Zwei Stipendiaten beim Weltjugendtag
Wenig Schlaf, viele Begegnungen
Franziska reibt sich die Augen. Das Schlafdefizit, das sie in den letzten Tagen aufgebaut hat, hätte sie gerade etwas ausgleichen können. Hätte. Würden da nicht Bässe dröhnen. Um 6 Uhr morgens. Sie schaut sich um. Tausende von jungen Menschen in Schlafsäcken, alle ebenso verdutzt und schlaftrunken wie sie. Der Tejo-Park in Lissabon ist gefüllt von katholischen Jugendlichen, die statt einer Morgenmesse auf den Leinwänden einen DJ sehen. Statt durch Glockengeläut werden sie durch Technobeats geweckt.
Es fühlt sich an, als wäre ich in Portugal dabeigewesen. Franziska, zurück in Deutschland, berichtet anschaulich von ihren Eindrücken.
Kaum zu glauben war es für sie, dass an diesem Ort am vorherigen Abend Papst Franziskus auf der Bühne stand. Kaum zu glauben, dass 1,5 Millionen Jugendliche gemeinsam gesungen, gebetet und Gottesdienst gefeiert haben. Kaum zu glauben, angesichts dieser Geräuschkulisse, dass gestern bei Sonnenuntergang der ganze Park schweigend innehielt.
Der Glaube aber ist es, der die 21-jährige HSS-Stipendiatin Franziska Mader im August zum Weltjugendtag nach Lissabon geführt hat. Sie studiert im fünften Semester Grundschullehramt mit dem Hauptfach Religionslehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. In ihrer Heimatgemeinde engagiert sie sich im Pfarrgemeinderat. Vom Weltjugendtag hatte sie zwar schon gehört. Aber erst, als ihr eine Kommilitonin erzählt, sie werde mit den Cruzadas de Santa María teilnehmen, entschließt sich Franziska: auf nach Portugal! Bei den Cruzadas handelt es sich um ein Säkularinstitut, das schon zum Vorprogramm, den Tagen der Begegnung, anreist. Ende Juli fliegen sie also gemeinsam von München nach Lissabon. Dort werden die Gruppen auf einzelne Diözesen verteilt. Franziska und die Cruszdas finden ihren Schlafplatz in einer Turnhalle im Bistum Leiria-Fátima. Es ist drei Uhr nachts, als der Bus sie zum Ziel bringt.
Gewiss kein gewöhnlicher Sommerurlaub
Auf wenig Schlaf und unbequeme Unterkünfte hat sie sich eingestellt. Aber auch auf gute Stimmung und Vollverpflegung. Das ist im Pilgerkit für Franziskas Gruppe enthalten. Nur, dass sie bei ihrer Ankunft eine falsche Essenskarte bekommt. Vegetarisch hatte sie angekreuzt. Jetzt wird ihr Fleisch serviert. Salami und Schinken als Belag. Die nächsten Tage muss sie sich von schalen Semmeln ernähren.
Woher nimmt sie die Energie für das vollgepackte Programm? Es muss wohl das Gemeinschaftsgefühl sein, das sie trägt. Schon bei den Tagen der Begegnung stehen täglich Veranstaltungen auf dem Plan. Und dann der Weltjugendtag, der eigentlich eine Woche ist. Die Tage beginnen um 8, vor 11 Uhr fallen die Jugendlichen selten in ihr Herbergsbett.
Am Dienstag die große Eröffnungsmesse in Parque Eduardo VII, Kreuzwegandacht am Freitag, täglich Jugendfestival und Katechesen. Für Sightseeing bleibt keine Zeit. Und diese Hitze! Man ist selten so dankbar über kühle Kirchenräume.
Für all die Strapazen entschädigen die gemeinsamen Momente der Einkehr. „Täglich mehrmals Gottesdienst zu feiern ist etwas, was ich im Alltag so nicht mache.“, meint Franziska. Einer davon sticht besonders heraus. Über die Vigil mit Papst Franziskus am Samstagabend gerät Franziska ins Schwärmen. „Da ist dann die Sonne untergegangen, es wurde gesungen, getanzt, es gab riesige Lichtinstallationen…“
Und dann sind da die inspirierenden Begegnungen mit Jugendlichen aus aller Welt. Schon beim Vorprogramm teilt Franziska ihre Unterkunft mit Spanierinnen und Kolumbianerinnen. Sie selbst kann kein Spanisch, praktischerweise hat sie durch die Cruzadas Dolmetscherinnen bei sich. „Es gab keinen Kontinent, von dem ich nicht mit jemandem gesprochen habe“. Sie zählt auf: Südkorea, Japan, Brasilien, USA – Fähnchen der einzelnen Gruppen zeigen an, aus welchen Nationen sie angereist sind. Wer außer ihr das deutsche Fähnchen bei sich trägt, weiß Franziska da noch nicht.
„Die Dimensionen sind überwältigend, die schiere Anzahl an Menschen unbeschreiblich.“
- Franziska Mader
Das alles berichtet Franziska ihren Mitstipendiaten. Vor zwei Tagen ist sie zurückgekommen. Jetzt sitzt sie beim Abendessen auf Kloster Banz. Da fällt ihr Blick auf eine blaue Pilgerflasche. Es reckt sich ein Kopf vor.
„Du auch?“
Radoslav ist ebenfalls gerade zurück aus Portugal. Ausgerechnet hier, beim Seminar „Sinnfragen“, kreuzen sich die Wege der zwei Stipendiaten. Auch Radoslav studiert an der Katholischen Universität, doch sie haben sich sowohl im Alltag als auch beim Weltjugendtag verpasst.
Radoslav Hospodár, ursprünglich aus der Slowakei, ist während seines Bachelorstudiums beinahe mehr im Aus- als im Inland unterwegs: seine Semester teilte der Betriebswirtschaftsstudent auf drei Länder in drei Kontinenten auf. Seine Auslandsaufenthalte führten Radoslav zunächst nach Toulouse, Frankreich, dann nach Peking, China. Zum Zeitpunkt unseres Interviews absolviert er sein Abschlusssemester in Ohio in den USA.
Noch in China hat Rado sich für den Weltjugendtag in Lissabon angemeldet, nachdem er 2016 in Krakau schon einmal teilgenommen hatte. Mit einer Gruppe junger Katholiken aus der Slowakei macht Rado sich diesen Sommer auf den Weg.
„Überall, wo ich hinkam, fühlte ich mich als Teil der Weltkirche.
Radoslav Hospodár
Internationale Begegnungen sind für Radoslav alltäglich, in Portugal langjährige Freunde aus seiner Heimat zu treffen, ist für ihn dennoch ein denkwürdiges Ereignis. Eines von vielen.
„Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade…“
Perle für Perle, murmelnde Jugendliche. Den Rosenkranz zu beten fühlt sich anders an, hier, vor der Statue der Muttergottes. In Fatimá soll die Gottesmutter im Jahr 1917 drei Kindern erschienen sein. Heute pilgern Tausende hierher. Der Besuch dieser Wallfahrtstätte hinterlässt einen tiefen Eindruck bei Radoslav, „Unbeschreiblich heilig“ sei die Atmosphäre gewesen. Trotz des strömenden Regens. Franziska empfindet dasselbe. Allerdings einen Tag zuvor. Und wieder haben sie sich verpasst.
Und natürlich gibt es für Rado Anknüpfungspunkte zu vergangenen und zukünftigen Reisen. Von französischen Freunden wird er zu einem Abendgebet mit lateinischen Messgesängen eingeladen. Im Programm der Fokolár-Bewegung, dem er sich zusätzlich anschließt, trifft er den US-amerikanischen Bischof Robert Barron. Seinem YouTube-Kanal „Word on Fire“ folgt er schon seit Jahren. Gleichgesinnte treffen, die Vielfalt der katholischen Kirche spüren, lokale Traditionen kennenlernen, „Der Weltjugendtag bietet einfach alles.“ ist Rados begeistertes Resümee.
Ein Treffen in Südkorea?
Der nächste Weltjugendtag wird 2027 in Südkorea stattfinden. Werden sie wieder teilnehmen? Während seines Studienaufenthaltes in China hat Radoslav Freundschaft mit Koreanern geschlossen, die ihn in ihre Heimat eingeladen haben. Er kann sich vorstellen, ein Wiedersehen mit ihnen mit dem Besuch des WJT zu verbinden.
Franziska ist sich nicht sicher. Als Vegetarierin bereitet ihr das exotische Essen ein wenig Sorge. In Südkorea werden sich Radoslav und Franziska wahrscheinlich nicht treffen. Doch nicht nur die blauen Pilgerflaschen verbinden sie, sondern unvergessliche Momente, tiefer, gelebter Glaube und – ihr Stipendium.