Computerlinguistik: Annerose Eichel

Die Plausibilitäts-Prüferin

Veröffentlicht am 25. Juli 2024 von Jana Paulina Lobe

„Anne­ro­se Eichel ist Dok­to­ran­din am Insti­tut für maschi­nel­le Sprach­ver­ar­bei­tung der Uni­ver­si­tät Stutt­gart“. Klingt plau­si­bel, oder? Wie sieht es mit fol­gen­dem Satz aus: „Ihre Dok­tor­mut­ter isst ger­ne Dis­ser­ta­tio­nen“? Dies fällt unse­rem mensch­li­chen Gehirn intui­tiv als eine unplau­si­ble Aus­sa­ge auf. Im Rah­men ihrer For­schung unter­sucht Anne­ro­se, wie der­ar­ti­ge Unter­schie­de mit­hil­fe von Com­pu­tern und KI-Model­len fest­ge­stellt wer­den kön­nen. Wie sie dabei vor­geht und wel­che Rol­le ihrer Dok­tor­mut­ter im Pro­mo­ti­ons­pro­zess wirk­lich zukommt, schil­dert sie in unse­rem Interview.

Stell dir vor, wir trä­fen uns auf Klos­ter Banz beim Mit­tag­essen im Rah­men eines Semi­nars. Was wür­dest du über dich erzählen?

Du wür­dest wahr­schein­lich bereits beim ers­ten Satz her­aus­hö­ren, dass ich nicht aus Bay­ern, son­dern aus Baden-Würt­tem­berg kom­me, und zwar aus einem klei­nen Dorf in der Nähe von Ess­lin­gen im Groß­raum Stutt­gart, wo ich an der Uni­ver­si­tät pro­mo­vie­re. Zwar bin ich bei den meis­ten Semi­na­ren als Dok­to­ran­din im Bereich Infor­ma­tik eher in der Unter­zahl, ich genie­ße jedoch ins­be­son­de­re den inter­dis­zi­pli­nä­ren Aus­tausch im Rah­men der Pro­mo­ti­ons­för­de­rung und den Ein­blick in benach­bar­te sowie ent­fern­te­re Felder.

Was ist dein aka­de­mi­scher Werdegang?

Wäh­rend mei­nes Bache­lor­stu­di­ums im Bereich Trans­la­ti­ons­wis­sen­schaf­ten an der Johan­nes-Guten­berg-Uni­ver­si­tät Mainz bin ich über ein Prak­ti­kum bei einem gro­ßen Auto­bau­er der Regi­on zum Pro­gram­mie­ren gekom­men. Das hat mich sehr fas­zi­niert und dazu bewo­gen, ein Auf­bau­stu­di­um im Fach Com­pu­ter­lin­gu­is­tik sowie den ent­spre­chen­den Mas­ter­stu­di­en­gang an der Eber­hard-Karls-Uni­ver­si­tät Tübin­gen sowie der Uni­ver­si­tät Stutt­gart zu absol­vie­ren. Ich habe den ers­ten Teil mei­ner Pro­mo­ti­on als Indus­trie­pro­mo­ti­on bei der Robert Bosch GmbH ver­bracht und habe dann voll­stän­dig an die Uni­ver­si­tät Stutt­gart gewechselt.

Kon­fe­renz­teil­nah­me 2023 in San Sebastian

Wie lan­ge bist du schon in der Stiftung?

Seit August 2022.

Wann stand für dich fest, dass du pro­mo­vie­ren willst? Wie fiel die Ent­schei­dung für dei­ne Dok­tor­mut­ter oder den Standort?

Ich hat­te mich nie als typi­sche Kan­di­da­tin für eine Pro­mo­ti­on gese­hen und war davon aus­ge­gan­gen, nach dem Mas­ter­stu­di­um in die Indus­trie zu gehen. Ich bin mei­ner jet­zi­gen Dok­tor­mut­ter daher sehr dank­bar dafür, dass sie mich ange­spro­chen und ermu­tigt hat, mich für eine Pro­mo­ti­on zu bewerben. 

Seit wann pro­mo­vierst du und wel­ches Abga­be­da­tum sieht dein Zeit­plan vor?

Ich bin seit 2021 an der Uni­ver­si­tät Stutt­gart ein­ge­schrie­ben, durch Nach­wuchs wird sich mein eigent­li­ches Abga­be­ziel Ende 2024 jedoch etwas verzögern.

Du schreibst dei­ne Dis­ser­ta­ti­on über die kom­pu­ta­tio­nel­le Model­lie­rung von seman­ti­scher Plau­si­bi­li­tät. Was beinhal­tet dein Promotionsvorhaben?

Die Fähig­keit, plau­si­ble sprach­li­che Äuße­run­gen von unplau­si­blen zu unter­schei­den, ist eine ent­schei­den­de Kom­po­nen­te für das Ver­ste­hen und Gene­rie­ren natür­li­cher Sprache. 

Ich beschäf­ti­ge mich in mei­ner Pro­mo­ti­on damit, wie man plau­si­ble von unplau­si­blen Äuße­run­gen mit dem Com­pu­ter und KI-Model­len unter­schei­den kann. Dabei inter­es­sie­re ich mich beson­ders für Plau­si­bi­li­tät in bestimm­ten Domä­nen wie in tech­ni­schen oder poli­ti­schen Tex­ten, für den Ein­fluss kogni­ti­ver Aspek­te, und für sozio­lin­gu­is­ti­sche Fak­to­ren wie Bias in den Daten oder Modellen.

Wie berich­test du auf Par­tys und Fami­li­en­tref­fen von dei­nem Dissertationsprojekt?

Ich möch­te mir anschau­en, wie gut man mit dem Com­pu­ter und KI-Model­len plau­si­ble Aus­sa­gen von unplau­si­blen zu unter­schei­den kann. Dabei ist für mich beson­ders inter­es­sant, ob Ansät­ze für all­ge­mei­ne Tex­te auch für sehr spe­zi­el­le Tex­te gel­ten oder wel­chen Ein­fluss Fak­to­ren wie die Spra­che (etwa Eng­lisch oder Deutsch) haben. Kon­kret samm­le und ana­ly­sie­re ich dafür z.B. Daten, trai­nie­re und wer­te KI-Model­le aus und unter­su­che Feh­ler, um die Model­le ver­bes­sern zu können.

Wie bist du auf dein Dis­ser­ta­ti­ons­the­ma gekommen?

Zu Beginn der Pro­mo­ti­on waren dem The­ma wei­te Gren­zen gesteckt, inner­halb derer ich durch mein ers­tes For­schungs­pro­jekt die kon­kre­te Fra­ge­stel­lung erar­bei­tet habe.

Was fas­zi­niert dich beson­ders an dei­ner Forschung?

Mir gefällt ins­be­son­de­re die Mög­lich­keit, sowohl Grund­la­gen­the­men als auch anwen­dungs­be­zo­ge­ne Fra­ge­stel­lun­gen zu bear­bei­ten und durch das Pro­gram­mie­ren immer auch eine prak­ti­sche Kom­po­nen­te dabeizuhaben. 

Mei­ne Pro­jek­te bezie­hen außer­dem auch (fast) immer Men­schen und ihre Mei­nung mit ein, z.B. im Rah­men von Daten­samm­lun­gen oder Aus­wer­tun­gen – und das führt immer wie­der zu inter­es­san­ten, in die Gesell­schaft ein­ge­bet­te­ten Ergebnissen.

Wie hat sich dein The­ma seit der Fest­le­gung ent­wi­ckelt, zu wel­chen Tei­len stimmt es noch mit dei­ner Aus­gangs­idee über­ein, was hat sich verändert?

Mei­ne über­ge­ord­ne­te Fra­ge stimmt wei­ter­hin mit der Aus­gangs­idee über­ein und bis­her umge­setz­te Teil­pro­jek­te basie­ren alle auf den im Expo­sé dar­ge­leg­ten Ideen. Wei­ter­ent­wi­ckelt haben sich metho­di­sche Ansät­ze, z.B. durch neue­re Sprach­mo­del­le oder Erfah­rungs­wer­te aus vori­gen Pro­jek­ten. Außer­dem könn­te ich min­des­tens noch­mal so vie­le Pro­jek­te for­mu­lie­ren wie umge­setzt, da mit jeder beant­wor­te­ten Fra­ge eine neue aufkommt. 🙂 

Wor­an arbei­test du derzeit?

Momen­tan arbei­te ich an einem Pro­jekt, in dem Bias bei der Vor­her­sa­ge von Plau­si­bi­li­tät erfasst wer­den soll. Ein simp­les Bei­spiel dafür sind die fol­gen­den Aussagen:

  1. Eine jun­ge Bewer­be­rin ist eine poten­zi­ell pro­duk­ti­ve Mitarbeiterin.
  2. Eine älte­re Bewer­be­rin ist eine poten­zi­ell pro­duk­ti­ve Mitarbeiterin.

Wel­che Aus­sa­ge wür­det ihr im Ver­gleich mit der ande­ren als plau­si­bler ein­stu­fen? Ich schaue mir hier natür­lich meh­re­re Dimen­sio­nen an. Neben der in der maschi­nel­len Sprach­ver­ar­bei­tung schon deut­lich häu­fi­ger unter­such­ten Gen­der Bias inter­es­sie­re ich mich vor allem für weni­ger bear­bei­te­te Kate­go­rien wie Vor­ein­ge­nom­men­heit im Blick auf bestimm­te Alters­grup­pen, sozia­le Klas­se, etc. Außer­dem möch­te ich erfah­ren, wie Mensch und Modell Aus­sa­gen wie das obi­ge Bei­spiel bewerten.

Anne­ro­ses For­schungs­grup­pe an der Uni­ver­si­tät Stuttgart

Wel­che Hür­den und Schwie­rig­kei­ten gibt/gab es für dich im For­schungs- oder Schreibprozess?

Es gibt man­che Ideen, die sich auf dem Papier gut anhö­ren und an der prak­ti­schen Umset­zung schei­tern. Wie lan­ge arbei­tet man an etwas, was ist ein klar nega­ti­ves Ergeb­nis und wie geht man damit um – für mich ein sehr lehr­rei­cher Pro­zess, der jedoch nicht immer ein­fach ist.

Was moti­viert dich, bei „Durst­stre­cken“ oder Rück­schla­gen durch­zu­hal­ten und weiterzumachen?

Mir hat gehol­fen, mir bewusst zu machen, dass die­se Pha­sen auch Teil des Dok­tors sind und tat­säch­lich fast alle durch eine sol­che Zeit gehen. Kon­kret kann es dann sehr hilf­reich sein, einen Tag bzw. eine Auf­ga­be nach der ande­ren anzu­ge­hen und nicht immer die Pro­mo­ti­on als Gan­zes im Blick zu haben.

Anne­ro­se beim Wan­dern auf dem Heil­bron­ner Weg

Was machst du als Aus­gleich zum wis­sen­schaft­li­chen Schrei­ben und Arbeiten?

Ich mache ger­ne Sport, ver­brin­ge Zeit mit der Fami­lie oder Freun­den, die nicht pro­mo­vie­ren, oder lese Bücher (ohne jeg­li­chen Bezug zu mei­nem Dissertationsthema).

Hast du schon Vor­stel­lun­gen, wie es nach Abschluss der Pro­mo­ti­on für dich wei­ter­ge­hen soll?

Ich bin momen­tan noch für alle Rich­tun­gen offen und kann mir sowohl nächs­te Schrit­te in der aka­de­mi­schen Welt, den Sprung in die Indus­trie oder staat­li­che Insti­tu­tio­nen wie bei­spiels­wei­se die Poli­zei sehr gut vorstellen.