom Streich­or­ches­ter und dem Chor. Spä­ter wur­den dann die Namen der Per­so­nen, die ihren Kör­per der Wis­sen­schaft gespen­det hat­ten, ver­le­sen und für jede ein­zel­ne wur­de eine Ker­ze ange­zün­det. Anschlie­ßend begab sich ein lan­ger Trau­er­zug von der Kapel­le zum Grab, um dort – jeder auf sei­ne eige­ne Art und Wei­se – Abschied zu neh­men. Man­che schwelg­ten in Erin­ne­rung, man­che wein­ten, ande­re lach­ten. Eine Fami­lie lief über die Wie­se hin­ter dem Grab und streu­te Rosen­blät­ter, ande­re such­ten das Gespräch mit den Stu­die­ren­den. Beson­ders emo­tio­nal ergriff mich die Erzäh­lung einer älte­ren Dame, die einer Kom­mi­li­to­nin mit­teil­te, dass das Lied, das gera­de am Grab gespielt wur­de, auch an der Hoch­zeit mit ihrem Mann – einem der Kör­per­spen­der – gespielt wor­den war und deren Lie­be somit mit dem glei­chen Lied ende­te, wie sie ange­fan­gen hatte.

Rück­bli­ckend waren der Präp­kurs und vor allem die Bei­set­zung danach eine sehr prä­gen­de und ein­zig­ar­ti­ge Erfah­rung. Der Tag und somit auch der Präp­kurs ende­ten schließ­lich noch bei einer Art „Lei­chen­schmaus“, einem Zusam­men­sein bei Kaf­fee und Kuchen, bei dem die Mög­lich­keit bestand, sich mit den Ange­hö­ri­gen aus­zu­tau­schen und mehr über das Leben der Per­so­nen zu erfah­ren, von denen wir selbst nur noch den Kör­per ken­nen­ge­lernt hatten.