Computerlinguistik: Annerose Eichel
Die Plausibilitäts-Prüferin
„Annerose Eichel ist Doktorandin am Institut für maschinelle Sprachverarbeitung der Universität Stuttgart“. Klingt plausibel, oder? Wie sieht es mit folgendem Satz aus: „Ihre Doktormutter isst gerne Dissertationen“? Dies fällt unserem menschlichen Gehirn intuitiv als eine unplausible Aussage auf. Im Rahmen ihrer Forschung untersucht Annerose, wie derartige Unterschiede mithilfe von Computern und KI-Modellen festgestellt werden können. Wie sie dabei vorgeht und welche Rolle ihrer Doktormutter im Promotionsprozess wirklich zukommt, schildert sie in unserem Interview.
Stell dir vor, wir träfen uns auf Kloster Banz beim Mittagessen im Rahmen eines Seminars. Was würdest du über dich erzählen?
Du würdest wahrscheinlich bereits beim ersten Satz heraushören, dass ich nicht aus Bayern, sondern aus Baden-Württemberg komme, und zwar aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Esslingen im Großraum Stuttgart, wo ich an der Universität promoviere. Zwar bin ich bei den meisten Seminaren als Doktorandin im Bereich Informatik eher in der Unterzahl, ich genieße jedoch insbesondere den interdisziplinären Austausch im Rahmen der Promotionsförderung und den Einblick in benachbarte sowie entferntere Felder.
Was ist dein akademischer Werdegang?
Während meines Bachelorstudiums im Bereich Translationswissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz bin ich über ein Praktikum bei einem großen Autobauer der Region zum Programmieren gekommen. Das hat mich sehr fasziniert und dazu bewogen, ein Aufbaustudium im Fach Computerlinguistik sowie den entsprechenden Masterstudiengang an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen sowie der Universität Stuttgart zu absolvieren. Ich habe den ersten Teil meiner Promotion als Industriepromotion bei der Robert Bosch GmbH verbracht und habe dann vollständig an die Universität Stuttgart gewechselt.
Wie lange bist du schon in der Stiftung?
Seit August 2022.
Wann stand für dich fest, dass du promovieren willst? Wie fiel die Entscheidung für deine Doktormutter oder den Standort?
Ich hatte mich nie als typische Kandidatin für eine Promotion gesehen und war davon ausgegangen, nach dem Masterstudium in die Industrie zu gehen. Ich bin meiner jetzigen Doktormutter daher sehr dankbar dafür, dass sie mich angesprochen und ermutigt hat, mich für eine Promotion zu bewerben.
Seit wann promovierst du und welches Abgabedatum sieht dein Zeitplan vor?
Ich bin seit 2021 an der Universität Stuttgart eingeschrieben, durch Nachwuchs wird sich mein eigentliches Abgabeziel Ende 2024 jedoch etwas verzögern.
An dieser Stelle möchte ich jedoch die herausragende Unterstützung der HSS für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kind herausheben!
Du schreibst deine Dissertation über die komputationelle Modellierung von semantischer Plausibilität. Was beinhaltet dein Promotionsvorhaben?
Die Fähigkeit, plausible sprachliche Äußerungen von unplausiblen zu unterscheiden, ist eine entscheidende Komponente für das Verstehen und Generieren natürlicher Sprache.
Menschen sind intuitiv dazu in der Lage, zu erkennen, ob es sich um relativ plausible Äußerungen wie „Ein Kind isst eine Erdbeere“ oder eine eher unplausible Äußerung wie „Ein Kind isst eine Brücke“ handelt.
Annerose Eichel
Ich beschäftige mich in meiner Promotion damit, wie man plausible von unplausiblen Äußerungen mit dem Computer und KI-Modellen unterscheiden kann. Dabei interessiere ich mich besonders für Plausibilität in bestimmten Domänen wie in technischen oder politischen Texten, für den Einfluss kognitiver Aspekte, und für soziolinguistische Faktoren wie Bias in den Daten oder Modellen.
Wie berichtest du auf Partys und Familientreffen von deinem Dissertationsprojekt?
Ich möchte mir anschauen, wie gut man mit dem Computer und KI-Modellen plausible Aussagen von unplausiblen zu unterscheiden kann. Dabei ist für mich besonders interessant, ob Ansätze für allgemeine Texte auch für sehr spezielle Texte gelten oder welchen Einfluss Faktoren wie die Sprache (etwa Englisch oder Deutsch) haben. Konkret sammle und analysiere ich dafür z.B. Daten, trainiere und werte KI-Modelle aus und untersuche Fehler, um die Modelle verbessern zu können.
Wie bist du auf dein Dissertationsthema gekommen?
Zu Beginn der Promotion waren dem Thema weite Grenzen gesteckt, innerhalb derer ich durch mein erstes Forschungsprojekt die konkrete Fragestellung erarbeitet habe.
Was fasziniert dich besonders an deiner Forschung?
Mir gefällt insbesondere die Möglichkeit, sowohl Grundlagenthemen als auch anwendungsbezogene Fragestellungen zu bearbeiten und durch das Programmieren immer auch eine praktische Komponente dabeizuhaben.
Meine Projekte beziehen außerdem auch (fast) immer Menschen und ihre Meinung mit ein, z.B. im Rahmen von Datensammlungen oder Auswertungen – und das führt immer wieder zu interessanten, in die Gesellschaft eingebetteten Ergebnissen.
Wie hat sich dein Thema seit der Festlegung entwickelt, zu welchen Teilen stimmt es noch mit deiner Ausgangsidee überein, was hat sich verändert?
Meine übergeordnete Frage stimmt weiterhin mit der Ausgangsidee überein und bisher umgesetzte Teilprojekte basieren alle auf den im Exposé dargelegten Ideen. Weiterentwickelt haben sich methodische Ansätze, z.B. durch neuere Sprachmodelle oder Erfahrungswerte aus vorigen Projekten. Außerdem könnte ich mindestens nochmal so viele Projekte formulieren wie umgesetzt, da mit jeder beantworteten Frage eine neue aufkommt. 🙂
Woran arbeitest du derzeit?
Momentan arbeite ich an einem Projekt, in dem Bias bei der Vorhersage von Plausibilität erfasst werden soll. Ein simples Beispiel dafür sind die folgenden Aussagen:
- Eine junge Bewerberin ist eine potenziell produktive Mitarbeiterin.
- Eine ältere Bewerberin ist eine potenziell produktive Mitarbeiterin.
Welche Aussage würdet ihr im Vergleich mit der anderen als plausibler einstufen? Ich schaue mir hier natürlich mehrere Dimensionen an. Neben der in der maschinellen Sprachverarbeitung schon deutlich häufiger untersuchten Gender Bias interessiere ich mich vor allem für weniger bearbeitete Kategorien wie Voreingenommenheit im Blick auf bestimmte Altersgruppen, soziale Klasse, etc. Außerdem möchte ich erfahren, wie Mensch und Modell Aussagen wie das obige Beispiel bewerten.
Welche Hürden und Schwierigkeiten gibt/gab es für dich im Forschungs- oder Schreibprozess?
Es gibt manche Ideen, die sich auf dem Papier gut anhören und an der praktischen Umsetzung scheitern. Wie lange arbeitet man an etwas, was ist ein klar negatives Ergebnis und wie geht man damit um – für mich ein sehr lehrreicher Prozess, der jedoch nicht immer einfach ist.
Was motiviert dich, bei „Durststrecken“ oder Rückschlagen durchzuhalten und weiterzumachen?
Mir hat geholfen, mir bewusst zu machen, dass diese Phasen auch Teil des Doktors sind und tatsächlich fast alle durch eine solche Zeit gehen. Konkret kann es dann sehr hilfreich sein, einen Tag bzw. eine Aufgabe nach der anderen anzugehen und nicht immer die Promotion als Ganzes im Blick zu haben.
Was machst du als Ausgleich zum wissenschaftlichen Schreiben und Arbeiten?
Ich mache gerne Sport, verbringe Zeit mit der Familie oder Freunden, die nicht promovieren, oder lese Bücher (ohne jeglichen Bezug zu meinem Dissertationsthema).
Hast du schon Vorstellungen, wie es nach Abschluss der Promotion für dich weitergehen soll?
Ich bin momentan noch für alle Richtungen offen und kann mir sowohl nächste Schritte in der akademischen Welt, den Sprung in die Industrie oder staatliche Institutionen wie beispielsweise die Polizei sehr gut vorstellen.
Für deine nächsten Schritte wünschen wir dir alles Gute!