Bundesländerfachtagung des CdAS in Schleswig-Holstein
Butter bei die Fische
„Wir kochen auch nur mit Wasser, aber bei uns ist das Salz schon drin.“ Dieser Slogan aus einer ganzen Reihe von provokativen Aussagen der Landesregierung von Schleswig-Holstein kommt den Eindrücken der Bundesländerfachtagung in das Land zwischen den Küsten schon recht nahe. Politik und Natur, Geschichte und Zukunft, Tradition und Innovationen standen im Mittelpunkt der Länder-Exkursion des CdAS Anfang Mai.
Beinahe 40 Altstipendiatinnen, Altstipendiaten, Stipendiatinnen und Stipendiaten bezogen in Lübeck Quartier und schwärmten in den folgenden Tagen in das Land zwischen den Küsten aus. Schleswig, Eckernförde, St. Peter-Ording, Tönning, Kiel und weitere Orte standen auf dem gut gefüllten Programm, das Michaela Regele, Leiterin des Referats für Altstipendiatinnen und Altstipendiaten (Inland) der Hanns-Seidel-Stiftung, und CdAS-Vorsitzender Dr. Andreas Burtscheidt zusammengestellt hatten.
Was in Lübeck mit dem Internet der Dinge gemeint ist, erklärte CdAS-Mitglied Martin Lempfert, Leiter des Bereichs Smart City Services unter dem Dach der Stadtwerke Lübeck. In den vergangenen Jahren wurde die Stadt mit vielfältigen Sensoren ausgestattet, die Temperatur, Feuchtigkeit, CO2-Konzentration oder die Anzahl von fahrenden und parkenden Fahrzeugen und vieles mehr messen. Verknüpft sind sie alle über ein Netz von LoRaWAN-Gateways (Long Range Wide Area Network), kleinen Relaisstationen, die Daten empfangen und senden können. Die Daten werden mit weiteren öffentlich verfügbaren Daten verknüpft. So weiß der Bauhof in Zukunft, auf welchen Straßen bereits Glätte auftritt und kann Streufahrzeuge steuern. Oder welche Straßenbäume dringend gegossen werden müssen. Rettungsfahrzeuge werden umgeleitet, wenn bestimmte Schranken geschlossen oder Brücken übers Wasser geöffnet sind. Im nächsten Jahr wird der Zustand der 800 historischen Brandmauern in der Stadt zentral erfasst, ohne dass jemand die meist privaten Gebäude betreten muss. Starkregensensoren schlagen Alarm, so dass vor Überflutungen nun einige Stunden früher gewarnt werden kann. Volle Müllcontainer melden die Sensoren dem Entsorger. So kann er diese leeren, bevor weiterer Müll die Umgebung verschandelt. Denn das händische Einsammeln verstreuten Mülls verursacht noch viel mehr Kosten als eine zusätzliche Leerungsfahrt. „Wir machen etwas in der Stadt für die Stadt“, sagt Martin Lempfert. „Wir haben daher keine Probleme, Menschen für unsere Projekte zu begeistern.“
Seid lieb zueinander
Schon seit vielen Jahren besucht der CdAS jährlich ein Bundesland. Die jeweilige Staatskanzlei stand fast immer auf dem Programm – doch Daniel Günther (CDU) war der erste Ministerpräsident, der wirklich selbst zum Gespräch kam.
„Viele Gewissheiten wurden durch die Herausforderungen der vergangenen Jahre zerstört“, sagte Daniel Günther einleitend. Das Land habe sich fundamental verändert. Er ging auch auf die Strom-Situation ein. Es gäbe nicht wenige Zeiten, in denen die Windräder mehr Strom produzieren, als das Bundesland selbst verbraucht. „Aber wir bekommen den Strom nicht über die Elbe“, kritisierte er das Nicht-Vorhandensein der Stromleitungen in den Süden. Somit wären die Strompreise derzeit dort am höchsten, wo am meisten erneuerbarer Strom erzeugt werde. Das sei kein Anreiz, umzustellen. Die generell in Deutschland extrem hohen Strompreise bezeichnete Günther als „dramatischen Wettbewerbsnachteil“.
Auch Schleswig-Holstein war eine eher ländlich geprägte Region. Doch die Situation und Politik des nördlichsten Bundeslandes haben sich verändert. „Wir setzen stark auf Investitionen“, so der Ministerpräsident. Dafür werde auch Geld eingesetzt, das woanders fehlt. So müsse man für KiTa-Plätze eben noch bezahlen. Die Ansiedlung innovativer Unternehmen aber bestätige diesen Kurs.
Hoch im Norden setzt Günther auf ein harmonisches Miteinander. Es sei nötig, in der Politik mehr zusammenzuarbeiten. „Es bringt nichts, über den politischen Gegner herzufallen“, betonte er, nicht ohne Seitenblick auf Leute der eigenen Partei. Schleswig-Holstein sei „ein ganz normal zusammengesetztes Parlament“, ohne AfD und ohne Linke, erklärte er. Dass „die glücklichsten Menschen“ in Schleswig-Holstein leben, müsse damit zusammenhängen. Nicht ohne Stolz verwies er auf eine jüngst durchgeführte Umfrage, die eine Zustimmung von 65 Prozent für die Regierungsarbeit im Land ermittelt habe – im Gegensatz zu 35 Prozent für die Ampelregierung im Bund. Dass die Regularien in Deutschland immer schlimmer werden, ließ Daniel Günther auch durchblicken. Für den geplanten Fehmarn-Tunnel nach Dänemark habe das Nachbarland mit dem Bau begonnen – hierzulande werde gerade prozessiert, ob ein 500 Meter breiter Streifen ausreichend sei, um Auswirkungen auf Fauna und Flora zu beurteilen, schimpfte Günther auf deutsche Planungsverfahren.
Mit knapp 40 Teilnehmern füllte die CdAS-Gruppe bei der anschließenden Stippvisite des Landtags den Plenarsaal von SH schon ordentlich. 69 Sitze gibt es dort. Der Saal ist in einem gläsernen Anbau an eine kaiserliche Marineschule, einsehbar von der Uferpromenade an der Kieler Förde.
Begleitet hatte an diesem Vormittag die CdAS’ler schon auf dem Weg vom Bahnhof über die Kaisertreppe, am Hafen entlang, sicher am Bordsteinschwalbenbiotop und dem NDR-Funkhaus vorbei und bis zur Staatskanzlei Brigitte Gall, eine der ersten 20 Stipendiatinnen der KAS und langjährige Sprecherin der KAS-Altstipendiaten in Schleswig-Holstein.
Wasser ist ein trennendes Element – Land ebenso
Eine große Landzunge (Dänemark) sorgt für weite Wege auf dem Wasser, wenn man von der Ostsee bis an die Nordseeküste Schleswig-Holsteins kommen möchte. Im frühen Mittelalter bewohnten die Wikinger, ein seefahrendes Volk, den Landstrich. An der am weitesten ins Land reichenden Stelle der Schlei bei Schleswig, 40 Kilometer von der Ostseeküste entfernt, hatten sie einen Hafen errichtet, damals war es eine Stadt mit Befestigungsring. Das komplette Dorf ist unter der Grasnarbe heute noch relativ gut erhalten und gilt als Weltkulturerbe. Haithabu wurde es genannt – und war ein perfekter Ankerplatz. Als Umschlagspunkt diente es für alles, womit damals gehandelt wurde. Von hier waren es nur 18 Kilometer über Land zum ersten „schiffbaren“ Wasserlauf auf der Nordsee-Seite. Das Leben in dem Dorf haben Archäologen schon gut erforscht, den Weg übers Land aber noch nicht wirklich. Denn die Wikinger kannten keine schriftlichen Überlieferungen. Vieles, was man heute mit den Wikingern verbindet, wie Hörnerhelm oder Tätowierungen, sind Fake, meist basierend auf später entstandenen Klischees, wie Jörg Friedrichsen erklärte. Belege dafür gibt es keine. Doch aufgrund der gut erhaltenen Funde in Haithabu kann man so manchen Rückschluss auf das Leben damals ziehen.
Autonome Fähre verbindet die Ufer
Wege übers Land sind heute eher ein bürokratisches denn technisches Problem. Der Weg zwischen verschiedenen Uni-Standorten in Kiel aber führt um die tief in die Stadt einschneidende Förde herum. Ausgehend von ungünstigen öffentlichen Verkehrsverbindungen zwischen den Standorten auf beiden Seiten des Ostseezipfels wurde die Idee einer autonomen Fähre geboren – die eben ohne Personal auch zu Nachtzeiten bei Bedarf verkehren könnte. Futuristische Entwürfe entstanden in einem Wettbewerb. Mittlerweile entwickelte sich daraus ein Leuchtturmprojekt der autonomen und vernetzten Mobilität. Wie Steffen Stadler von der CAPTN-Initiative erklärte, konnte Anfang des Jahres bereits ein Versuchsschiff getauft werden, mit dem all die nötigen Sensoren und Systeme erprobt werden können. Noch steht das aktuelle Recht gegen einen autonomen Betrieb, da ein Schiffsführer jederzeit an Bord sein muss. Dafür hat die „Wavelab“ mit dem Marinehafen – am Ufer gegenüber des Landtags – einen Bereich, in dem sie nach entsprechender Absprache ohne Einschränkungen auf Testfahrt gehen kann.
Die Kieler Woche – mehr als weiße Segel
Jeder hat schon davon gehört, nur wenige waren schon da: Die Kieler Woche. Welch riesiger Aufwand hinter der größten Regatta der Welt – etwa 4000 Segler aus 60 Nationen auf rund 1500 Booten – steckt, vermittelte eindrucksvoll Sven Christensen, der Geschäftsführer der Marketing-Agentur „Point of Sailing“ des Hauptveranstalters, des Kieler Yacht-Clubs. Denn zu dem Sport-Event auf dem Wasser gehört das größte Sommerfest des Nordens. Auf 20 Bühnen in der ganzen Stadt werden 2200 Programmpunkte gespielt. 3,5 Millionen Besucher kommen in den zehn Tagen nach Kiel. 200 Millionen Medienkontakte werden erzeugt. Und bei Incentive-Veranstaltungen können die Partner und Sponsoren der Kieler Woche Interessenten und Kunden auch auf dem Wasser in den Segelsport einbinden. Einen großen Wirtschaftsfaktor stellt dabei die Umwegrentabilität dar: „Wir sorgen für Tourismus“, verwies Christensen auf die Auswirkungen der Sport-Events auf die lokale Wirtschaft.
Natürlich denkt man bei Point of Sailing über zukünftige Entwicklungen nach. „Wir transformieren uns, um attraktiv zu bleiben“, versicherte Christensen. Der neue Slogan ist daher: „Gegen den sozialen Klimawandel segeln“. Vom 17. bis 25. Juni wird 2023 erstmals sport1.de täglich mehrere Stunden live aus Kiel berichten.
Die beiden Vorträge über CAPTN und die Kieler Woche fanden in den Räumen der Hermann-Ehlers-Stiftung in Kiel statt, der „kleinen Schwester“ der Konrad-Adenauer-Stiftung.
E‑Mobilität an der Grenze
Bis fast an die Grenze zu Dänemark führte die Exkursion zum in Enge-Sande angesiedelten GreenTEC-Campus. Dort hat ein privater Investor 2014 ein ehemaliges Bundeswehrgelände gekauft und siedelt nachhaltig orientierte Unternehmen und Startups an. Ein autonom fahrender, elektrischer Kleinbus („Emil“) war eines der Projekte, das auf „die Straße“ gebracht wurden. Denn viele Kilometer Straße hinter geschlossenen Schranken sind ein idealer Ort, um solche autonom fahrenden Projekte zu erproben, ohne auf öffentlichen Straßen zu fahren.
Ein anderes Unternehmen hat für Stadtbusse die Umrüstung auf Elektroantrieb entwickelt. Wo bisher ein Achtzylinder-Dieselmotor den Bus angetrieben hat, sind sechs Batterien (a 38 kWh) und die Steuerung untergebracht. Angetrieben wird der Bus mit vier Nabenmotoren, die gedrosselt sind, damit die Räder des Busses beim Beschleunigen nicht durchdrehen und zu rauchen beginnen. Etwa 350 Kilometer sei die Reichweite – genug für den Stadtverkehr. Die Kühlung der Motoren kann dann auch fürs Heizen im Bus genutzt werden, sonst im Winter ein extrem stromfressender Vorgang.
Besonders gefragt auf dem Campus sind die Trainings von offTEC, wo das Verhalten in Notsituationen auf dem Meer, auf Bohrinseln oder Offshore-Windrädern unter realitätsnahen, stürmischen Bedingungen in einem Wasserbecken geübt werden kann. Dass für Windkraft nicht nur 250 Meter hohe Windräder nötig sind, daran arbeitet man auf dem GreenTEC-Campus ebenfalls. EasyWind produziert Kleinwindanlagen mit 19 Meter Nabenhöhe und einer Leistung von sechs Kilowatt.
Vom Kilowatt zu einem Kilo Watt
Was eine steife Brise ist, ließ sich schließlich in St. Peter-Ording erkunden. Über einen langen Bretterweg („Buhne“) führt der Pfad vom Ort durch die Dünen bis zum … ja zum Meer, wenn es denn gerade einmal da ist. Ebbe und Flut sorgen in einem Rhythmus von etwa zwölfeinhalb Stunden für die besonderen Lebensbedingungen in diesem Naturpark Wattenmeer. Ein ganzes Stück muss man dann noch auf dem Watt laufen, bis endlich das Meer wirklich erreicht ist und einem das Wasser um die Füße spielt. Der Wind pfeift um die Ohren, die Wellen tosen – und von den Lebewesen im Meer ist so nichts zu sehen. Das ändert sich dann im Multimar Wattforum in Tönning, ein paar Kilometer landeinwärts. Schollen, Haie, Krebse, Seehasen und Seepferdchen tummeln sich da in zahlreichen Aquarien, die die Welt im Wattenmeer widerspiegeln.
Fischers Fritze isst frische Fische
Gestärkt durch die Aufnahme kilowattweiser Information war natürlich der Bedarf an Kilokalorien erheblich. Ob Nordseescholle in der Lübecker Schiffergesellschaft, Fischbrötchen in Eckernförde, Apple-Bowl im Kieler Landtag oder Krabbensuppe bei Gosch an der Nordseebuhne in St. Peter-Ording – die Menükarte im Norden steht in krassem Gegensatz zu Schweinsbraten und Leberkässemmel. Kein Wunder, dass die Bundesländerfachtagungen des CdAS sich so großer Beliebtheit erfreuen. 2024 wird es in die Bundeshauptstadt gehen. Die Anfrage an den neuen Regierenden Bürgermeister wollte Dr. Andreas Burtscheidt gleich nach der Rückkehr schreiben. Dann wird es heißen: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Also: Buletten, zieht euch warm an …