Studienfahrt nach Luxemburg
Transformation oder Regression?
Die Hochschulgruppe „Interregional 01“, die sich sonst immer online trifft, hat einmal im Jahr ein Präsenztreffen. Ende Februar 2024 ging es nach Luxemburg. Die kleinen „Zoom“-Kästchen wurden also endlich mal wieder in echte Gesichter umgetauscht. Was folgte, war ein Wochenende voller Begegnungen, Diskussionen und Kontroversen. Alles unter dem Motto Nachhaltigkeit. Gar nicht so einfach …
Zwischen Nicht-Nachhaltigkeit und Herzensangelegenheit
Die Anreise stellte für einige, die in anderen Ländern studieren, die erste Herausforderung dar, denn dass das Flugzeug kein nachhaltiges Verkehrsmittel ist, ist wohl bei jedem mittlerweile angekommen. Doch in manchen Fällen war es nicht anders möglich. Mit einem Vortrag des Vertrauensdozenten Thorsten Philipp wurde die Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft kritisch hinterfragt und es wurde diskutiert, ob das Einzige, was nachhaltig ist, die Nicht-Nachhaltigkeit ist. Denn auch wenn jede/r über den Klimawandel und die Brisanz des Themas Bescheid weiß, scheint die Implementierung von einem nachhaltigen Leben einer/eines jeden Einzelnen utopisch und für manche gar als gefährliche Einschränkung ihrer Freiheit zu sein.
Wieso das Land Luxemburg als Destination ausgewählt wurde? Weil es ein kleines Land mit großem Impact ist? Wahrscheinlich, ja. Das Land spielt trotz seiner kleinen Größe eine große globale Rolle, allein schon deshalb, weil es internationale Organisationen wie beispielsweise den Europäischen Gerichtshof beherbergt. Wenn Klimaschutz eine Herzensangelegenheit des Großherzogtums ist, so wie es heißt, sollte man meinen, dass das Land als oberstes Gebot Nachhaltigkeit hat. Das Image vermittelt zumindest den Anschein. Kostenloser ÖPNV, Windräder am Horizont und ein Stadtbild in Luxemburg selbst, was ein Auge für Natur vermuten lässt (siehe Foto).
Doch der Schein trügt leider, denn der große Impact eines kleinen Landes ist auch im Bereich der Emissionen groß. Der „Erdüberlastungstag“ ist hier nämlich bereits am 20. Februar erreicht, so früh wie in keinem anderen EU-Land. Dennoch wird auf unterschiedlicher Ebene der Klimawandel mit einbezogen und versucht, Lösungen technologischer Art zu finden.
Der Wein hat Stress
Ein Besuch des Weinbauinstituts Viti-Vinicole, welches 1925 aufgrund von Pilzkrankheiten und Schädlingen ins Leben gerufen wurde, ist in staatlicher Hand. Eine der Aufgaben ist die Forschung am nachhaltigen Weinbau. Das Institut ist die Schnittstelle zwischen Winzer und Forschung. Hier wird an schädlingsresistenten Sorten geforscht und versucht, möglichst wetterresistente Pflanzen zu züchten. Um 1855 kamen Pilzkrankheiten wie Peronospora und Oidium aus Amerika nach Europa. Durch die Globalisierung werden solche Phänomene immer größer. So muss sich das Institut beispielsweise vermehrt auch gegen invasive Arten wie die asiatische Hornisse wappnen.
Die Arbeit im Institut ist oft sehr mühsam, so musste Mareike Schultz, die seit neun Jahren bei Viti-Vinicole arbeitet, anfangs die Wetterdaten der vergangenen 50 Jahre auswerten, um Rückschlüsse auf die Auswirkungen auf die Rebsorten zu bekommen.
Ein Wandel und ein Umdenken müssen stattfinden, dennoch sagt Mareike Schultz (hier im Bild zusammen mit Christopher Simon): „Ich bin mir relativ sicher, dass die traditionellen Sorten nicht wegfallen, sondern sich anpassen.“ Der Riesling sei vergleichsweise stabil. Dennoch stehen Schultz und ihr Team vor Herausforderungen wie Trockenstress, Sonnenbrand, Hochwasser, Pflanzenschutz, Regularien und vielen weiteren. Ob in Zukunft Roboter Infektionen frühzeitig erkennen und bekämpfen können, bleibt abzuwarten.
Was man aber als Weinliebhaber beim Kauf tun kann, ist beispielsweise auf ein AOP-Siegel zu achten, oder auf das deutsche Pendant VDP. Damit wird sichergestellt, dass die Weine staatlich kontrolliert wurden.
Luxemburg ist Autoland
Auch der Besuch im Verkehrsministerium stand unter dem Motto „Transformation und Regression“, wie nachhaltig kann der luxemburgische Verkehr sein?
In Luxemburg gibt es, nach den arabischen Emiraten, die meisten Autos pro Einwohner, erzählt Christophe Reuter, Regierungsberater im Ministerium für Mobilität und öffentliche Arbeiten. Dass das nicht nachhaltig ist, liegt auf der Hand. Denn obwohl in Luxemburg der ÖPNV seit 2020 kostenlos ist, werden 40 % der Emissionen allein durch den Verkehr verursacht. „Das Verkehrsmittel ist nachher nur die Verpackung“, so Reuter, doch das scheint die Luxemburger nur schwer von ihren geliebten Autos wegzubringen, Luxemburg gilt traditionell als Auto-Land.
Auch der sogenannte „Tanktourismus“, der stattfindet, weil die Spritpreise in Luxemburg deutlich niedriger sind als in den Nachbarländern, beträgt acht Prozent des Staatshaushaltes. Vielleicht sollten sich die Luxemburger da etwas von den deutschen Spritpreisen abschauen, und wir uns von dem kostenlosen ÖPNV. Schließlich gibt Luxemburg im Jahr 600 Euro pro Einwohner für neue Bahnstrecken aus, Deutschland lediglich 70 Euro. Jedoch muss der Wandel gemeinsam stattfinden und sich an die Bürger richten. „Politik ist eigentlich Geschichten erzählen“, so Reuter. „Man muss die Menschen dort abholen, wo sie stehen.“
Doch auch wenn das Land die längste Fahrradbrücke außerhalb von China hat und mit einem Fahrradlift lockt, um die beträchtlichen Höhenunterschiede in der Stadt zu überwinden, gibt es immer noch Staus, soweit das Auge reicht. Im Zuge dessen scheint das Net-Zero-Ziel noch in weiter Ferne. Doch Reuter, der Bauingenieurwesen studierte, ist zuversichtlich: „Man kann den Autoverkehr stoppen, indem man ihm die Parkplätze wegnimmt.“ Das ist bestimmt ein guter Ansatz, ebenso wie der alle zwei Jahre stattfindende internationale Kongress zur Mobilitätsplanung. Nichtsdestotrotz muss der Wandel schneller kommen, nicht nur in Luxemburg, sondern weltweit. Und was gibt es Sinnvolleres, als sich mit anderen Ländern auszutauschen, zu diskutieren und neue Denkansätze zu implementieren. Die Stipendiaten der Hochschulgruppe „Interregional 01“ haben genau das versucht.
Erst nach(haltig)denken, dann Häusle bauen
Das Wochenende war nicht nur auf den staatlichen Sektor fokussiert. Auch mit privatwirtschaftlichen Akteur/innen, wie beispielsweise Deloitte, wurde in einen Dialog getreten. Wie nachhaltig Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen wirklich sind, blieb Firmengeheimnis. Für viele Kontroversen sorgte auch der Besuch eines „earthships“, bei dem Dr. Katy Fox das Pilotprojekt eines nachhaltigen „low tech“ Hauses vorstellte. Dieses soll andere motivieren, Teile des Hauses zu adaptieren, und ein Umdenken in der herkömmlichen Gebäudeplanung bewirken. Wiederverwendung, Ressourcen sparen und Menschen zusammenbringen, das scheint das Motto des „Äerdschëff“ zu sein. Auch wenn die Umsetzung seit der Planung zehn Jahre gedauert hat und insgesamt rund 1,5 Millionen Euro kostete, ist es ein Vorreiter, der zeigen soll, dass ein Wandel in der Baubranche zu mehr Nachhaltigkeit möglich ist. Wasserkreislaufsysteme, Solarpanels auf dem Dach, Haus im Haus, Wiederverwertung von Materialien, alte Autoreifen als Dämmwände oder eigene Bananenbäume anbauen. All das regt zum Nachdenken an – und das soll es auch. Die Wirkung ist also erzielt. Zumindest bei uns.
Fazit
Das Exkursionswochenende hat nicht nur mit den Redner/innen der besuchten Institutionen für Diskussionen gesorgt, sondern auch untereinander. Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Ängste und technologische Ansätze. Individuelle und kollektive Verantwortung. Nachhaltigkeit in einer kapitalistischen Gesellschaft. All das wird uns auch weit über das Wochenende hinweg begleiten. Es wird nicht das einzige Seminar mit Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit gewesen sein und wir freuen uns jetzt schon auf die Exkursion im nächsten Jahr. Wo es dann hingeht, ist noch in Planung.